Reading Challenge im März: Politisch!

Reading Challenge im März

In München stehen Kommunalwahlen an. Wir wollen wissen: Was ist politische Literatur und was erzählt sie uns über den politischen Betrieb?

Das März-Thema unserer diesjährigen Reading Challenge ist nicht gerade leicht – und deswegen wollten wir es so offen lassen wie eben möglich: Was sie als „politische“ Literatur verstehen, haben wir einfach unseren Autorinnen und Autoren überlassen. Seht und lest also selbst, was für Tipps sie für euch parat haben! (Ein Klick aufs jeweilige Cover führt euch in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Vormerken.)


Aufbau Verlag, 684 Seiten

Lion Feuchtwanger: Erfolg

Erst vor kurzem habe ich wieder einmal in Lion Feuchtwangers Schlüsselroman „Erfolg“ gelesen – und mich erstaunt es jedes Mal wieder, mit welcher Präzision und Hellsichtigkeit der Münchner Schriftsteller beschreibt, wie ein politisches System von antidemokratischen Kräften ausgehebelt wird. Unschwer erkennbarer Hintergrund des Romans ist der Aufstieg der NSDAP in München – und wie dieser von konservativen Kreisen mehr oder weniger eifrig befördert wird. Dass „Erfolg“ bereits 1930 erschien, lässt das Reden vom Nichts-Gewusst-Haben zweifelhaft erscheinen; aber das sagt sich als Nachgeborene natürlich immer leicht …

Katrin / Öffentlichkeitsarbeit

Suhrkamp Verlag, 184 Seiten

Wolfgang Koeppen: Trilogie des Scheiterns

Wolfgang Koeppen habe ich erst vor ein, zwei Jahren wieder entdeckt – aber dann gleich alle drei Romane der „Trilogie des Scheiterns“ hintereinander weg gelesen. „Tauben im Gras“ ist ein experimenteller Roman, der einen Tag im Leben der Stadt München im Jahr 1949 (oder 1951) berichtet – und zwar aus der Perspektive von mehreren Figuren, die ganz unterschiedliche Erfahrungen einbringen. „Das Treibhaus“ und „Der Tod in Rom“ schreiben die Nachkriegsgeschichte der BRD weiter: Ersterer erzählt von einem Journalisten, der 1945 aus dem Exil zurückkehrt, in der Hoffnung auf den angekündigten Neuanfang, aber auch in Bonn nur auf die alten Ränke und Machtspiele trifft. In „Der Tod in Rom“ wiederum treffen Nazi-Opfer und -Täter in Italien aufeinander – auch da sucht man eher vergeblich nach einem hoffnungsvollen Ton. Aber literarisch: große Klasse!

Katrin / Öffentlichkeitsarbeit

Ch. Links Verlag, 204 Seiten

Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns!

Petra Köppings „Streitschrift für den Osten“ – so der Untertitel – ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Aufarbeitung der Nachwendezeit in Deutschland. Diese Aufarbeitung ist für die SPD-Politikerin, die nach langjähriger Tätigkeit in der Kommunalpolitik seit 2014 Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration ist, keine rein symbolische oder psychologische Frage. Sie sieht kritisch auf die Neunziger Jahre, in der ein großer Mitbestimmungswille in Ostdeutschland herrschte, der letztlich verpuffte. Westdeutschland ist geblieben, wie es war, Ostdeutschland dockte an. Die große Verbitterung, die in Teilen der Bevölkerung dort herrscht, hat ihrer Meinung nach ihre Ursache in der mangelnden Wertschätzung, die den Menschen dort entgegengebracht wurde und wird. Der Start in die Marktwirtschaft war für viele Menschen in der Ex-DDR mit einer teilweise lebenslangen Arbeitslosigkeit verbunden oder mit einem Job, der unter der eigentlichen Qualifikation lag, Führungspositionen in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung wurden von teils weniger qualifizierten Westdeutschen übernommen.

