Alexandra Reinwarth: Am Arsch vorbei geht auch ein Weg (Ratgeber)
Habt ihr heute schon mal Ja gesagt, obwohl ihr eigentlich „Zur Hölle, nein!“ gemeint habt? Euch über den uneinsichtigen Partner, die nörgelnde Freundin oder das schnippisch klingende Kommentar des Kollegen aufgeregt? Oder vermiest euch gerade irgendein Aspekt der eigenen Optik (müsste mal wieder zum Friseur, Hose spannt, etc.) die Laune? Dann ist „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg: Wie sich dein Leben verbessert, wenn du dich endlich locker machst“ von Alexandra Reinwarth vielleicht auch etwas für euch. Ich habe den Sachbuch-Bestseller gelesen und mir vier Wochen Zeit gegeben, ihn zu testen.
Ich gehöre zu den Menschen, die sich immer zu viele Gedanken machen. Um den Beruf und die Kollegen, die Familie, die Freunde. Auch deshalb habe ich dieses witzige Buch gelesen und möchte behaupten, dass sich viele Leser dort wiederfinden werden: Die eigene Familie kann man sich nun mal nicht aussuchen, in der Liebe stellt man sich sowieso meistens umständlich an und gerade im Job kann man sich natürlich nicht durchgehend benehmen, wie es einem passt. Doch um alte Gewohnheiten zu ändern braucht es Zeit. Gerade, wenn man sich immer wieder fragt: Was mache ich eigentlich hier? Will ich das wirklich? Der Januar, den ich für meinen Selbstversuch eingeplant habe, wird sicher nicht reichen, ist aber ein Anfang.
Zum Buch selbst: Die Autorin, Verfasserin von einigen Titeln, die zur Verbesserung des Lebens anregen, hat ihr Buch mit dem provokanten Titel in die gängigsten „Zu viele Gedanken machen“-Bereiche gegliedert: Die eigene Person, Freunde, Bekannte und Unbekannte, die Familie, Beruf, Eltern & Kinder sowie die Liebe. In „Am Arsch vorbei“ ruft Reinwarth nicht dazu auf, zum totalen Egoisten zu mutieren, der seine Belange über das aller anderen stellt. Sie will eher dazu animieren, sich über seine Prioritäten klar zu werden: weniger Zeit mit Menschen zu verbringen die man eigentlich nicht leiden kann, an Orten, die einem nicht gefallen, und Dinge zu tun, die man eigentlich nicht unbedingt machen will. Gleichzeitig rät sie zu mehr Lockerheit, um unverkrampfter auf Situationen und Menschen zuzugehen und sich von diesen und deren Reaktion auch mal überraschen zu lassen. Die Quintessenz die sie mit „Am Arsch vorbei“ vermitteln will, ist, regelmäßig in sich hinein zu hören um sich dann im Zweifelsfall zu fragen: Ist es wirklich mein Wunsch, das zu tun, oder mache ich hier etwas um jemand anderen Willens, aus alter Gewohnheit oder schierem Gefallen-Wollen mit? Nervt mich das sogar selbst, was ich hier tue? Und wenn ja, kann ich es ändern? Wenn die Antwort wieder „ja“ ist, dann ist eine Änderung angesagt! Und wenn nicht: Am Arsch vorbei!
Der Anfang meines Selbstversuchs läuft eher schleppend; erst in der zweiten Januarwoche merke ich, dass ich langsam die Grundsätze zu Prioritäten und Lockerheit verinnerliche: Ich sage zum ersten Mal bewusst Nein zu jemandem und etwas, den und das ich sehr mag – weil ich einfach meine Ruhe will. Ich arbeite lange, es regnet, ich muss noch Wäsche waschen, und ohnehin ist Montag. Später ist ein Treffen mit einer Freundin geplant, aber ich fühle mich in etwa so frisch wie eine nasse Butterbrezel. Ich unterdrücke meine sofort einsetzenden Schuldgefühle, sage ab und fühle ich mich gleich besser. Als wir uns dann ein paar Tage später treffen, erzählt sie mir, wie gut ihr selbst der ruhige Abend getan hat, an dem wir uns eigentlich treffen wollten.
In diesem Moment wird mir reichlich spät etwas klar: Dass die Welt sich tatsächlich weiter drehen wird, wenn ich mal Nein sage. Wenn ich etwas absage. Wenn ich nicht das mache, was von mir erwartet wird. Wenn ich nicht gegen mein Bauchgefühl hantiere. Es ist, als ob ein Knoten platzt.
Ich schleppe mich nach einem beinahe 13 Stunden langen Tag nicht mehr zum Sport. Mein Bruder will, dass ich zu einem Konzert einer obskuren Indie-Band aus Hinterduppfenhausen, die nur aus zwei Leuten und einem Banjo besteht, mitkomme, weil ich bei so etwas bisher immer mitgekommen bin? Nicht mehr mit mir, mein Lieber! Die Schwiegermama will uns noch acht Kilo Reste nach der sonntäglichen Einladung mitgeben, an dem wir eine ganze Woche Essen werden? Das war einmal! Es ist schön und es ist befreiend, und vor allen Dingen sind es nicht die großen Dinge, die sich durch meine neue Einstellung schlagartig ändern, sondern die kleinen, alltäglichen. (Die alle aufzuzählen würde aber leider den Platz hier sprengen.) Ich merke, dass ich mich nicht nur weniger über mein Umfeld ärgere, sondern auch viel weniger über mich selbst, weil ich mehr Acht auf mich und meine Wünsche gebe. Und dass ich noch gemocht werde, wenn ich nicht immer zu allem Ja sage. Und wenn nicht: Na und? (Ihr wisst schon: Am Arsch vorbei…)
Fazit: Ein sehr kurzweiliges Buch, dass trotz teilweise flapsiger Schreibweise gute Tipps bietet, ohne zu sehr ins Schulmeisterliche abzudriften. Hoffentlich kann ich einiges beibehalten. Ab und zu habe ich natürlich arge Rückfälle ins Gefallen-Wollen, aber ich arbeite daran. Ich werde meinen Bruder tatsächlich bald auch mal wieder auf das Konzert einer weitgehend unbekannten finnischen Brass-Band begleiten aber das auch nur, weil ICH gerne Zeit mit ihm verbringen MÖCHTE. Dann auch gerne in Hinterduppfenhausen.