#JulietToo von Tamiko Thiel – #MakeUsVisible und virtuelle Gegendenkmäler in München | #FemaleHeritage

Am 6. Juli wird das Augmented-Reality-Kunstwerk #JulietToo von der Digitalkünstlerin Tamiko Thiel im Rahmen des Festivals der Zukunft in München feierlich enthüllt. Damit wird das Projekt #MakeUsVisible x denkFEmale fortgesetzt – eine Ausstellung mit über 30 digitalen Monumenten von Frauen, Trans*Personen und Ereignissen in München, die 2022 in der Monacensia vorgestellt wurde. Warum braucht München virtuelle Gegendenkmäler? Wie kam es dazu? Und warum ist das Thema von #JulietToo so aktuell? Dr. Sabine Schalm und Dr. Daniel Bürkner erzählen.

Das Augmented-Reality-Kunstwerk #JulietToo von Tamiko Thiel. Auseinandersetzung mit der Julia-Capulet-Statue am Alten Rathaus in München. (credit: Tamiko Thiel)
Das Augmented-Reality-Kunstwerk #JulietToo von Tamiko Thiel. Auseinandersetzung mit der Julia-Capulet-Statue am Alten Rathaus in München. (credit: Tamiko Thiel)

Termin vormerken: Enthüllung von #JulietToo

Die Julia-Capulet-Statue am Alten Rathaus/Spielzeugmuseum in München bekommt körperpositive Avatare: das AR-Monument #JulietToo von Tamiko Thiel. Am Sockel der Statue wird am 6. Juli um 12 Uhr ein Schild mit einem QR-Code enthüllt. Über dieses kann das Augmented-Reality-Kunstwerk #JulietToo kostenlos per Smartphone aufgerufen werden.

… ein dauerhafter künstlerischer Kommentar zur rituellen Bedeutung der Statue und ihrer Interaktion mit der Öffentlichkeit 

Anne Wichmann, Mitbegründerin ARORA

Die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden hält eine kurze Ansprache. Anschließend spricht die Künstlerin selbst über ihre Arbeit – gerne kommen!

Dr. Sabine Schalm und Dr. Daniel Bürkner erzählen mehr über die Hintergründe.

#JulietToo von Tamiko Thiel in München

Auf dem Display des Smartphones erscheint die Statue der Julia, ein Geschenk von Münchens Partnerstadt Verona. Sie steigt in vielfacher Form vom unteren Bildschirmrand nach oben auf, aber anders, wehrhaft, mal mit Schild und Schwert, mal mit Bogen. Es ist nicht mehr die Statue einer Person mit der von Passanten glänzend geriebenen Brust. Es ist eine Cloud selbstbestimmter Julias, die sich gegen die tausendfachen Berührungen wehren, die zum unhinterfragten Brauch geworden sind. 

#JulietToo AR installation showing Amazon avatar, 2022. Sited at the Juliet Capulet sculpture by Nereo Costantini, near Marienplatz, Munich. Foto: Tamiko Thiel.
#JulietToo AR installation showing Amazon avatar, 2022. Sited at the Juliet Capulet sculpture by Nereo Costantini, near Marienplatz, Munich. Foto: Tamiko Thiel.

Wie schreibt das Tourismusportal outdoor active? 

Touching her breast is supposed to bring happiness in love, which was given to her herself.[1]

Das Symbol der Liebe aus Shakespeares berühmtem Stück ist in den Denkmaldebatten unserer Zeit zum Politikum geworden:

  • Ist es Ausdruck von Liebe, die Brust einer Statue zu berühren, oder von Übergriffigkeit? 
  • Wie sehen das die männlichen Touristengruppen, die – wie kürzlich beobachtet – lachend gemeinsam an der bronzenen Brust lecken?

#JulietToo ist Teil der kontroversen Diskussion um das „Statue Rubbing“ der Julia-Skulptur. 

Laut einer Studie der LMU stellen nur 7% der Personendenkmäler in München Frauen dar.[2]

Und was passiert mit ihnen?

#JulietToo ist eine Arbeit der Künstlerin Tamiko Thiel, und Teil des Projekts #MakeUsVisible (ARORA), das das New Yorker XRensemble um Anne Wichmann gemeinsam mit dem Münchner Kollektiv denkFEmale um Tabitha Nagy und Jacqueline-Amadea Pely im Herbst 2022 ins Leben gerufen hatte. Es umfasste mehr als 30 Augmented-Reality-Skulpturen, die sich mit dem überproportionalen Anteil männlicher Personendenkmälern auseinandersetzen und über einen QR-Code auf dem Smartphone sichtbar wurden. Wie zuvor in New York und Venedig wurden so auch in München zahlreiche Denkmäler im Rahmen der  Ausstellung #MakeUsVisible x denkFEmale um eine digitale Ebene erweitert.

Die virtuellen Denkmäler reflektieren, welche Rolle Frauen und nicht-binäre Menschen in der Geschichte und Gegenwart Münchens spielen und wie wenig sich dies in der traditionellen skulpturalen Inszenierung von Personendenkmälern widerspiegelt. Um dieses Ungleichgewicht zu adressieren, fanden digitale Kunstwerke verschiedener Künstler*innen durch einen Open Call zusammen. Ihre kooperative und kollektive Arbeitsweise brachte eine neue, vielstimmige Erinnerungskultur zum Ausdruck.

