Hydra mit fünf Köpfen

„Mustang“ von Deniz Gamze Ergüven (Film)

Ein idyllischer, farbenfroher Sommertag in einem türkischen Dorf, 1000 km entfernt von Istanbul. Lale und ihre vier älteren Schwestern albern nach der Schule mit ein paar Jungs aus ihrer Klasse im Meer herum, sie setzen sich auf die Schultern ihrer Klassenkameraden und spielen fröhlich und unbeschwert im Wasser…

Eine Nachbarin beobachtet sie dabei und berichtet ihrem Onkel und der Großmutter, bei denen die Mädchen leben von deren „unzüchtigem“ und „obzönem“ Verhalten. Die Großmutter reagiert mit Ohrfeigen und Arrest und der Onkel erzwingt, dass die Älteste sich einer Untersuchung des Jungfernhäutchens im Krankenhaus unterziehen muss, bezeichnet sie alle gar als „Schlampen.“

mustangDie Mädchen reagieren mit Wut und Revolte, und durch trickreiche Manöver gelingt es den Schwestern, ihre Lebensfreude zu bewahren. So überklettern die Mädchen die Hausmauer und besuchen unerlaubterweise ein Fußballspiel. Auf der Fahrt im Bus und im Stadion herrscht Partystimmung. Das Spiel wird im Fernsehen übertragen und auch im Dorf gesehen. Entsetzt bemerken die Frauen in der Küche unter den begeisterten Zuschauerinnen die fünf Mädchen und drehen schnell die Sicherungen heraus, legen die komplette Stromversorgung im Dorf lahm, sodass die Männer nichts von diesem unerlaubten Ausflug erfahren. Doch die Erleichterung ist nur von kurzer Dauer.

Nach und nach wird das Wohnhaus der Schwestern in ein Gefängnis verwandelt: Stacheldrahtzaun, Vergitterung der Fenster, Schulverbot, PC und Telefonverbot, keinerlei Treffen mit Schulfreundinnen und -freunden.

Hinzukommen: Koch- und Benimmkurse und „kackbraune, sackartige Kleider“.

Aus Lales Mund hört sich das so an: „Wir sind eine Hausfrauenfabrik, aus der wir nicht rauskommen. Vorher waren wir frei, plötzlich wurde alles scheiße“. Zudem beginnen Großmutter und Onkel wie in streng muslimischen Familien üblich nach und nach die Ehen für die Mädchen zu arrangieren:

Die Älteste Sonay darf ihren Freund heiraten und ist darüber sehr glücklich.

Selma, die Zweitälteste wird mit einem Mann verheiratet, obwohl sie ihn nicht mag. Ergreifend und sehr traurig die Szene, als nach vollzogener Hochzeitsnacht die Familie des Bräutigams das Bettlaken fordert und – als keine Blutflecken zu sehen sind – Selma in ihrem Hochzeitskleid zur ärztlichen Untersuchung ins Krankenhaus bringt.

Die dritte Schwester Ece reagiert auf die bevorstehende Zwangsheirat mit Selbstmord.

Lale, aus deren Sicht der Film hauptsächlich erzählt wird, beobachtet das Geschehen sehr genau, leidet mit ihren Schwestern ob des auferlegten Schicksals und plant für sich und ihre vierte Schwester Nur die Flucht nach Istanbul zu ihrer ehemaligen Lehrerin.

Humorvoll und erheiternd die Szene als die anrückende Hochzeitsgesellschaft sich vor dem verbarrikadierten Haus wiederfindet, und es nicht gelingt, die beiden zum Öffnen der Haustür zu überreden.

Der Film der jungen türkisch/französischen Regisseurin Deniz Gamze Ergüven wurde mit Laiendarstellerinnen gedreht und zeigt ungeschönt, aber hoffnungsfroh, was es heißt, als Mädchen und Frau in der Türkei zu leben. Er regt zu Diskussionen über den Konflikt zwischen moderner und traditioneller Lebensweise in der Türkei an und lässt einen nachdenklich, aber nicht deprimiert zurück.

Mit Bildern von virtuoser Eleganz und einer heiteren Grundstimmung erzählt „Mustang“ die Geschichte der fünf Schwestern hoffnungsfroh erzählt. Der Film vermittelt glaubhaft den Zusammenhalt der Fünf. („Wie eine Hydra mit fünf Köpfen und langen schwarzen Haaren“) .

Wer mehr über die Regisseurin erfahren möchte, sollte sich in den Extras der DVD und Blu-Ray das Interview ansehen, das vor traumhaft schöner Kulisse an der Promenade de Croisette in Cannes geführt wurde. Hier erfährt man auch, warum der Film „Mustang“ heißt: „In den Mädchen stecken Wildpferde, die bildhaft die Energie der Rebellion ausdrücken“.

Zahlreiche Auszeichnungen:
Europ. Filmpreis, Europ. Entdeckung des Jahres.
Nominiert als franz. Beitrag für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“
Golden Globe Nominierung
Prädikat „Besonders Wertvoll“ der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW)

Ausleihen (DVD oder Blu-Ray)!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beitragsnavigation: