Autor:in werden? Drei Perspektiven – ein Interview mit Anna Gschnitzer, Annegret Liepold und Senka

Wie wird man Autor:in? Wie gelingt ein Debüt? Wie geht der Übergang vom Hobby zum Beruf? Die Münchner Schriftsteller:innen Anna Gschnitzer, Annegret Liepold und Senka beschreiben uns ihren Weg, vom Schreib-Institut zur freien Theaterszene, von den ersten Schritten in die Öffentlichkeit bis zu Preisen und Stipendien. Ein Gespräch über Jobs, Zeit & Geld, den Alltag als Autor:in, Instagram und den Umgang mit Feedback – Beitrag zu #AtelierMonaco-Szene.

Autor:in werden: Collage von drei Autor:innenportraits: Annegret Liepold, junge Frau, kurze braune Haare, schwarzer Pulli, lehnt lässig an einer Hauswand, schaut in die Kamera. Anna Gschnitzer, kurze braune Haare, große braune Augen schaut direkt in die Kamera. Senka, schwarz weiß Foto, kurze Haare, Brille, aufs Kinn gestützt schaut an der Kamera vorbei, vielleicht auf einen Bildschirm. Copyrights: Vanessa Mönius, Julian Baumann und privat
Von links nach rechts: Annegret Liepold (c) Vanessa Mönius, Anna Gschnitzer (c) Julian Baumann und Senka (c) privat

Berufsbild Autor:in: vom Hobby zum Debüt zur Karriere?

Wo steht ihr gerade in eurer Karriere als Schreibende?

Anna Gschnitzer: Ich arbeite seit über zehn Jahren als freie Theaterautorin und dazwischen auch immer wieder in anderen Jobs und als Dramaturgin. Ich bin vor drei Jahren Mutter geworden und wusste, ich muss das jetzt ganz oder gar nicht machen. Entweder ich setze alles aufs Schreiben oder ich muss es an den Nagel hängen, weil die Zeit so limitiert ist. Das war total gut für mich.

Ich habe in den letzten drei Jahren vier Stücke geschrieben, die sind, wie das häufig bei Uraufführungen ist, fast alle abgespielt. Leaving Carthago läuft gerade noch am Theaterhaus Jena, eine sehr schöne Zusammenarbeit mit der Regisseurin und Schauspielerin Pina Bergemann. Jetzt bin ich gerade dabei drei weitere Stücke abzugeben, die noch in dieser Spielzeit Premiere haben werden. Also insgesamt sieben Stücke in etwas mehr als drei Jahren. Das ist eigentlich viel zu viel, aber als freischaffende Theaterautorin ist es schwer Aufträge abzusagen, weiI man nie weiß, wann der nächste Auftrag kommt.

Annegret Liepold: Ich bin gerade an dem Punkt, dass ich ein Romanmanuskript fertig habe und mit einer Agentur nochmal dran arbeite, bevor die Agentur das hoffentlich dieses Jahr noch an Verlage rausschickt.

Wenn ich ein bisschen aushole, wo ich herkomme, war es so, dass ich ganz lange darauf gewartet habe, bis mir jemand Erlaubnis gibt zu schreiben. Ich dachte irgendwie, ich bräuchte einen Segen von oben. Mein Weg war immer: Mir Austausch suchen und mir selbst das Umfeld schaffen, in dem ich schreiben kann.

Und jetzt stehst du gerade kurz vor deinem großen Debüt.

Annegret Liepold: Möglicherweise. Oder vor dem Nichts.

Senka: Ich arbeite aktuell an zwei größeren Prosa-Projekten parallel. Ich habe ein Netzwerk an Leuten, auf die ich zugehen kann, um die Texte zu vermitteln und irgendwo unter zubekommen. Ich habe früher für die Schublade geschrieben und jetzt geht es in die Richtung, dass die Texte irgendeine Form von Öffentlichkeit erfahren werden.

Wann war für euch klar, das Schreiben nicht mehr nur ein Hobby ist, sondern ein Beruf?

