#FAQ: Der Medientipp Diversität

Was ist der Medientipp Diversität und warum braucht es ihn?

Bei der Münchner Stadtbibliothek gibt es seit Januar den Medientipp Diversität. Wir stellen euch Medien vor, die wir für besonders geeignet halten, um Kinder- bzw. Jugendliche unterschiedlicher Identitäten zu empowern und Stereotype abzubauen.

Warum braucht es ein einen Medientipp?

Den Medientipp Diversität braucht es deshalb, weil die Geschichten, die auf den Markt kommen, meistens aus einer bestimmten Perspektive erzählt werden. Die Held*innen der Bücher sind in der Regel weiß, nicht behindert und kommen aus einer klassischen Familie mit Vater und Mutter. Auch gibt es mehr männliche als weibliche Held*innen. Es kommen zwar auch andere Figuren in den Geschichten vor, allerdings spielen sie oft eine Nebenrolle oder sind klischeehaft. Man merkt schon, dass Diversität in der Verlagswelt eine immer größere Rolle spielt und die Zeichnungen in Bilderbüchern diverser werden. Trotzdem fehlt es noch an Identifikationsfiguren für Kinder- und Jugendliche, die einer Randgruppe angehören / an den Rand gestellt werden. Geschichten, in denen Kinder und Jugendliche of Color, solche mit einer Behinderung, aus queeren Familien, mit Migrationsbiografie oder starke Mädchen die Held*innen sind, sind nicht so einfach zu finden. Und auch bei uns in der Bibliothek sind sie leicht zu übersehen. Daher haben wir daran gearbeitet diese Titel sichtbar zu machen.

Wo finde ich den Medientipp Diversität?

Die von uns zum Thema Diversität empfohlenen Titel sind alle im Katalog der Münchner Stadtbibliothek zu finden. Über die Menüleiste kann man sich unsere Medienlisten anzeigen lassen, darunter die Medienliste Diversität. In der Medienliste Diversität sind die Titel aufgeführt, die wir für euch ausgesucht haben. Ihr könnt dabei filtern, ob ihr euch Kinder- oder Jugendbücher anzeigen lassen möchtet. Dann gibt es noch die Möglichkeit eine Kategorie zu wählen, also beispielsweise Kinderbücher mit Held*innen of Color in der Hauptrolle.

Auf diese Kinderbücher wird zusätzlich ein Sticker geklebt, auf dem „Medientipp Diversität“ steht. Dadurch wird für Eltern und Erzieher*innen auch beim Stöbern in der Bibliothek gleich ersichtlich, welche Bilderbücher diversitätssensibel und diskriminierungskritisch sind.

Aufkleber Medientipp Diversität der Münchner Stadtbibliothek
An diesem Sticker könnt ihr diversitätssensible und diskriminierungskritische Medien in unseren Bibliotheken auf einen Blick erkennen.

Wie kommen Bücher in den Medientipp?

Seit 2021 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe bei uns im Haus mit dem Medientipp Diversität. Sie hat im Laufe ihrer Arbeit über 4.000 Bilderbücher recherchiert und überprüft, wo überall Diversität vorkommt und wie sie dargestellt wird. Dabei haben wir zum einem darauf geachtet, dass die Illustrationen die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Zum anderen war es uns wichtig, Geschichten zu empfehlen, die aus der Perspektive marginalisierter Kinder erzählt werden. Also von Kindern, die im Alltag Diskriminierung erfahren, weil sie zum Beispiel eine Behinderung haben, weil sie nach Deutschland migriert oder nicht weiß sind. Auch Geschichten mit starken Mädchen und Kindern aus queeren Familien wollten wir abbilden. Letztlich sind von den 4.000 betrachteten Titeln nur 519 übriggeblieben, in denen Diversität überhaupt eine Rolle gespielt hat. Die haben wir gelesen und in der Arbeitsgruppe diskutiert. Auf folgende Punkte haben wir unter anderem geachtet:

  • Welche Rolle spielt die marginalisierte Figur? Ist sie Haupt- oder Nebenfigur?
  • Welchen Beitrag leistet sie für die Entwicklung der Geschichte?
  • Gibt es einen Konflikt und wenn ja, wer löst ihn? Wer rettet wen?
  • Sind Text und Bilder frei von diskriminierender Sprache und problematischen Bildern?

Der Fragenkatalog war natürlich noch viel länger. Als Vorlage diente uns der Katalog der Kolibri Empfehlungen. Nach der Überprüfung sind letztlich noch 249 Titel übriggeblieben, die wir gerne empfehlen wollten.

Was für Bücher fanden wir problematisch?

Bei der Analyse der Bücher ist uns aufgefallen: Geschichten zum Thema Flucht sind fast immer schwierig. Denn sie zeigen die geflohenen Figuren vor allem als Opfer, die von den einheimischen Kindern gerettet werden müssen und selbst keine nennenswerten Fähigkeiten besitzen. Das vermittelt Kindern die falsche Botschaft, denn Personen, die die Flucht auf sich genommen haben, haben sehr viele Ressourcen. Sonst würden sie es gar nicht bis zu uns schaffen. Einheimische Kinder können von ihnen sehr wohl auch etwas lernen. Für geflohene Kinder sind solche Bücher nicht hilfreich, sie bieten ihnen keine Identifikationsfläche und einheimische Kinder bekommen eine sehr stereotype Sicht auf Geflüchtete mit, die den Kontakt mit ihnen negativ beeinflussen kann.

Auch Sachbücher über andere Länder und Kulturen sind oft nicht diskriminierungskritisch. Die Menschen in Afrika werden meistens barfuß und vor Strohhütten gezeigt. Asiat*innen werden seltsame Essgewohnheiten zugeschrieben und die Kinder in anderen Ländern haben außergewöhnliche Schulräume (zum Beispiel auf einem Hausboot). Dadurch vermitteln diese Bücher den Kindern eine bestimmte Sicht auf die Welt: Wir in Deutschland sind zivilisiert, die Menschen in anderen Ländern sind es nicht oder mindestens exotisch. Dabei gibt es auf allen Kontinenten Millionenstädte, Kunst und Kultur und die Essgewohnheiten und Sitten unterscheiden sich von Region zu Region. Auf anderen Kontinenten sind sie genauso vielfältig wie bei uns in Europa.

Woher wissen wir, dass die ausgewählten Medien auch wirklich diskriminierungskritisch sind?

Wir haben die Vorschläge für den Medientipp Diversität sehr gewissenhaft ausgewählt. Da wir in der Arbeitsgruppe uns aber nicht in Personen einfühlen können, die queer, nicht weiß oder behindert sind, haben wir Vertreter*innen aus entsprechenden Communitys darum gebeten, unsere Auswahl kritisch zu prüfen. Einige Titel haben wir dann wieder aus der Empfehlungsliste genommen, weil sie beispielsweise Motive enthielten, die aus der Perspektive einer Person of Color dann doch Rassismus reproduzieren. Andere Titel wurden von unseren queeren Leser*innen aussortiert, weil sie sie zu stereotyp fanden und auch bei den Geschichten, die sich um behinderte Held*innen drehen, sind einige rausgeflogen. Eine unserer kritischen Leser*innen fand zum Beispiel nicht passend, dass behinderte Figuren in manchen Geschichten nur darauf reduziert werden zu leiden und auf Hilfe angewiesen zu sein.

Wie geht es jetzt weiter?

In den letzten Monaten haben wir neu angeschaffte Titel überprüft und gegebenenfalls in die Liste mit aufgenommen. Und wir haben angefangen, Jugendbücher mit in den Medientipp Diversität aufzunehmen. Da wir diese aber nicht alle lesen können, verfahren wir hier etwas anders: Wir überprüfen, wer die Autor*innen der Bücher sind. Wenn sie selbst einen biografischen Bezug haben, weil sie beispielsweise queer sind, eine Behinderung haben, migriert oder nicht weiß sind und das jeweilige Buch von Community Blogs empfohlen wird, empfehlen wir es auch. Auf diese Weise wollen wir in den kommenden Monaten die Empfehlungen im Jugendbuchbereich ausbauen. Anders als die Kinderbücher bekommen diese Titel allerdings nicht den Sticker „Medientipp Diversität“. In der Empfehlungsliste im Katalog sind sie jedoch zu finden.  

Verfasst von der 360°-Agentin für kulturelle Vielfalt und Diversitätsentwicklung

mehr zu Diversität bei der Münchner Stadtbibliothek



Kommentar zu “#FAQ: Der Medientipp Diversität

  1. Catherine Fuchs on 10/04/2024 at 8:34 pm sagt:

    Liebes Team der Münchner Stadtbibliothek,

    ich lese den obigen Artikel und habe fast Tränen in den Augen. Besten Dank dafür, dass Sie zum einen den Bedarf gesehen haben, neben den typischen Rollenklischees auch Bücher mit mehr Diversität anzubieten.
    Und zum anderen, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, diese Bücher so genau zu prüfen.

    Meine Tochter wurde 2015 in Haiti geboren und ich habe sie adoptiert. Seit 2017 leben wir gemeinsam in Karlsfeld und nutzen das Angebot der Münchner Stadtbibliothek sehr häufig. Wir haben immer nach Büchern mit dunkelhäutigen Protagonisten gesucht oder nach weiblichen Heldinnen. Mit ihren Kolleginnen am Rosenheimer Platz und in Allach habe ich immer wieder darüber gesprochen, dass es bisher nur wenig Auswahl dazu in Ihrem Portfolio gab. Daher freuen wir uns sehr, dass sich das nun ändert.
    Wir werden gleich einige Bücher bestellen und lesen.
    Falls Sie mal wieder Testleser benötigen, würde sich meine Tochter gerne zur Verfügung stellen.
    Besten Dank nochmal für Ihre Initiative. Ich werde den Artikel gerne in den sozialen Netzwerken teilen.
    Viele Grüße,
    Catherine Fuchs

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