Sie plädiert für eine ost-west-deutsche Solidarität und den Mut, als Ostdeutsche*r in die gesellschaftliche und politische Verantwortung zu gehen, die Arbeit der Treuhandanstalt in einer Wahrheitskommission aufzuarbeiten und die Lebensleistung der ostdeutschen Aufbaugeneration nach der Wende anzuerkennen. Denn: „Gekränkte ostdeutsche Eliten nutzen nicht die Möglichkeiten zum Entwurf der Zukunft oder der Erneuerung der Demokratie. Sie werden zu trotzigen Trägern kultureller Identität.“

Wenn ihr euch umfassend über die Arbeit der Treuhandanstalt informieren möchtet, werdet ihr im Katalog der Stadtbibliothek fündig, der 14 Titel zum Thema verzeichnet – von Anfang der Neunziger Jahre bis heute.

Waltraud / Stadtbibliothek Am Gasteig

Verlag hanserblau, 222 Seiten

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.

Der Titel ist provozierend: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten.“ Die Herausforderung habe ich angenommen – und ich finde das Buch großartig. Alice Hasters schafft es zu erklären, wo überall sich Rassismus verbirgt und warum er so schlimm ist für Schwarze Menschen. Und auch für Weiße. Das Wort Rassismus, sagt sie, „wirkt wie eine Gießkanne voller Scham, ausgekippt über die Benannten“. Sie schildert eindringlich und persönlich, aber auch einfühlsam, wie Rassismus ihren Alltag und ihre Beziehungen beeinflusst und wie oft die Diskussion in dem Moment endet, in dem Rassismus als solcher benannt wird.

Und tatsächlich kippt sie sie auch über mir aus, die Gießkanne voller Scham. Ich fühle mich ertappt, erkenne Mechanismen wieder und muss mir eingestehen, dass auch ich noch an mir arbeiten muss. Alice Hasters beschreibt Rassismus so, dass man ihn an sich heranlassen kann und versteht, wie er unsere gesamte Gesellschaft prägt. Eine Gesellschaft, an der wir alle Teil haben. Genau deshalb ist das Buch so politisch und eines, das jeder lesen sollte.

Sarah / Stabsstelle kulturelle Vielfalt und Diversitätsentwicklung

Weidle Verlag, 309 Seiten

Mustafa Khalifa: Das Schneckenhaus

„Das Schneckenhaus“ von Mustafa Khalifa beschreibt den Tagesablauf im Folterknast in der syrischen Wüste. Der Hauptfigur wurde dorthin gebracht, denn einer seiner Freunde hat während des Studiums in Paris etwas über ihn an die Geheimdienste der Regierung geschrieben. Er wird im Flughafen von Damaskus verhaftet und zu einer Abteilung des Geheimdienstes gebracht und gefoltert. Dabei wird ihm vorgeworfen, dass er ein Mitglied der Muslimbruderschaft sei – obwohl er Christ war und dann Atheist wurde. Im Tadmurgefängnis findet er sich in einer merkwürdigen Situation wieder: Einerseits lebt er zwischen Mitgliedern der Muslimbruderschaft, die ihn als Ungläubigen töten wollen; andererseits kommen die Wärtern und foltern ihn. Durch ein kleines Loch in der Wand, beobachtet er alles, was draußen im Hof geschieht.

Was in diesem Roman erzählt wird, habe ich teilweise selbst in Syrien erlebt und gesehen. Er ist wirklich äußerst schmerzvoll, aber bei uns in Syrien passieren jede Minute solche Sachen.