Senka: Das ist eine schwierige Frage. Was verbinde ich mit dem Wort Beruf? Ab wann ist etwas ein Beruf? Ist es verbunden damit, dass ich mich davon finanzieren kann? Kann ich damit meinen ganzen Lebenserhalt bestreiten oder bringt es mir nur irgendeine Art von Geld ein? Ist ‚Hobby‘ wirklich etwas, auf das ich verzichten könnte?
Schreiben ist für mich etwas sehr, sehr Grundsätzliches, etwas, das ich unbedingt machen muss. Das brauche ich in meinem Leben. Und das ist für mich schon mal größer als ein Hobby. Aber momentan bin ich finanziell damit noch nicht so sicher, dass ich sagen könnte es ist mein Beruf. Das würde mich aber reizen. Nicht nur wegen des Schreibens als Job, sondern auch wegen der Lesungen, Veranstaltungen, Gespräche usw.

Annegret Liepold: Ich habe auch noch einen Brotjob, der mich über Wasser hält. Ich wusste nach dem Studium, ich will jetzt keinen nine-to-five-Job, sondern möglichst viel Zeit zum Schreiben haben. Ich musste eine Mischkalkulation finden – und mich viel mit Bürokratie beschäftigen. Wie kommt man in die KSK [Künstlersozialkasse]? Wie geht überhaupt Teilselbstständigkeit?

Anna Gschnitzer: Ich komme aus einer Arbeiter:innenfamilie. Es gab kein Vorbild in meinem Umfeld, niemand hat geschrieben, geschweige denn mit Kunst Geld verdient. Und ich bin dann zum Studieren aus der süd-tiroler Provinz nach Wien gezogen und habe dort zum ersten Mal von einem Studium gehört, das Sprachkunst heißt. Das ist ein Institut für literarisches Schreiben. Ich habe mich beworben, ohne je einen Text fertig geschrieben zu haben. Ich hatte die totale Panik, dass ich jede Sekunde auffliegen könnte, dass ich eigentlich nicht hierher gehöre. Man nennt das auch Imposter-Syndrom, viele Klassenübergänger:innen kennen dieses Gefühl.

In meinem Schreiben habe ich häufig mit Menschen zusammengearbeitet, auch um mich an ihnen festzuhalten. Meine erste Arbeit fürs Theater kam zustande, weil ich Marie Bues kennengelernt hatte, die jetzige Intendantin vom Schauspielhaus Wien. Sie hat damals einfach zu mir gesagt: „Hey, magst du nicht mal was fürs Theater schreiben?“ So sind die ersten Arbeiten entstanden, in Wien, in ganz kleinen Theatern in der  freien Szene. Nach dem Studium der Sprachkunst hatte ich das Glück, dass ich relativ viele Stipendien bekommen habe und zwei Jahre tatsächlich schreiben konnte.

Dann habe ich eine Zeit lang aufgehört zu schreiben, weil es finanziell nicht mehr ging. Ich bin nach München gezogen und habe als Dramaturgin am Residenztheater und in den Kammerspielen gearbeitet.
Dann wurde ich, wie gesagt, Mutter. Ich hatte zu dem Zeitpunkt ein Auftragswerk und die Möglichkeit zu schreiben war wieder da. Ich wusste, dass Care-Arbeit, ein Brotjob und nebenbei schreiben nicht geht. Es hat geholfen, sich so klar entscheiden zu müssen: ganz oder gar nicht. Dadurch konnte ich auch härter Honorare verhandeln.

Schreiben im Alltag und in unsicheren Lebenssituationen

Und wie beeinflusst das Schreiben euren Alltag oder eure Lebensführung jetzt aktuell?

Senka: Die Herausforderung, die ich gerade ganz stark merke, ist die Flexibilität, die notwendig ist, wenn man selbstständig ist. Ein Beispiel: ich hatte mich für Stipendium beworben, ein Aufenthaltsstipendium von einem Monat. Man bekam die Zusage zwei Wochen bevor es losgehen sollte. So nach dem Motto „okay und jetzt in zwei Wochen bist du einen Monat lang in einem anderen Land und musst schnell mal organisieren, wie du das machst.“ Es gibt viele Situationen, in denen man so flexibel sein muss. Wie geht man selbst damit um, dass da so eine Unsicherheit ist? Aber auch wie kommuniziert man das mit anderen Personen, die von einem abhängen? Wie nachhaltig ist das im eigenen Leben?

Anna Gschnitzer: Ja, das ist einfach der absolute Irrsinn. Wenn man Care-Arbeit leistet für andere Menschen, die pflegebedürftig sind, dann sind Aufenthaltsstipendium sowieso schon mal gestrichen. Und es stellt sich die Frage, will man das ein Leben lang? Immer bereit sein, jede Beziehung für ein halbes Jahr auf Ruhe zu stellen? Klar, es ist schön zu reisen, aber es passt nicht in jeden in jede Biografie.
Ich glaube, dass diese Stipendien an die Vorstellung von einem männlichen Künstler geknüpft sind, der der einsame Wolf ist, der unabhängig ist, der mit nichts verbunden ist, sondern diese Kunst für sich macht und sich zurückzieht von der Welt. Das ist nicht meine Lebensrealität und auch die von ganz vielen anderen Menschen nicht.

Annegret Liepold: Ich genieße es auch sehr einen normalen Alltag zu haben. Ich habe jetzt ein Schreibbüro, wo es eigentlich ganz langweilig ist, wo man jeden Tag hingeht. Ich bin froh, mich nicht auf Arbeitsstipendium mit Residenzpflicht bewerben zu müssen, weil ich würde so raus gerissen werden aus meiner Routine.

Heißt das, das Schreiben an sich ist gar nicht das Problem, sondern nur die unsicheren Lebensumstände?

Anna Gschnitzer: Das Schreiben an sich ist bei mir immer wieder auch ein Problem. Ich habe gerade sehr viel geschrieben. Eigentlich sagt mir mein Körper gerade: „Slow down! Nicht die ganze Zeit produzieren.“  Und das Weltgeschehen haut auch gerade richtig rein. Sich dann jeden Tag brav an den Tisch zu setzen und drei Seiten runter zuschreiben? Das finde ich gerade richtig hart. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Es ist nicht so, dass ich sage: „Hauptsache ich habe Zeit und Geld“ und dann läuft alles. Ich arbeite mich auch ganz oft am Schreiben ab und kämpfe mit jedem Satz und manchmal ist alles nur blockiert und manchmal läuft es. Schreiben ist wie eine Droge: Wenn es läuft, dann ist es richtig gut und man will immer zu diesem Gefühl zurück.

Senka: Bei mir ist es auch manchmal zäh. Ich arbeite ja an zwei Projekten parallel. Das ältere ist schon fünf Jahre alt und das andere ist noch so new and shiny, dass ich lieber daran arbeite. Es gibt Romane, die man in zwei Monaten schreibt und welche, an denen man acht Jahre sitzt, weil zum Beispiel eine lange Recherche notwendig ist. Nach drei Jahren merkt man, alles was man bis jetzt geschrieben hat, passt stilistisch nicht mehr und dann muss man alles nochmal umschreiben. Das nimmt Zeit in Anspruch und man sträubt sich innerlich so dagegen. Man hängt ja auch an einzelnen Szenen. Und vielleicht interessiert einen der Stoff inzwischen auch nicht mehr so, wie am Anfang.

Annegret Liepold: Ja, es ist ja auch anstrengend, mit sich immer so verbunden zu sein und manchmal hat man auch überhaupt keine Lust und will einfach nur im Bett liegen und nichts tun.

Habt ihr feste Schreibroutinen? Schreibt ihr immer zur selben Zeit? Oder immer drei Seiten am Tag?

Senka: Das ist eine Horrorvorstellung von mir. Ich brauche Chaos. Es ist ungewiss und schwierig mit dieser Unsicherheit arbeiten zu können. Dadurch, dass meine beiden Projekte sehr mit Recherche mit verbunden sind, kann ich immer wieder sagen: „Jetzt lese ich diesen einen Artikel und schreibe heute mal nicht.“ Meistens kommt dann sofort eine Idee und dann schreibe ich doch los. Aber ich habe überhaupt keine Struktur.

Annegret Liepold: Ich habe eigentlich schon eine Routine. Ich versuche immer vom Chaos in die Ordnung zu kommen. Wenn es nicht läuft, brauche ich ganz viel Routine. Wenn es dann läuft, ist es schön, wenn man einfach ganz viel Freiraum hat und das einfach so passieren lassen kann. Und ich lese viel. Die ganze Zeit lesen. Das ist auch das Schöne daran.

Anna Gschnitzer: Ich muss es strukturiert machen, sonst geht es nicht. Es gibt einfach am Tag nur eine begrenzte Zeit, in der ich schreiben kann und gleichzeitig gibt es auch Abgabetermine. Das hilft mir, aber man muss auch wissen, wann man Pausen braucht, wissen, wann man nicht mehr produzieren kann.

Tipps zum Schreiben, Lebensunterhalt und Professionalisierung

Wie werdet ihr besser im Schreiben? Wie verbessert ihr euren Stil oder lernt z. B. etwas über Figurenentwicklung? Es gibt ja einige Ressourcen zum Beispiel, Podcasts, Bücher übers Schreiben, Schreibwerkstätten, Workshops und Coachings.

Anna Gschnitzer: Das Studium war in dieser Hinsicht nicht hilfreich. Wir haben einfach drauf los geschrieben und einfach drauf los gefeedbackt. Ich wurde in dem Moment besser, als ich meine Erfahrungswelt als wichtig genug empfand, daraus mein literarisches Sujet zu entwickeln. Ganz viele Fragen der Konstruktionen haben sich plötzlich nicht mehr gestellt, weil da jetzt eine Welt war, mit der ich in Verbindung treten konnte. Natürlich habe ich die nicht einfach eins zu eins übertragen, sondern es gab andere Logiken, die in der Übersetzung von der Realität in die Literatur geltend gemacht wurden. Aber der Kern war stark genug, um die Worte zusammen zu halten.

Annegret Liepold: Ja. Man steht so in der Unmittelbarkeit. Mir ging es ähnlich. Bei meinem letzten Schreibprojekt war es so, dass ich erst verstehen musste, was ich eigentlich damit will. Ich hatte es im luftleeren Raum angeordnet und je konkreter es geworden ist, je konkreter die Landschaft geworden ist, desto besser ist der Text geworden.

Podcasts oder so nutze ich nicht. Sobald man einen Text vorliest und sobald ein zweiter Blick drauf kommt, verändert sich noch mal was, weil man plötzlich ehrlicher ist und merkt, dass sich etwas nicht gut anfühlt.

Senka: Ja, ganz viel Austausch ist wichtig. Ich bin viel in Werkstätten. Aber man muss auch ein bisschen aufpassen. Manche sind hilfreich, manche eher nicht, je nach Kontext und dem, woran man schreibt. Man muss an den Punkt kommen, sich selbst zu vertrauen und zu merken, okay, das hilft mir nicht, das mag ich gerade nicht haben. Aber Ressourcen rund um den Literaturbetrieb könnten hilfreich sein.

Genau das ist auch die nächste Frage. Wie professionalisiert ihr euch? Woher wisst ihr zum Beispiel, wie man sich auf Lesungen präsentiert, wie man vorliest, wie man sich auf Instagram darstellt? Oder woher wisst ihr, wie man die KSK kommt oder wie man ein Stipendium bekommt?

Anna Gschnitzer: Mühsam selbst erarbeitet und irgendwie herausgefunden. Ich hätte mir total gewünscht, dass mir das an meinem Institut beigebracht worden wäre. Aber das war nicht der Fall. Und ich finde es sehr mühsam und ich hasse es, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich mich selbst darstellen muss.

Annegret Liepold: Da kann ich mich anschließen. Man darf das auch nicht so groß werden lassen im Kopf, weil das blockiert dann auch das Schreiben. Ich habe immer das Gefühl, Schreiben ist das Gegenteil von Instagram. Wenn ich mich auf Instagram produzieren könnte, müsste ich nicht schreiben.
KSK und Bürokratie-Sachen … da bin ich froh, dass ich von anderen Künstler*innen aus meinem Umfeld ein bisschen abschöpfen konnte, was die sich schon erarbeitet hatten. Meine Nachbarin zum Beispiel ist Musikerin und immer, wenn sie was raus findet, was Rente betrifft, klingelt sie bei mir und sagt: „Ach übrigens, du musst diese Sozialversicherungsscheine alle aufheben!“

Senka: Also ich habe in der Unternehmenskommunikation gearbeitet, deswegen sehe ich soziale Medien eher wie ein Spielfeld. Wie fühlt es sich für mich an, wenn ich das so und so mache? Das ist mehr so ein Ausprobieren. Wenn ich vom Thema ausgehe, den Stoff im Fokus habe fällt mir alles leichter. Ich kann mich bei einer Lesung darauf fokussieren, was ich lese, was ich rüberbringen will. Wenn ich aber denke, „sitze ich eigentlich gerade genug? spreche ich laut genug?“, dann versteife ich mich.

Es gibt übrigens die Zeitschrift Politisch Schreiben und den Podcast „temporär & prekär“ von dem literarischen Forum Insert Female Artists. Die setzen sich damit auseinander, wie man den Literaturbetrieb inklusiver machen kann.

Anna Gschnitzer: Es gibt auch Verbände. Zum Beispiel den Verband der Theaterautor:innen. Das ist wie eine Gewerkschaft. Oder in München das Netzwerk Münchner Theatertexter*innen, da findet man Anbindung.

Wege zum Debüt, zur Literaturagentur oder zur Theateraufführung

Senka und Annegret, ihr schreibt Romane und in diesem Teil der Literatur geht es um das sogenannte Debüt, nämlich die Veröffentlichung des ersten Romans. Wie ist der Prozess?

Annegret Liepold: Man geht Schritte, die einen dahin bringen. Man kann nicht erwarten, dass man sein Manuskript irgendwo hinschickt, einen niemand kennt und dann wird man veröffentlicht. Man nimmt an Werkstätten teil, die sich an Leute richten, die noch nicht veröffentlicht haben. Man bekommt ein erstes Stipendium, man knüpft Kontakte, man gestaltet seinen Weg.

Es wird immer mehr state of the art, dass man eine Agentur findet. Man selbst kennt vielleicht drei bis fünf Lektor:innen, aber Agenturen haben eine größere Breite. Agenturen können im besten Fall einen Wettbewerb um das Manuskript entstehen lassen und begleiten einen langfristig, auch beim zweiten oder dritten Buch.

Und wie kommt man in eine Literaturagentur?

Annegret Liepold: Bei mir war es wirklich so, dass ich mich immer wieder bei Lesungen Agent:innen angesprochen haben. Ich habe dann die Agentur genommen, bei der ich dachte, das könnte passen. Ich habe mir ganz lange Zeit gelassen. Ich habe vor vier Jahren schon mal ein Stipendium [Leonhard-Ida-Wolf-Gedächtnispreis der Stadt München] bekommen und da kamen dann ganz viele Agenturen auf mich zu. Ich hatte aber nichts Fertiges und ich bin im Nachhinein ganz froh gewartet zu haben. Jetzt bin ich wirklich an einem Punkt, wo ich etwas raus schicken kann.

Senka: Ich würde auch ergänzend dazu sagen, dass es je nach Genre unterschiedliche Pfade gibt. Ich halte mich eher im Belletristik-Bereich auf. Ich habe aber das Gefühl, dass viele Stipendien und Preise Genre-Literatur ausschließen. Das hängt davon ab, wie eine Jury aufgestellt ist. Können sie eine bestimmte Art von Stoffen überhaupt beurteilen?
Es gibt im Literaturbetrieb auch bestimmte Trends. Es kann sein, dass man sich fünf Mal bei derselben Stellen bewirbt, und irgendwann ist das eigene Thema plötzlich angesagt, oder die Form, mit der man arbeitet, und dann klappt’s. Das bedeutet nicht, dass diese Trends sich auf das eigene Schreiben auswirken sollen, aber es kann sein, dass man eben wegen solchen Faktoren scheinbar auf einmal Aufmerksamkeit und Gelegenheiten bekommt.
Und ich glaube, dass Verlage nicht nur dann Interesse bekunden, wenn sie Potenzial im Debütroman sehen, sondern vielleicht auch mal hauptsächlich, weil sie die Künstler:innenperson dahinter bemerkenswert finden und die Entwicklung innerhalb der Kunstszene beobachten möchten.

