Was möchte das Künstlerinnenkollektiv D.O.C.H. aus Bremen bewirken? Was zeichnet sie und ihre Kunst aus? Welche Frauen taugen ihnen warum als Vorbild? Fragen über Fragen, die Natalie Reinsch im Interview mit den Künstlerinnen stellt – faszinierend und einnehmend die Antworten und Analysen. Ein fabelhafter Beitrag zu #femaleheritage!
D.O.C.H. – ein Künstlerinnenkollektiv formiert sich um die Risographie
Im Jahr 2014 jobbten zwei Design-Studentinnen der Hochschule für Künste Bremen auf dem Comicfestival Fumetto in Luzern. Sie halfen unter anderem männlichen Kollegen ihre Kunstinstallation aufzubauen. Danach fragten sie sich: Wieso stellen wir nicht selber aus?
Gesagt, getan. Noch auf dem Rückweg nach Bremen fassten Caro Klapp (geb. 1989 in Hann Münden) und Lulu Mendelova (geb. 1983 in Bratislava, Slowakei) den Entschluss, in Zukunft ihre eigene Kunst zu produzieren, kauften einen Riso-Drucker und mieteten ein Atelier.
Risographie ist eine ökologische Drucktechnik, die in den 1980er Jahren in Japan entwickelt wurde. Diese Schablonendrucktechnik ähnelt dem Siebdruck, ist aber mechanisch und dadurch schneller. Aufgrund ihrer matten Farbleuchtkraft und dem Charme der Imperfektion erlebt die Risographie bei Künstler*innen und Designer*innen aktuell ein Revival.
Im Laufe der Zeit stießen Julia Dambuk (geb. 1984 in Dresden), Karin Demuth (geb. 1984 in Altenkirchen) und Katharina Dacrés (geb. 1986 in Paderborn) hinzu. Karin Demuth studierte Kunstpädagogik und Audio visuelle Medien in Ottersberg, Köln und Bogotá (Kolumbien). Julia Dambuk und Katharina Dacrés studierten wie Caro Klapp und Lulu Mendelova an der HfK Bremen Design.
Positive Widerständigkeit
Der Name D.O.C.H. hat eine besondere Bedeutung. Als Slowakin war Lulu Mendelova stets fasziniert von dem deutschen Wort „doch“, das es in anderen Sprachen so nicht gibt. „Doch“ – könne man auf eine negative Aussage („Das kannst du nicht“) erwidern und auf diese Weise positiv umformen. D.O.C.H. ist die Grundhaltung dieses Künstlerinnenkollektivs, die Art und Weise, wie sie Problemen und auch allem anderen begegnen.
Wir begreifen D.O.C.H. als Ausdruck von positiver Widerständigkeit.
Caro Klapp
„Relax your Brain“ – eine Performance an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung, Meditation und Selbstbestimmung
Am 16. September 2018 veranstaltete D.O.C.H. im Rahmen der Veranstaltung Offene Ateliers im Künstlerhaus Bremen die Performance „Relax your Brain. The Universe is D.O.C.H. expanding“. In die Performance flossen unterschiedliche Erfahrungen der Künstlerinnen ein, da jede von ihnen ein anderes „Reizthema“ hat.
Caro Klapp berichtet von der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Stress, wie sie ihn beispielsweise während des Studiums oder im künstlerischen Prozess erlebte und erlebt. Stress zu haben oder „busy zu sein“ sei in unserer Gesellschaft ein Statussymbol. Gleichzeitig gilt es, sich des Stresses zu erwehren. Entspannungsmethoden sind en vogue, wie die, um nur eine zu nennen, ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response). Bei dieser Methode geht es darum, in einen Zustand der völligen Entspannung zu gelangen oder auch darum, ein Kribbeln im Kopf herzustellen. Dies kann durch bestimmte Auslöser, wie Geräusche oder auch visuelle und physische Reize erreicht werden.