Augmented Reality'Mr Backlash', Angela Davis von Erin Ko. #MakeUsVisible. Foto: Anne Wichmann.
Augmented Reality ‚Mr Backlash‘, Angela Davis von Erin Ko. #MakeUsVisible. Foto: Anne Wichmann.

„Past Statements“ und #MakeUsVisible – Erinnerungskultur im öffentlichen Raum

Die virtuellen Denkmäler entstanden als Teil des Programms „past statements“, das vom Kulturreferat mit den Bereichen Public History und Public Art München ins Leben gerufen wurde. Das Programm verfolgt eine ergebnisoffene, kritische Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur im öffentlichen Raum und umfaßt Diskussionen in den Stadtteilen, verschiedene temporäre Kunstinterventionen und ein internationales Forum im Haus der Kunst. In Wort, Bild, Musik und Performance verhandelte eine Vielzahl von Köpfen aus München und der ganzen Welt die Frage, was wir mit Setzungen machen, die nicht mehr unser gegenwärtiges Gesellschaftsbild reflektieren.

#MakeUsVisible ist eine beeindruckende Position in diesem globalen Diskurs. Was machen wir mit den alten Personendenkmälern? Nicht abreißen, sondern kommentieren. Erweitern um kritische Gegenstimmen, Utopien und die Vielzahl an Stimmen, die unsere Gesellschaft ausmacht. Wir wollen Debatten und Diskurse sichtbar und erfahrbar machen. Und damit das große Potential freisetzen, das in diesen umstrittenen Statuen steckt: eine offene gesellschaftliche und künstlerische Diskussion über die Bedingungen und Werte unseres Zusammenlebens, hier und jetzt.

Augmented Reality Monument'Metamorphosis für Maria Sibylla Merian' von Dagmar Schürrer. #MakeUsVisible. Foto: Scavengar.
Augmented Reality Monument ‚Metamorphosis für Maria Sibylla Merian‘ von Dagmar Schürrer. #MakeUsVisible. Foto: Scavengar.

Viel zu spannend, um sie abzureißen. Wie gut passt da die Kooperation von #MakeUsVisible mit der Monacensia und dem Kulturerbeprojekt #FemaleHeritage, das sich in einem partizipativen, digitalen Format den Lücken im literarischen Gedächtnis Münchens widmet und sich für die Sichtbarkeit von Frauen und LGBTIQ+ einsetzt. Durch Kooperationen wie diese, durch vielfältige Dialoge, durch Empowerment und innovative künstlerische Formate kommen wir einer diversen Erinnerungskultur in München einen großen Schritt näher. 

Autor*innen: Sabine Schalm (Public History München), Daniel Bürkner (Public Art München)

=>In der Pressemitteilung zur Enthüllung von #JulietToo heißt es:

Über die Statue von Julia-Capulet wird schon seit Jahren in Politik und Medien diskutiert. In Shakespeares Stück „Romeo und Julia“ war die unglückliche Heldin erst 13 Jahre alt, aber entschlossen, selbst zu entscheiden, mit wem sie ihren Körper teilen würde. Ihre Bronzestatue verfügt nicht über eine solche Autonomie; Passanten haben die Patina von ihrer Brust gerieben und sie berührt, um sich Glück zu bringen. 

Heute, wo die Gegenreaktion gegen #MeToo erneut versucht, die Stimmen von Frauen zu unterdrücken, und in vielen Ländern (USA, Polen …) das Recht der Frauen, ihren eigenen Körper zu kontrollieren, voll angegriffen wird, fordert #JulietToo die nackte weibliche Brust zurück – als Zeichen der Macht der Frauen und ihrer Rechte. 

Dr. Sabine Schalm. Foto: Privat.
Dr. Sabine Schalm. Foto: Privat.

Dr. Sabine Schalm leitet die Abteilung Public History im Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Sie studierte Geschichte, Anglistik und Soziologie in Regensburg, Edinburgh und Berlin. Sie promovierte am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin bei Herrn Prof. Dr. Wolfgang Benz über Organisationsstrukturen des Außenlagerkomplexes des KZ Dachau. In München arbeitete sie seit 2000 freiberuflich in vielfältigen Forschungs-, Vermittlungs- und Ausstellungsprojekten zur NS-Zeit und dessen erinnerungskulturellen Umgang nach 1945. 2012 bis 2015 war sie Kuratorin der Dauerausstellung am NS-Dokumentationszentrum München, bevor sie 2015 im Kulturreferat der Landeshauptstadt München den Fachbereich Stadtgeschichte übernahm.

Dr. Daniel Bürkner. Foto: Kai Neunert.
Dr. Daniel Bürkner. Foto: Kai Neunert.

Dr. Daniel Bürkner, geboren 1981, leitet das Programm Public Art München am Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Er studierte Kunstgeschichte sowie Kulturwissenschaft und promovierte an der Humboldt Universität zu Berlin in Kunst- und Bildgeschichte zum Thema “Fotografie und atomare Katastrophe”. Neben dem Schwerpunkt Kunst im öffentlichen Raum hat er in den Themen Erinnerungskultur, Fotografie, Sound Art sowie Kunst und Wissenschaft gearbeitet.


[1] Übersetzt „Ihre Brust zu berühren, soll Glück in der Liebe bringen, das ihr selbst geschenkt wurde“. https://www.outdooractive.com/en/poi/muenchen-ingolstadt/julia-capulet-statue/44092565/
[2] https://issuu.com/mathildemarest/docs/handbuch_gendergerechtestadt

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