Im Januar haben wir zur Reading Challenge “Lesen verbindet!” aufgerufen. Die siebte Aufgabe, die wir euch und uns stellen: ein Buch zu lesen von einer aisatischen Autorin oder einem asiatischen Autor. Dabei geht es uns definitiv nicht darum, Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf ihre Herkunft zu reduzieren. Sondern vor allem darum, den Kontinent Asien als einen der großen Unbekannten in der Anstrengung um die Zukunft der Welt zu entdecken. Die Literatur von diesem Erdteil ist spannungsreich, vielfältig und aufregend wie nur wenige. Zum Einstieg gibt es wie immer Tipps von unseren BibliotheksbloggerInnen. (Ein Klick aufs Cover führt euch in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Bestellen.)
Sayaka Murata: Die Ladenhüterin
Die 39jährige Autorin Sayaka Murata jobbt selbst als Aushilfskraft in einem Konbini, einem kleinen japanischen Supermarkt – rund um die Uhr geöffnet. Wer also, wenn nicht sie, könnte uns den Alltag und vor allem die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin Keiko, einer langjährigen Konbini-Mitarbeiterin besser näher bringen? Keiko arbeitet gerne dort, der Drill und die festgefahrenen Verhaltensmuster geben ihrer instabilen Psyche Halt. Wenn nur der Leistungsdruck der japanischen Gesellschaft nicht wäre! Denn wenn es danach ginge, sollte sie schon längst verheiratet sein, Kinder sowie einen angesehenen Job haben. Ob der neue Mitarbeiter Shiraha ihr bei der Erfüllung dieser Pflichten behilflich sein kann? „Die Ladenhüterin“ ist eine befremdlich tröstliche Geschichte, erzählt in einer auffallend klaren, nüchternen Sprache. Antje / Stadtbibliothek Bogenhausen
Das schmale Bändchen entlarvt nicht nur die japanische Gesellschaft in ihrem Umgang mit Einzelgänger_innen bzw Leuten, die nicht in die übliche Norm passen. Eine Lektüre, die nachdenklich macht und verstörend und anrührend zugleich wirkt, und eine Autorin, auf deren weitere Werke ich gespannt bin. Tanja / Zentrale Dienste
Aufbau Verlag, 145 Seiten, aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Mohsin Hamid: Exit West
Eine ganz besondere Liebes- und Fluchtgeschichte mit phantastischen Elementen, zurückhaltend und delikat erzählt. Nadia und Saeed sind frisch verliebt. Noch kann Nadia in dem muslimischen Land, in dem sie lebt, ein unabhängiges Leben führen, noch hat Saeed Arbeit in einer Werbeagentur. Doch in ihrem Land herrscht Krieg, und die Fälle von Willkür und Gewalt mehren sich. Schweren Herzens entscheiden sie sich zur Flucht durch die geheimnisvollen Türen, von denen sie gerüchteweise gehört haben. Eine lange Reise mit vielen Zwischenstationen beginnt.
Mohsin Hamid ist in Lahore/Pakistan geboren und hat in den USA studiert. Wer mehr von ihm lesen möchte, dem empfehle ich „Der Fundamentalist, der keiner sein wollte“ – ein Roman über das Leben eines pakistanischen Mannes in den USA nach 9/11 – und die köstliche Satire „So wirst du stinkreich im boomenden Asien“, die in der Art von Selbsthilfebüchern den Aufstieg eines Mannes vom Tellerwäscher zum Millionär beschreibt. Waltraud / Stadtbibliothek Am Gasteig
Dumont Verlag, 224 Seiten, aus dem Amerikanischen von Monika Klöpfer
Yasushi Inoue: Das Jagdgewehr
In „Das Jagdgewehr“ des Japaners Yasushi Inoue geht es um die Geschichte einer verbotenen Liebe. Fasziniert von einem einsamen Jäger, der durch das Gebirge streift, schreibt der Erzähler ein Gedicht für eine Jagdzeitschrift. Zufällig erkennt sich der beschriebene Jäger wieder und schreibt dem Dichter einen Brief. Er schickt ihm zum besseren Verständnis seiner Einsamkeit Abschiedbriefe der drei Frauen, die sein Leben geprägt haben: seine Ehefrau, seine Geliebte und deren Tochter. Aus diesen drei Perspektiven wird nach und nach die Lebensgeschichte des einsamen Jägers enthüllt und das Drama sichtbar, das diese vier Leben verknüpfte. Durch die Briefform ist das Ganze sehr kompakt und fast sachlich beschrieben; das Schicksalhafte und Unabwendbare machte mich als Leserin betroffen. Das schmale Buch ist eine Empfehlung für alle, die leise Bücher ohne schrille Gefühlsäußerungen suchen und Gefallen an einer nicht chronologisch erzählten Geschichte finden. Annette / Stadtbibliothek Maxvorstadt
Suhrkamp Verlag, 112 Seiten, aus dem Japanischen von Oscar Benl
Manil Suri: Vishnus Tod
Vishnu stirbt – todkrank liegt er auf dem Treppenabsatz eines Mietshauses, und keiner will sich um ihn kümmern. Jahrelang hat er auf dieser Treppe gehaust und für die Bewohnerinnen und Bewohner Botendienste erledigt, alle im Haus kennen ihn. Nun will sich ihm keiner mehr nähern, aus Angst vor Ansteckung, und weil er stinkt.