Lulu Mendelova setzt sich in ihrer Arbeit viel mit Virtual Reality auseinander. Sie fasziniert die Grenze von Menschlichkeit und Technik:
- wie Technik das Menschenseins erweitert,
- wo finden die Übergänge statt
- oder auch die Frage, ob die Technik uns besser macht.
Karin Demuth brachte ihre Erfahrungen als Videokünstlerin in das Projekt mit ein. Sie fügte verschiedene Videos, Fotos und Zeichnungen, die die Mitglieder der Gruppe erstellt haben, zu einer bewegten Collage zusammen.
Bei der Performance befanden sich die Teilnehmer*innen in einem dunklen Raum. Dieser wurde nur durch die Videoprojektionen an Decke und Wänden erhellt. Eine gefilterte Stimme, gesprochen von Caro Klapp, fragte die Teilnehmer*innen „Kannst du dein Gehirn spüren?“ Das Publikum wird also mitgenommen auf eine Reise in die physiognomische Struktur des Gehirns. Gedankengänge werden durch abstrakte Bildwelten visualisiert und von einer Stimme angeleitet. Der Eindruck einer geführten Meditation entsteht. Diese wird begleitet von subtilen Störgeräuschen in der ansonsten angenehm atmosphärischen Klangwelt. Die Stimme benennt Denkstrukturen und Reaktionsmuster und hinterfragt sie dadurch.
Im Zusammenspiel von bewegten Bildern und Sound werden neue Räume geschaffen sowie Emotionen erzeugt und verstärkt. Das Ziel der Performance ist eine experimentelle Selbsterfahrung über die Zusammenarbeit von Gehirn und digitalen Medien und soll eine Reflexion über deren Nutzung sowie die Auslagerung von Wissen ermöglichen.
Die Serie „Inspiring Women“
2019 begannen die Künstlerinnen mit der Serie „Inspiring Women“. Die Auseinandersetzung mit inspirierenden Frauen entstand aus der Diskussion darüber, dass immer viel über Männer gesprochen werde und diese auch sichtbar seien. D.O.C.H. fragte sich, „was wir für coole Frauen kennen.“ Ausschlaggebend war auch die Frage: „Was für weibliche Vorbilder hatte ich als Kind?“
Zwischen Punkrock und Kloster: Patti Smith und Corita Kent von Julia Dambuk
Darauf wusste Julia Dambuk zunächst keine Antwort. Als Kind war sie mit Grimms Märchen aufgewachsen. Für die Serie „Inspiring Women“ schuf sie eine Risographie von Patti Smith mit dem Zitat „I didn’t waste my time on things I don’t love“. An der 1946 geborenen US-amerikanischen Lyrikerin und „Godmother of Punk“ bewundert sie ihr künstlerisches Handeln und die Tatsache, dass sie sich selbst treu blieb.
Als Gegenentwurf zur Risographie von Patti Smith, deren erste LP mit dem Liedtext „Jesus died for someone’s sins, but not mine“, wirkt die Risographie über die Nonne Corita Kent. Julia Dambuk ordnete die „10 Rules für Students, Teachers, and Life“ als Flugblatt in die Mitte einer großen Sprechblase an. Diese wird von Corita Kent gesprochen: Sie ist im unteren Bildteil rechts und links spiegelbildlich in ihrem Habit dargestellt. In der Mitte sticht Regel Nr. 7 „The only rule is work“ hervor. Der Text hing in der Siebdruckwerkstatt der Hochschule für Künste, wo Julia Dambuk zum ersten Mal auf Kent aufmerksam wurde, die sie als „Koryphäe des Siebdrucks“ bezeichnet. Aber an dieser ungewöhnlichen Frau fasziniert Julia Dambuk nicht nur ihre moderne grafische Bildsprache, sondern auch ihr Einsatz für Frieden in den 1960er Jahren.
Wenn sie ein Mann gewesen wäre, würde sie jeder kennen.
