Helene Böhlau (1856–1940) – Schreiben als Akt der Befreiung | #femaleheritage

Die Schriftstellerin Helene Böhlau emanzipierte sich schon früh von den Vorstellungen der Eltern, welche Stellung eine Frau in der Gesellschaft einzunehmen hatte. Schreiben war für sie ein Akt der Befreiung, aber auch der Emanzipation und der ökonomischen Selbstständigkeit. Sie gestaltete ihr Leben in ihrem Sinne. So galt sie in München als Kämpferin der bürgerlichen Frauenbewegung, ohne sich von dieser vereinnahmen zu lassen. Dr. Helene Falk, Urenkelin von Helene Böhlau, und Dr. Edith Hanke stellen Euch Leben und Werk dieser beeindruckenden Autorin für #femaleheritage vor.

Ich möchte auch irgend etwas thun, was schön ist, ich möchte irgend ein großes Talent haben, dann erst würde ich glücklich sein. 

Helene Böhlau, 1897
Helene Böhlau, um 1883. #femaleheritage
Helene Böhlau, um 1883

Die Schriftstellerin Helene Böhlau[1] gehört zu den stillen, weniger lauten Frauen, die leider sehr oft überhört oder übersehen werden. Auf allen Fotos, die insbesondere im reichhaltig bestückten Familienarchiv aufbewahrt sind, schaut sie fast nie direkt in die Kamera. Ihr Blick ist etwas verträumt, in die Ferne gerichtet und wirkt manchmal auch etwas müde, abgekämpft. Ihre Kleidung ist bürgerlich, einfach und dennoch elegant. Helene Böhlau hat in ihren 83 Jahren einen langen Weg zurückgelegt – einen Weg der Befreiung und weiblichen Selbstbestimmung

Helene Böhlau – was zeichnet ihr literarisches Werk aus?

Bereits für die Jugendliche war der Schreibtisch ein Rückzugsort, die Geschichten, die sie schrieb, waren mal heiter, mal kämpferisch. Sie waren aber immer inspiriert von ihren Erfahrungen und ihrem Lebensumfeld. 1882 erschienen ihre ersten Novellen als Sammlung im Berliner Verlag Wilhelm Hertz. Ab 1884 veröffentlichte Julius Rodenberg einzelne Novellen, vor allem die erfolgreichen „Ratsmädelgeschichten“, in der von ihm herausgegebenen „Deutschen Rundschau“. Beides waren in der Zeit gute und angesehene Adressen.

Helene Böhlau, Ratsmädelgeschichten, 1904. #femaleheritage Buchcover
Helene Böhlau, Ratsmädelgeschichten, 1904

Ihren letzten Roman „Die drei Herrinnen“ veröffentlichte Helene Böhlau 1937. Sie war mit ihren Weimarer Geschichteneine vielgelesene und beliebte Autorin. Ihre Geschichten spielten in der Jugendzeit ihrer Großmutter Therese Thon, dem „Gomelchen“. Liest man ihre frühen Texte und Briefe, schwingt dort in der manchmal fehlerhaften Orthographie der Weimarer Dialekt als ein liebenswürdiger, sprachlicher Lokalkolorit mit. 

Ganz anders wurde Helene Böhlau mit ihren Romanen der 1890er Jahre wahrgenommen. Sie beschrieben die Situation der Frauen scharf und waren durch die naturalistische Literatur beeinflusst, wie:

  • „Der Rangierbahnhof“ (1895), 
  • „Das Recht der Mutter“ (1897) 
  • und insbesondere „Halbtier“ (1899). 

Nun galt Helene Böhlau als Kämpferin der Frauenbewegung. Tritt man einen Schritt zurück, so wird deutlich, dass ihr Werk die Facetten ihres Lebens und ihres Charakters widerspiegelt. Sie wird einerseits als liebenswürdig und heiter beschrieben, aber auch als eigensinnig und unangepasst. 

Selbstanzeige zum Roman „Halbtier“, 1899:

Ich habe den Roman aus der Empörung heraus geschrieben, „daß die Weiber immer eine Heerde sind, die möglichst von der Tränke ferngehalten wird. Die Heerde ist nicht übermäßig durstig, denn sie hat sich voll gefressen auf saftiger Waide. Es ist zu ertragen. Ein Theil der Heerde aber hat auf dürrem Boden gegrast: diese Thiere sind gehörig durstig geworden. Sie drängen und stoßen die zufriedene Heerde. Sie wollen zur Tränke.

Helene Böhlau: Halbtier, 1900.
Helene Böhlau: Halbtier, 1900.

Helene Böhlau – Werdegang, Autonomie, Selbstbehauptung

Helene Böhlau ist die „Tochter aus gutem Hause“. Geboren wird sie am 22. November 1856 als erstes Kind des Weimarer Verlagsbuchhändlers Hermann Böhlau (1826–1900) und seiner Frau Therese, geb. Thon (1831–1911). Beide gehören zu den angesehenen Familien der Stadt. Hermann Böhlau ist ein streng gläubiger Protestant, Verleger der großen Luther-Ausgabe und der Sophien-Ausgabe von Goethes Werken. Die oft kränkliche Helene geht kaum zur Schule und wird daher Zuhause von Privatlehrern unterrichtet. Ebenso wie ihre jüngeren Schwestern Mia und Hanna soll sie kultiviert und moralisch vorbildlich für die Ehe mit einer guten Partie vorbereitet werden. 

Helene Böhlau, um 1876. #femaleheritage
Helene Böhlau, um 1876.

Die Eltern sehen die Flucht ihrer ältesten Tochter in die Literatur als bedenklich an. Helene soll sich lieber mit Stickereien, Malkunst und bürgerlicher Konversation befassen. Dazu wird sie in einen Pfarrershaushalt nach Bad Köstritz und zum Zeichenunterricht nach Dresden fortgeschickt, aber es hilft nichts. Mit 26 Jahren trägt sie im Weimarer Literaturkränzchen ihre erste Novelle vor. 

Der Vater gibt – wenn auch widerwillig – nach und vermittelt den Kontakt zum Verleger Wilhelm Hertz. Die Novellensammlung wird veröffentlicht. Während die anderen beiden Töchter längst verheiratet sind, bleibt die Älteste mit Mitte zwanzig ein „Sorgenkind“. 

1886 brennt Helene Böhlau nach langjährigem Kampf mit dem deutlich älteren und verheirateten Familienvater, ihrem Lehrer und Ratgeber, Friedrich Arnd (1839–1911) nach Konstantinopel durch – ein Skandal! Der evangelisch getaufte Arnd konvertiert zum Islam, verstößt seine Frau Therese Arnd, geb. Hauth, und heiratet Helene Böhlau in einem indischen Kloster vor den Toren des damaligen Stambuls. Friedrich Arnd heißt fortan Omar al Raschid Bey, was Helene Böhlau den exotisch klingenden und von ihr auch verwendeten Autorennamen Madame al Raschid verschafft. Die Flucht nach Konstantinopel und die Zeit dort beschreibt Helene Böhlau in ihren Romanen „In frischem Wasser“ (1891) und „Isebies“ (1911).

Omar al Raschid Bey, um 1895.
Omar al Raschid Bey, um 1895.

Leben in München

Über Umwege kommt das unkonventionelle Paar 1888 nach München und wird hier schließlich 1899 in der Seestraße sesshaft. Ermöglicht wird der Hauskauf nach vielen zermürbenden Diskussionen durch Zahlungen des Vaters Hermann Böhlau. Das Ehepaar al Raschid lebt unter prekären Bedingungen, da sich Festanstellungen von Omar al Raschid, der ursprünglich Architekt und Leiter des Geographischen Instituts in Weimar war, immer wieder zerschlagen. Als Gelehrter für fernöstliche Weisheit schafft er sich einen Jünger-Kreis in Schwabing, trägt aber nicht zur Finanzierung des Haushalts bei. Das erreicht Helene Böhlau durch ihr schriftstellerisches Werk und ihre dann doch wirksamen Familienbande. 

Helene Böhlau, um 1900. #femaleheritage
Helene Böhlau, um 1900.

Helene Böhlau und die bürgerliche Frauenbewegung

In München ist sie eingebunden in die sozialen Netzwerke der bürgerlichen Frauenbewegung. In den Mitgliederlisten des „Vereins für Fraueninteressen“ findet sich ihr Eintrag als Helene al Raschid-Böhlau, aber auch als Helene Böhlau. In der damaligen Zeit waren es Akte der Emanzipation und Eigenständigkeit, einen Doppelnamen zu führen oder den eigenen Mädchennamen trotz der Verehelichung beizubehalten. Helene Böhlau ist selbstbewusst und wohl auch stolz auf ihren Namen, der sie als Autorin bekannt gemacht hat und auf die geachtete Verlegerfamilie hinweist.

Mutterrolle und Literatin

Im Februar 1895 wird Helene Böhlau, sehr spät für die damalige Zeit, mit 38 Jahren Mutter. Mit der Geburt des gemeinsamen Sohnes, der wie sein Vater auch Omar heißt, verändert sich ihr innerer Fokus. Sie geht in der Mutterrolleauf und stellt ihre kleine, hart erkämpfte Familie an oberste Stelle. Neben dem Haus in der Seestraße erwirbt sie im Juli 1907 ein Häuschen in Widdersberg am Pilsensee. „Das seidene Nest“, wie sie es nennt, wird ihr eigentlicher, geliebter Zufluchts- und Arbeitsort. Im ersten Stock des Hauses steht noch heute ihr kleiner Schreibtisch. Ein verwunschen-stiller Platz, der viel Raum für Gedanken und kreatives Arbeiten zulässt. 

Helene Böhlau mit Sohn Omar, ca. 1905. #femaleheritage
Helene Böhlau mit Sohn Omar, ca. 1905.

Nach der Hochzeit ihres Sohnes 1921 wohnt Helene Böhlau am Pilsensee mit dem Dienstmädchen Annie. Sie arbeitet, schreibt, fährt ab und an nach München, verkehrt regelmäßig in einem kleinen theosophischen Kreis von Freunden in Breitbrunn am Ammersee. Sie kämpft sich durch die Inflationszeit, erlebt den Aufstieg des Nationalsozialismus und stirbt am 26. März 1940 im Krankenhaus in Augsburg. Ihre letzte Ruhestätte findet sie auf dem kleinen Dorffriedhof in Widdersberg.

Helene Böhlau mit dem Bey 1910 in Widdersberg. #femaleheritage
Helene Böhlau mit dem Bey 1910 in Widdersberg.

Helene Böhlaus literarisches Werk

Helene Böhlau hinterlässt ein umfangreiches literarisches Werk mit 20 Romanen und unzähligen Novellen. Bereits zu Lebzeiten erschienen ihre „Gesammelten Werke“ 1915 in sechs Bänden mit 2600 Seiten in den Berliner Verlagen Ullstein und Egon Fleischel. Eine umfangreichere Gesamtausgabe mit neun Bänden brachte der Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger in den Jahren 1927–1929 heraus. Heute tummeln sich die online-Angebote ihrer bekanntesten Werke – auch in Großdruck.

Helene Böhlau fand im Schreiben eine Möglichkeit, ihr Wesen auszudrücken und ihre tiefsten Empfindungen lebendig werden zu lassen durch ihre Romanfiguren, die sie liebevoll „meine Käuze“ nannte. Das war nicht konform mit den Konventionen ihres Elternhauses und der Heimatstadt Weimar. In diesem überschaubaren kleinstädtischen Milieu war es ein viel härterer und einsamer Kampf, diesen Lebensweg als Frau und behütete Tochter zu gehen. Das Schreiben brachte ihr öffentliche Anerkennung und mit zunehmender Bekanntheit auch Einnahmen.

Autogrammkarte 1912, Helene Böhlau. #femaleheritage
Autogrammkarte 1912, Helene Böhlau. #femaleheritage

Dies bedeutete vor allen Dingen auch: ökonomische Selbstständigkeit. Auch in ihrer spät geschlossenen Ehe hing der Unterhalt hauptsächlich von ihren Einkünften ab. Dadurch steckte Helene Böhlau schon in der modernen Doppelrolle als arbeitende Ehefrau und Mutter. Dennoch stellte sie ihr Tun ganz in den Dienst ihres Mannes und ihrer kleinen Familie. 

Äußerlich distanzierte sie sich nach 1900 von den Forderungen der Frauenbewegung und setzte sich auch gegen deren Vereinnahmung zur Wehr. Kann man das einer Frau verdenken, die sich gegen die Enge der familiären-moralischen Konventionen aufgelehnt hat, um ihren eigenen Weg zu finden? Eine Frau, die eigentlich nie Streit, sondern Harmonie und Frieden wollte, aber durch den von ihr eingeschlagenen Lebensweg gezwungen wurde, ihr nahestehende Menschen zu verletzen. „Das einzige was das Herz ruhig und glücklich macht ist: Gut miteinander zu sein“, legt sie schon der Großmutter (Gomel) in den Ratsmädelgeschichten in den Mund. 

