Wer war Edgar Steiger? Wofür setzte er sich ein? Was zeichnet seinen Lebensweg als Münchner Schriftsteller aus und in welchen literarischen Zirkeln wirkte er? Diese Fragen beantwortet Euch Frank Schmitter, Leiter des Literaturarchivs, in der Reihe „Schätze der Monacensia“. Entdeckt einen in Vergessenheit geratenen Literaten und seine Ideale.
Das Foto zeigt einen ausgezehrten, vorzeitig stark gealterten Mann: Als Edgar Steiger (1858–1919) am 24. Oktober 1919 in München an einer Lungenentzündung starb, war er gerade einmal 60 Jahre alt, zermürbt von der Armut und den bitteren Lebensbedingungen eines „freien Schriftstellers“ und Journalisten.
Dabei war ihm ein beschaulicheres Leben vorbestimmt gewesen. 1858 als zwölftes Kind eines strenggläubigen Pfarrers im Kanton Thurgau geboren, sollte der hochintelligente Edgar in die Fußstapfen seines Vaters treten. Er studierte zunächst Theologie in Basel, ließ sich jedoch bald von Friedrich Nietzsche und Jakob Burckhardt für die Antike und die Kulturgeschichte begeistern und floh schließlich vor seinem reaktionären Elternhaus an die Universität von Leipzig, die er 1884 ohne Abschluss verließ.
Vorkämpfer für die Sozialdemokratie und den Naturalismus
Edgar Steiger wurde Journalist, Kritiker und Vorkämpfer für die Sozialdemokratie. Als Feuilleton-Redakteur der „Neuen Welt“, einer Sonntagsbeilage sozialdemokratischer Zeitungen, brach er eine Lanze für den aufkommenden Naturalismus, der die schonungslose Darstellung der sozialen Wirklichkeit anstrebte. Eine in dieser Beilage veröffentlichte Novelle trug dem Schriftsteller eine Anklage wegen Gotteslästerung ein. Damit war der Bruch mit seinem Vater und seiner geistigen Herkunft nicht mehr umkehrbar.
Tatsächlich wurde der Pfarrerssohn zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. In der Zelle schrieb er ein Grundlagenwerk über den Naturalismus: „Das Werden des neuen Dramas.“
Simplicissimus-Satiriker und „Lumpenproletarier“
Nach seiner Entlassung ging Steiger im März 1898 nach München, wo er sich größere Inspiration und Entfaltungsmöglichkeiten erhoffte. Mit dem Schriftsteller Hanns von Gumppenberg gründete er noch im selben Jahr den kleinen (und kurzlebigen) Zirkel „Die Maultrommel“, deren Mitglieder sich in einer Kneipe in der Schellingstraße trafen und bierselig um die Wette dichteten. Er machte die Bekanntschaft mit Michael Georg Conrad, den einflussreichen Herausgeber der Zeitschrift „Die Gesellschaft“, und Schriftstellern vom Rang eines Frank Wedekind, Josef Ruederer und Ludwig Thoma.
Für den „Simplicissimus“ verfasste Edgar Steiger sage und schreibe über 400 satirische Texte. Daneben arbeitete er als freier Kritiker und Journalist für verschiedene Blätter. Steiger bekam durchaus Angebote zur Festanstellung bei SPD-Zeitungen, wollte sich aber nicht parteipolitisch gängeln lassen und verzichtete deshalb auf ein sicheres Auskommen.
Die Lage der freien Autoren und Journalisten verschlimmerte sich indes drastisch während des Ersten Weltkriegs. Als Mitglied des „Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“ kämpfte Edgar Steiger ebenso leidenschaftlich wie erfolglos für bessere Honorare. In einem bewegenden, elfseitigen Artikel „Schriftstellerelend“ (Signatur: ES M 157) bezeichnet er die freien Autoren als „Lumpenproletarier“. Der Text liest sich wie sein Vermächtnis. Dass er sich gleichwohl als Literat und Kritiker großen Respekt erworben hat, lässt sich indirekt aus dem Kondolenzschreiben von Lion Feuchtwanger an seine Witwe ableiten.
Edgar Steiger: sein Nachlass in der Monacensia
Rückblickend scheint sich Edgar Steiger in seinen familiären Konflikten, seinem politischen Engagement und seinem Drang nach einem selbstbestimmten Leben als Autor aufgerieben zu haben. Zu einem größeren literarischen Erfolg fehlten ihm das Glück und sicher auch Geschick in der Selbstvermarktung. Unter großen Entbehrungen und persönlichen Niederlagen hat er für seine Ideale gekämpft, im Schatten der berühmten Autor*innen.
Es gehört zu den Aufgaben eines Literaturarchivs, Autor*innen wie Edgar Steiger gewissermaßen postum Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sein Nachlass kam 1998 in die Monacensia und umfasst u.a. über 150 Briefe, 188 Manuskripte und zwei Kassetten mit gedruckten Texten. Alle Materialien sind in unserem Online-Katalog erschlossen und stehen jedem Interessierten zur Verfügung.
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Monacensia im Hildebrandhaus
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Öffnungszeiten: Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30, Do 12.00 – 22.00 | Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00 | Eintritt frei
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