Katharina Dacrés
Katharina Dacrés Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenbildern anhand von Arya Stark und Laurie Penny
Katharina Dacrés porträtierte Arya Stark. Diese fiktive Figur aus „Game of Thrones“ wird von der Künstlerin mit einem durch einen Schrei verzerrten Gesicht und einem Schwert in der Hand dargestellt. Arya Stark ist in der Serie eine der beiden Königstöchter, die sich aber nicht in ihre Mädchenrolle einfügt, sondern sich wie ein Tomboy verhält. Als Kämpferin rächt sie den Mord an ihrem Vater. Katharina Dacrés bezeichnet sie als „stark, unabhängig und unbesiegbar, obwohl sie klein und zart ist“ und hebt die starken Frauenfiguren und differenzierten Charaktere der Serie „Game of Thrones“ hervor.
Um Selbstverteidigung geht es auch bei einer weiteren Risographie von Katharina Dacrés aus der Serie „Inspiring Women“ – allerdings um eine verbale Form sich selbst zu verteidigen. Katharina Dacrés hat die britische Feministin Laurie Penny porträtiert. Diese legte 2011 mit ihrem ersten Buch „Meat Market. Female Flesh under Capitalism“ den alltäglichen Sexismus in der Gesellschaft offen. Katharina Dacrés fasziniert an Penny vor allem, wie sie es in Diskussionen schafft, trotz massiver Anfeindungen, ihren Standpunkt zu verteidigen und sich nicht verunsichern zu lassen.
Die politische Dimension: Leila Khaled, Susan Sontag, Carola Rackete und Imke Müller-Hellmann von Karin Demuth
Erfahrung mit Gegenwind haben auch die von Karin Demuth porträtierten Frauen aus der Serie „Inspiring Women“. Hier könnte die Bandbreite kaum größer sein. Mit Leila Khaled porträtierte Karin Demuth eine palästinensische Frau, die in ihrer Heimat als „Heldin, Widerstandskämpferin und Vorbild [gilt] während der Westen sie als Terroristin abtut.“ Karin Demuth begegnete Darstellungen von Leila Khaled auf ihren Reisen nach Israel und Palästina. Dass Khaled sich mehreren Schönheitsoperationen unterzog, damit sie bei weiteren Flugzeugentführungen nicht erkannt werden würde, stellt für die Künstlerin „das Gegenteil von Schamlippen-Normierung“ dar.
Ebenfalls politisch aktiv war die zweite von Karin Demuth porträtierte Frau: Susan Sontag. Die 1933 geborene Schriftstellerin setzte sich ebenfalls für ihre Überzeugungen, etwa den Kampf für Menschenrechte, ein. Demuth bewundert an ihr „die bestechend gute Wissenschaftlerin, deren Theorien mir sehr oft neue Perspektiven verschafften“.
Der Kampf für die Menschenrechte bestimmt auch das Handeln von Carola Rackete. Die Kapitänin der Sea-Watch-3 rettete im Juni 2019 53 Geflüchtete aus dem Mittelmeer und brachte sie entgegen des Verbots italienischer Behörden nach Lampedusa. Laut Karin Demuth stellte sie somit „Menschenrechte über fragwürdige Einreisebestimmungen“. Als erste Frau durfte sie die Eröffnungsrede beim Kapitänstag halte. Das macht Karin Demuth zufolge klar, dass sich diese beeindruckende und meinungsstarke Frau in einem männerdominierten Berufsfeld Gehör verschafft hat.
Bei einer Veranstaltung von D.O.C.H. las 2019 die Bremer Autorin Imke Müller-Hellmann. Die Zeichnungen, die anlässlich ihrer Lesung entstanden, hat Karin Demuth mit einer Fotografie der Autorin zu einer weiteren Risographie aus der Reihe „Inspiring Women“ arrangiert. Für die Künstlerin ist die Autorin Müller-Hellmann ein feministisches Vorbild aus ihrem Umfeld.