Helene Böhlau in der Seestraße, um 1914. #femaleheritage
Helene Böhlau in der Seestraße, um 1914. #femaleheritage

Später erweitert sich Helene Böhlaus Weltsicht um die hinduistisch beeinflusste Lebensphilosophie ihres Mannes, dessen Lebenswerk „Das hohe Ziel der Erkenntnis. Aranada Upanishad“ sie 1912 herausgab. Der Satz „Tat Tvam Asi“ scheint auch zu ihrem Leben zu passen: „Das bist du“ – als Mensch mit der eigenen, inneren Stärke, unabhängig von Geschlecht, Religion und äußeren Vorschriften. 

Helene Böhlau schließt schon 1897 mit erst 40 Jahren die Geschichte „Wie die Enkelin der Ratsmädel zum Blaustumpf wurde“ mit den Worten: 

… mag es fürs erste damit genug sein, daß ich erzählt habe, wie ich zum Blaustrumpf wurde. Das alles ist nur Spaß. Wie der Ernst des Lebens an mich heran trat – der volle Ernst – und in seinem Gefolge Kummer und Not, wie ich die Arme nach Hilfe ausstreckte, wie ich verzweifelte, wie ich endlich nach langer Qual genas, davon will ich schweigen, das liegt im tiefsten Seelengrunde, für Worte kaum erreichbar. 

Dadurch, dass sie so viel durchgemacht hat, konnte sie sich vielleicht so gründlich mit dem Wesen der Menschen befassen. Womöglich lohnt es sich schon deshalb, sich heute wieder mit dieser vergessenen Schriftstellerin zu befassen.[2]

Autorinnen: Dr. Helene Falk und Dr. Edith Hanke

Ein ganz herzliches Dankeschön für diese fundierte Vorstellung der Schriftstellerin Helene Böhlau – es freut uns sehr, dass Sie zu zweit diesen großartigen Beitrag zu #femaleheritage geleistet haben!!

Edith Hanke
Edith Hanke

Edith Hanke (geb. 1962), Politikwissenschaftlerin und Historikerin. 1990 Promotion über „Leo N. Tolstoi als Kulturkritiker in der deutschen Diskussion der Jahrhundertwende“. Seit 1990 hauptberuflich für die Max Weber-Gesamtausgabe in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München tätig, als Generalredakteurin und Editorin der „Herrschaftssoziologie“. Daneben Arbeiten zu Marianne Weber, Lou Andreas-Salomé und in diesem Sommer Co-Kuratorin der Ausstellung „Bürgerwelt und Sinnenwelt. Max Webers München“. 

Helene Falk
Helene Falk

Helene Falk, Urenkelin von Helene Böhlau, geb. 1963 in München im Hause der Dichterin. Schon durch das Wohnumfeld und dadurch, dass ihre Mutter, Ruth Wegner, die Erinnerung an deren Großmutter immer wachgehalten hat, war die ganze Familie stark von deren Wirken beeinflusst. Studium der Biologie mit Promotion am Max Planck Institut in Andechs/Seewiesen. Seit 2004 im Naturschutz tätig, lebt sie seit fast 30 Jahren im Sommerhaus der Helene Böhlau auf dem Land in Widdersberg.


[1] Die Informationen zu diesem Beitrag beruhen insbesondere auf der ausführlichen, maschinenschriftlich verfassten Biographie der Enkelin Helene Böhlaus, Ruth Wegner, die Briefe und biographisches Material über Jahre gesammelt, gesichtet und transkribiert hat: Helene Böhlau. Ein Lebensbericht, 4 Bände, Widdersberg 2005, und dem Aufsatz von Hubert Amft: Auf der Suche nach der „neuen Frau“ – Leben, Werk und Frauenbild Helene Böhlaus, in: ders., Dem Geist des Ortes verpflichtet. Lebensbilder und Werk von sechs Weimarer Schriftstellerinnen, Weimar 2005, S. 99–136. Leider finden sich in den Kurzdarstellungen zu Helene Böhlau und ihrem Mann immer wieder fehlerhafte Angaben.

[2] Die größten Nachlassbestände von Helene Böhlau befinden sich in ihrer Geburtsstadt im Archiv der Klassik-Stiftung Weimar, gefolgt von den Beständen in ihrer Wahlheimat München, dort in der Bayerischen Staatsbibliothek und in der Münchner Stadtbibliothek – Monacensia. Alle hier abgebildeten Fotos stammen aus dem Familienarchiv in Widdersberg, mit Ausnahme der Autogrammkarte, die sich in der Max Weber-Arbeitsstelle der Bayerischen Akademie der Wissenschaften befindet.


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