Nein, es handelt sich nicht um den Gott Vishnu, den Erhalter der Welt in der indischen Mythologie. Nur um einen obdachlosen Trinker, der zufällig Vishnu heißt und zum Mittelpunkt dieser Geschichte wird, die die kleinlichen Streitigkeiten, Liebschaften und Lebensdramen der Bewohner eines Mietshauses in Bombay porträtiert. Doch während sich die Nachbarn darum zanken, wer den Krankenwagen und die möglicherweise bevorstehende Einäscherung zahlt, und Vishnu vor ihren Augen dahinvegetiert, entfernt seine Seele sich langsam vom Körper und beginnt aufzusteigen. Die Treppe hinauf, an den Wohnungstüren vorbei, hoffentlich in Richtung Erlösung. Auf dem Weg nach oben taucht der Leser abwechselnd in Vishnus Lebenserinnerungen und in die Geschichten der Bewohner ein. Die verfeindeten Familien Asrani und Pathak im ersten Stock, die bei der Benutzung der gemeinsamen Küche Bosheiten austauschen und sich gegenseitig das Ghee stehlen. Kavita, die Tochter der Asranis, die von einem Leben als Filmstar träumt und mit dem Sohn der muslimischen Familie Jalal aus dem zweiten Stock durchbrennen möchte. Mr. Taneja im dritten Stock, der die Wohnung nie verlässt und um seine vor langer Zeit verstorbene Frau trauert. Mr. Jalal, eigentlich Atheist, der zum Leidwesen von Mrs. Jalal und seiner hinduistischen Nachbarn in einen religiösen Wahn verfällt. Dazu diverse andere Gestalten, die im Treppenhaus leben oder im Erdgeschoss arbeiten.
Das Haus spiegelt auf sehr humorvolle Weise die verschiedenen Bevölkerungsschichten und Religionen Indiens mitsamt ihren immerwährenden Konflikten wieder, und Vishnu schwebt dabei über allem. Ist er vielleicht tatsächlich die Inkarnation des göttlichen Welterhalters, fragt er sich selbst, oder doch nur ein sterbender Mensch auf einer schmutzigen Treppe?
Ein Buch für Liebhaber der indischen Kultur, aber auch für diejenigen, die es noch immer nicht glauben wollen: die Menschen sind überall gleich. Und die Götter blicken wohl mit Verwunderung auf unser seltsames Treiben herab. Aurica / Stadtbibliothek Fürstenried
Luchterhand Verlag, 398 Seiten, aus dem Amerikanischen von Anette Grube
Loung Ung: Der weite Weg der Hoffnung
Vor einigen Jahren hat mein Bruder Kambodscha bereist. Er brachte die Autobiografie „Der weite Weg der Hoffnung“ von Loung Ung mit zurück und hat mir diese sehr ans Herz gelegt. Eigentlich bin ich an diesem Teil der Erde nicht sonderlich interessiert, aber das Buch habe ich dann trotzdem gelesen und es hat mich nachhaltig beeindruckt. Die Lebensgeschichte des kleinen Mädchens, verknüpft mit der dunklen Geschichte Kambodschas, hat mich zugleich gefesselt und tief berührt. Bis sie 5 Jahre alt ist, führt Loung ein unbeschwertes Leben, dann 1975 nach dem Regimewechsel beginnt eine der schlimmsten Terror-Herrschaften des 20. Jahrhunderts und ihr persönlicher Leidensweg. Bevor ich das Buch gelesen hatte, waren „Pol Pot“ und „Rote Khmer“ nur irgendwelche geschichtliche Namen. Bei der Lektüre wurde mir bewusst, was die Menschen in Kambodscha bis vor Kurzem noch ertragen mussten. Birgit / Stadtbibliothek Am Gasteig
Verlag S. Fischer, 320 Seiten, aus dem Amerikanischen von Astrid Becker
Xiaolong Qiu: Schakale in Shanghai. Inspektor Chens achter Fall
Der regimekritische Oberinspektor Chen vom Sonderdezernat in Shanghai wird beruflich auf ein Abstellgleis versetzt. Dies scheint seinen Widersachern in eigenen Reihen allerdings nicht zu genügen. Bei seinen Ermittlungen zu einem Mord und einem verschwundenen ranghohen Kader explodiert sein Dienstwagen. Chen steht vor der gefährlichsten Untersuchung seines Lebens.
Diese Krimiserie bietet kritische Einblicke in den chinesischen Polit-Alltag. Der ehrliche Cop Chen traut nur wenigen, ist sehr modern mit Laptop unterwegs und hat dabei alte Gedichte und Konfuzius im Kopf und häufig mit den nicht immer klaren Grenzen der politischen Korrektheit zu kämpfen.
Lesenswerte Krimiserie mit sympathischem Ermittler, auch wenn die Krimihandlung manchmal ein wenig in den Hintergrund tritt. Empfehlenswerte Ferienlektüre … Helga / Musikbibliothek, Stadtbibliothek Am Gasteig
Zsolnay Verlag, 320 Seiten, aus dem Englischen von Susanne Hornfeck