Mit spitzer Feder: Virginia Woolf by Lulu Mendelova
Eine ästhetisch sehr ansprechende Risographie von Virginia Woolf hat Lulu Mendelova geschaffen. Die zarten Gesichtszüge werden von ihrem mit Feder geschriebenen Text umrahmt. Lulu Mendelova zitiert die Schriftstellerin mit den Worten:
Women have served all these centuries as looking glasses possessing the magic and delicious power of reflecting the figure of man at twice its natural size.
Mit diesem Zitat unterstreicht sie die Funktion, die Frauen über Jahrhunderte zukam, nämlich eine Brille zur doppelten Vergrößerung des Mannes zu sein. Virginia Woolf begnügte sich jedoch nicht mit der ihr im viktorianischen Zeitalter zugedachten Rolle.
A woman must have money and a room of her own if she ist o write fiction.
Diesen Satz von Virginia Woolf hält Lulu Mendelova auch heute noch für aktuell.
Gleichberechtigung im Kunstbereich? Fehlanzeige!
Dass es trotz aller Errungenschaften auch heute noch für Frauen im künstlerischen Bereich, in der Politik und in der Gesellschaft kein Zuckerschlecken ist, einen Platz einzunehmen und zu behaupten, davon können die Künstlerinnen von D.O.C.H. ein Lied singen.
Spätestens mit der Schwangerschaft oder Geburt eines Kindes und der Rolle als Mutter werde es für Frauen sehr viel schwerer, weiter am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder künstlerisch aktiv zu sein. Julia Dambuk kritisiert beispielsweise, dass es keine Stipendienprogramme gebe, die sich speziell an Künstlerinnen mit Kindern wenden.
Mutter und Künstlerin sein unter Corona-Bedingungen
Drei der fünf D.O.C.H. Künstlerinnen sind auch Mütter. Wie schwer es ist seine Kunst umzusetzen und dabei noch ein Kind zu betreuen, haben sie vor allem in diesem Jahr erlebt, indem durch die Corona-Pandemie die Kinderbetreuung entfiel. Es ist praktisch nicht möglich. Karin Demuth hat allerdings einen Weg gefunden: Das Kind in den künstlerischen Prozess miteinzubeziehen. Entstanden ist der C-Print „pandemic mum“. Darauf sind sämtliche Aufgaben zu erkennen, die sie als Mutter in Pandemiezeiten zu bewältigen hatte:
- entertainer,
- social care worker,
- teacher,
- psychotherapist,
- playmate,
- key motivator und viele mehr.
Die Künstlerinnen von D.O.C.H. greifen aktuelle Themen und gesellschaftliche Debatten, wie beispielsweise Stress, Digitalität, Gleichberechtigung und die Corona-Pandemie auf. Kennzeichnend ist dabei ihr empowernder Stil, mit dem sie auch als Vorbild dienen können: Dass es eben D.O.C.H. möglich ist, positiv widerständig zu sein.
Autorin: Natalie Reinsch
Wir sind begeistert und danken sehr für diesen spannenden Beitrag zum Künstlerinnenkollektiv D.O.C.H. – merci beaucoup!
Der Artikel entstand aus einem Interview, das am 21. November 2020 im Atelier des Künstlerinnenkollektivs im Bremer Künstlerhaus digital und analog mit den Künstlerinnen stattfand.
Mehr Informationen zu D.O.C.H. unter: Website | Instagram | Facebook
Natalie Reinsch, Historikerin, Bremen 2019
Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Mittelalterlichen Geschichte und Politikwissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
Ausstellungskuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, u.a. im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, derzeit für den Museumsverband Niedersachsen und Bremen e.V.
Veröffentlichungen: Horst Brandstätter und die Frage der (Un)Freiheit. Ein schwäbischer Intellektueller, Netzwerker und Kulturvermittler, Katalog zur Ausstellung im Württembergischen Kunstverein, 10. Juli bis 30. August 2020, Stuttgart 2020.
Französische Kinder deutscher Väter – „Enfants de boche“: Erben der Besatzungszeit, in: Damals 44 (2012), S. 60-64.
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