Anna, du schreibst hauptsächlich für das Theater. Wie ist hier der Weg für eine erste Aufführung? Gibt es einen klassischen Weg?  

Anna Gschnitzer: Ja, es gibt einen ganz klaren klassischen Weg und der geht über Wettbewerbe und Preise. Die Preise sind sehr oft an eine Uraufführung geknüpft. Das heißt, wenn man ein Stück hat, das nicht frei ist zur Uraufführung, fällt man schon mal raus. Und es gibt einen Jugendwahn: Alle, die über 30 oder 35 sind, haben es wirklich schwer. Das heißt, man muss sehr früh wissen, was man möchte. Und man muss auch das Kapital haben. Man muss in Vorleistung gehen. Natürlich können Stipendien einem helfen, aber nicht jede:r bekommt sie und es ist ein großer Vorteil, wenn man Zeit und Geld hat zu schreiben und in Vorleistung gehen kann. Eigentlich ist der Betrieb für Menschen gemacht, die aus einer bestimmten Klasse kommen, die sehr privilegiert sind, die keine Care-Arbeit machen müssen. Das ist leider die grausame Wahrheit.

Ich bin nicht den Weg über Preise gegangen. Ich bin den Weg über kollektive Arbeit gegangen. Ich habe Leute kennengelernt und so bin ich in den Betrieb gekommen. Meine Stücke waren nie zur Uraufführung frei, deswegen konnte ich darüber keine Sichtbarkeit generieren.

Du bist in der freien Theaterszene. Wie muss man sich das vorstellen? Man sucht sich ein Kollektiv und jemand im Team schreibt einen Projektantrag, damit das Stück produziert wird?

Anna Gschnitzer: Ja genau, das war damals so, als ich in Wien angefangen habe. Jetzt bin ich nicht mehr in der freien Szene, sondern schreibe für das Stadttheater-System. Aber damals habe ich das alles selber gemacht, die Anträge selber gestellt.

Bei einem Münchner Dramatiker:innen-Preis habe ich einen Lektor vom Felix-Bloch-Erben-Verlag kennengelernt und bin unter Vertrag gekommen. Darüber habe ich Leute kennengelernt, wie den Regisseur Alex Nehrlich, mit dem ich immer wieder zusammenarbeite. Bei mir ist es so, dass die meisten Texte angebunden entstehen, an bestimmte Häuser und Personen. Ich werde wenig nachgespielt. Ich habe bis jetzt zehn Stücke geschrieben und es ist erst ein Mal vorgekommen, dass es keine Auftragsarbeit war.

Annegret Liepold: Und würdest du dir wünschen, dass du an einem Theater angestellt bist, um zu schreiben. Gibt es das?

Anna Gschnitzer: Hausautor:innen. Ja, das gibt’s. Das fände ich gut. Es ist auch nicht so, dass man denkt, jetzt habe ich ausgesorgt, weil es auch nur befristete Stellen sind. Aber man kann einmal kurz aufatmen.

Habt ihr Tipps an Schreibende, die erste Schritte in die Öffentlichkeit wagen wollen?

Anna Gschnitzer: Mir hat es schon geholfen, an einem Institut Schreiben zu studieren. Klar kann man auch viel kritisieren, aber ich hatte einen Rahmen und die Legitimation zu schreiben. Es war klar: Ich muss Texte liefern. Mir hilft Druck oder mir hilft diese Struktur. Sonst hätte ich das mit dem Schreiben, glaube ich, nicht gemacht oder ich wäre nicht weitergekommen.

Senka: Öffentlichkeit kann sehr vielfältig sein. Es kann ein Auftritt auf einer offenen Bühne sein. Es kann ein Instagram-Account sein, den man führt. Oder gibt es irgendeine Form von privat-organisierter Werkstatt in der eigenen Stadt?

Was ich noch mitgeben möchte, ist, dass man sich nicht verleiten lässt, jedes Feedback unhinterfragt anzunehmen. Es kann sehr zufällig sein, wer gerade im Publikum sitzt oder an einer Werkstatt teilnimmt. Die Reaktion des Publikums ist nicht unbedingt eins zu eins übertragbar auf eine Qualität des Textes oder die Möglichkeiten, die der Text woanders hätte. Sprich: Wenn man in die Öffentlichkeit treten möchte, dann sollte man sich erst mal fragen: „Wie geht es mir selbst damit? Wie fühlt es sich an? Fühle ich mich wohl, mit diesem Text nach außen zu treten? Wenn nicht, warum?“ Im ersten Schritt darf man sehr, sehr selbstbezogen und egozentrisch sein.

Annegret Liepold: Ja, ich glaube, das ist der Weg. Es gibt privat-organisierte Werkstätten, aber zum Beispiel auch die Bayerische Akademie des Schreibens. Das ist ein Mischweg. Nicht gleich ein ganzes Studium, aber ein strukturiertes Schreibprogramm. Das richtet sich teilweise an Studierende und man arbeitet dort mit Profis zusammen, mit Lektor:innen und Autor:innen. Es gibt Seminare, die das Schreiben sehr ernsthaft ein Jahr lang begleiten, so dass man schon mal eine Idee davon bekommt, was heißen könnte, Autor*in zu sein. Und es gibt Aufnahmeprozesse, so dass man auch hier die Legitimation findet, wenn man sie braucht.

Interview: Dr. Rebecca Faber


Anna Gschnitzer, geboren 1986, studierte u.a. am Institut für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Als Autorin, Dramaturgin und Regisseurin war sie an verschiedenen Performances, Theater- und Opernproduktionen beteiligt. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a. mit dem Jahresstipendium der LiterarMechana, dem Dramatik Stipendium der Stadt Wien und dem Publikumspreis des Münchner Förderpreises für deutschsprachige Dramatik. 2021 erhielt Sie den Publikumspreis des Heidelberger Stückemarkts für ihr Stück Einfache Leute.

Autorinnenportrait von Anna Gschnitzer. Junge Frau, kurze braune Haare, mit dem Rücken an eine Wand gelehnt. Fast alles ist im Schatten, nur Gesicht ist durch einen Lichtspalt beleuchtet
Anna Gschnitzer (c) Julian Baumann

Annegret Liepold über Schreibprozesse und "Franka". Foto. Vanessa Moenius. #AtelierMonaco-Szene
Annegret Liepold Foto: Vanessa Moenius.

Annegret Liepold schreibt an ihrem ersten Roman „Franka“. 2019 erhielt sie den Leonhard-Ida-Wolf-Gedächtnispreis der Stadt München und war Teilnehmerin der 15. Schreibwerkstatt der Jürgen-Ponto-Stiftung sowie der Romanwerkstatt im Literaturforum des Brechthauses. Ihre Kurzgeschichte „Auf dass der Tod“ wurde mit dem ersten Platz der Literaturstiftung Bayern ausgezeichnet. 2023 erhielt sie für ihren zweiten Roman „Sand“, an dem sie gerade arbeitet, eins der Literaturstipendien der Stadt München.


Senka, 1993 in Novosibirsk geboren, studierte Komparatistik in Mainz und München, war 2010 Preisträger:in beim „schreibzimmer“ im Frankfurter Literaturhaus und 2012 beim „Treffen Junger Autor:innen“ der Berliner Festspiele, ist seit 2018 Alumni der Bayerischen Akademie des Schreibens.
Senka veröffentlicht literarische Texte rund um Transnationalität und Queerness in Zeitschriften und arbeitet am Debütroman über die Verflechtung von nationaler und geschlechtlicher Identität im Eiskunstlauf.

Autor:innenportrait von Senka: Schwarz-weiß Bild. Kurze Haare, Brille, gestreifter Pulli, Kopf auf Kinn gestützt, schaut an Kamera vorbei, vielleicht auf einen Bildschirm
Senka (c) privat

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