Drei Romane, in denen kräftig während der 1980er Jahre gemordet wird. Vorgetäuschte Autounfälle, Schlachtfeste in den Bergen, vergiftete Regenschirmspitzen oder Mörder mit Baseballschlägern, die Lucille aus „Walking Dead“ alle Ehre machen würde – für jeden Geschmack ist etwas dabei. (Ein Klick aufs jeweilige Cover führt in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Bestellen.)
Luca D’Andrea: Der Tod so kalt (480 Seiten, DVA)
Eines musst du noch wissen, ehe ich dir von dem Massaker erzähle. Solche Unwetter sind nicht vorhersehbar. Selbst heute mit all dem elektronischen Zeugs weiß man nur, dass es Regen und ein ordentliches Gewitter gibt. Wie schlimm es wird, kann man nicht sagen. Deshalb zogen sie trotzdem los.
1985: Ein Massaker an drei jungen Leuten während eine Gewitters in den Bergen von Südtirol, ein eingeschworenes Bergdorf, das sich seit knapp 30 Jahren in Schweigen hüllt und eine junger, ambitionierter Drehbuchautor mit einer Familie, wie sie im Buche steht – und nach wenigen Seiten sitzt man auch schon mit dem Großvater der Familie Schnaps trinkend am Tisch und lauscht seinen Geschichten.
Da möchte man glatt die nächste Höhlen- oder Schluchtenwanderung buchen, ohne Gewitter und Blutlachen natürlich. Nur auf die nervige Tochter und ihre neunmalkluge Art könnte ich gut und gerne verzichten, aber das ist Jammern auf hohem Unterhaltungsniveau …
E. O. Chirovici: Das Buch der Spiegel (384 Seiten, Goldmann)
Kein Satz ist hier zu viel, nichts wird in der Handlung in die Länge gezogen (bei Thrillern doch gerne mal üblich), und bis zum Schluss bleibt es spannend: Wer hat im Herbst 1987 den angesehenen Professor Joseph Wieder in Princeton ermordet?
Ein Mann, Richard Flynn, schickt ein unfertiges Manuskript an einen Literaturagenten, Peter Katz. Neugierig geworden möchte Katz vom Autor auch den Rest noch lesen. Nur leider ist Flynn mittlerweile verstorben und bricht der Text genau an der Stelle ab, an der man mehr über den Mord an dem Professor erfahren hätte.
Jeder Teil des Romans ist aus einer anderen Perspektive geschrieben. Aus der Sicht von Flynn, der seine Erinnerungen an die Ereignisse im Manuskript festgehalten hat. Aus der Sicht von Katz, der einen Freund, John Keller, anheuert das Manuskript zu finden. Keller wiederum war früher selbst Autor und journalistisch für verschiedene Nachrichtenmagazine tätig und trifft sich mit Personen, die damals zu den Verdächtigen gehörten und auch mit einem ehemaligen Ermittler, Roy Freeman, der im Mordfall ermittelte. Freeman, angestachelt durch die erneuten Untersuchen, durchforstet abermals sein Gehirn und die Beweise ganz neu.
Alle Beteiligten legen ihre Sichtweise des Vergangenen dar, aber welche Erinnerung von vor über 25 Jahren ist richtig?
Hattest du noch die das Gefühl, dass du etwas schon einmal erlebt hast, schon mal an diesem Ort warst? Und dann erfährst du, dass du dort noch nie gewesen bist, sondern nur als Kind Geschichten darüber gehört hast? Dein Gedächtnis hat lediglich die Erinnerung daran gelöscht, dass dir die Geschichte erzählt wurde, und durch ein reales Erlebnis ersetzt.“
Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion (528 Seiten, Rowohlt Verlag)
Ich gebe es zu: Ich musste googeln am Anfang, aber umso mehr habe ich mich amüsiert.
Der Philosoph Roland Barthes wurde 1980 nach einem Mittagessen mit dem französischen Präsidentschaftskandidaten Mitterand von einem Lieferwagen angefahren und starb kurz darauf im Krankenhaus (das erste Mal gegoogelt: Aha, Roland Barthes gab es ja wirklich). Jacques Bayard, Kommissar und Haudegen vom alten Schlag, untersucht den Fall und muss sich mit dem Who-is-Who der französischen Intellektuellen auseinandersetzen (mindestens schon das dritte Mal gegoogelt: Derrida, Althusser und viele mehr, aha, ich verstehe).
Das Fazit nach den ersten Zeugenbefragungen im intellektuellen Milieu: Bayard versteht kein Wort (und ich auch nicht). Unterstützung holt er sich daher von einem jungen Doktoranden der Sprachwissenschaften, Simon Herzog. Und so sehr mich Bayard an Columbo erinnert (hach), so sehr erinnert mich Simon Herzog an Dr. Watson (den BBC-Watson). Schon ihre erste Begegnung sprüht vor gegenseitiger Zuneigung und Humor. Herzog erkennt in drei Minuten, wie Bayard tickt, denkt und fühlt, und das nur anhand von Sprache, Kleidung und Bewegungen – geschmeidig zu lesen.
Der Autor selbst bezeichnet den Roman als „semiotischen Kriminalroman“. Die Bedeutung von 007, M und Q bei James Bond wird geklärt, ein lüsterner Umberto Eco trinkt, philosophiert und erklärt die Semiotik (gegoogelt), der russische und bulgarische Geheimdienst ist immer irgendwie präsent (aber wirklich immer), und ein Geheimbund für Rhetorikduelle führt zu Fingerverlust und weiteren skurrile Begegnungen mit den großen Philosophen dieser Zeit.
Ein spannendes und satirisches Lesevergnügen, und am besten niemals den Erzähler vertrauen (spätestens bei einer Beerdigungsszene nochmal googeln). Und trotz dessen, dass auf jeder zweiten Seiten semiotisch und rhetorisch philosophiert und genüsslich geraucht wird (die 80er halt), wurde ich bei der Lektüre auf Entzug nicht schwach.
Abschließend hätte ich an dieser Stelle jetzt massenhaft Zitate auffahren können, voller Erleuchtung und Bedeutung, aber das Buch war schneller wieder im Leihverkehr, als ich „Semiotik“ sagen konnten. Daher beschränke ich mich auf:
Ein Türsteher, der aussieht wie alle Türsteher, nur dass er eine Gucci-Sonnenbrille, eine Prada-Armbanduhr, ein Versace-Anzug und eine Armani-Krawatte trägt.
Deutet die Zeichen!