Muataz / Stadtbibliothek Sendling

القوقعة رواية للكاتب السوري مصطفى خليفة يصف فيها مجريات الأيام في سجن تدمر العسكري في الصحراء السورية
بطل الرواية سجن هناك لأن أحد زملاء الدراسة الجامعية قد كتب فيه تقريرا لدى المخابرات السورية بعد عودته من فرنسا تم اعتقاله من قبل المخابرات فور وصوله إلى مطار دمشق الدولي واقتياده إلى أحد فروع الأمن في دمشق وتعذيبه وجهت له تهمة الإنتماء لجماعة الإخوان المسلمين على الرغم من أنه مسيحي وعلاوة على ذلك ملحد لا يؤمن بأي إله
بعد اقتياده إلى سجن تدمر يجد المؤلف نفسه في وضع لا يحسد عليه فمن جهة يعيش هو بين سجناء من جماعة الإخوان المسلمين الذين يريدون فتله لأنه كافر
ومن جهة أخرى السجانين الذين يقومون بتعذيبه من خلال ثقب صغير يراقب البطل كل شيئ يحدث في باحة السجن
رواية شيقة مليئة بالمآسي والآلام، بالإضافة إلى ذلك تعتبر الرواية لكثير من الشباب السوريون المعارضون لنظام الحكم في سورية مصدر إلهام

Muataz / Stadtbibliothek Sendling

Ullstein Verlag, 393 Seiten

Hans Rosling: Factfulness

Der 2017 verstorbene Autor war schwedischer Mediziner und Gründungsmitglied von Ärzte ohne Grenzen. In seinem Buch gibt er, belegt mit zahlreichen Fakten und Daten, jede Menge Einblicke in den Zustand der menschlichen Gesellschaft. Dabei deckt er erstaunliche Missverständnisse und Irrtümer auf. Weil wir alle zu einer dramatisierten Weltsicht neigen (und dramatische Nachrichten sich besser verkaufen), tendieren die meisten Menschen zu der Annahme, dass „alles immer schlimmer“ werde: mehr Armut, mehr Gewalt, mehr und immer schrecklichere Katastrophen.

Die meisten dieser beängstigenden Bilder lassen sich durch Fakten widerlegen. Zwar weist der Autor auch auf die Gefahren hin, die uns zu Recht beunruhigen. Doch vor allem hilft die Lektüre dieses (zugleich enorm unterhaltsam geschriebenen Buchs), einen kühlen Kopf zu bewahren –  gerade in unserer Zeit, in der eine Hiobsbotschaft die andere jagt.

Rosmarie / Stadtbibliothek Neuaubing

Jugendbuch, Verlag cbt, 508 Seiten

Angie Thomas: The Hate U Give

Die 16-Jährigen Starr wohnt in Garden Hights, dem „Ghetto“ ihrer Heimatstadt. Nach einem Vorfall in ihrer Kindheit wurde sie von ihren Eltern auf eine Privatschule geschickt, auf der nur wenige dunkelhäutig sind.

Auf einer Party trifft sie ihren alten Freund Khalil wieder und muss wenig später dabei zusehen, wie er von einem Polizisten erschossen wird. Khalils Tod wirft Starr völlig aus der Bahn – und als auch noch das gesamte Viertel einen Aufstand beginnt, muss sie sich entscheiden, ob sie schweigt oder ihre Stimme erhebt.

Angie Thomas trifft mit ihrem Debüt-Roman ein immer noch aktuelles Thema und zieht mit ihrem authentischen Schreibstil die Leser*innen in die Welt von Starr. Die Botschaft der Autorin wird vollkommen klar: Es ist wichtig aufzustehen und für den eigenen Standpunkt zu kämpfen!

Amalie / Stadtbibliothek Hadern

Und noch zwei Filmtipps!

FSK 6 · Laufzeit 101 Min, Island/Frankreich 2018

Benedikt Erlingsson: Gegen den Strom

Hella (Halldóra Geirharðsdóttir) ist 50 Jahre alt und leitet in ihrem Ort einen Chor. Mit heimlichen und radikalen Aktionen sabotiert sie den heimischen Aluminiumkonzern, der mit ausländischen Investoren in Verhandlungen steht. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als ihr Antrag auf Adoption eines Kindes nach Jahren endlich bewilligt wird.

Gegen den Strom ist eine humorvolle, politische und skurrile Komödie über eine warmherzige und unabhängige Frau. Dazu bietet der Film Spannung, Action und tolle Aufnahmen aus der ursprünglichen isländischen Bergwelt und ab und zu musste ich an die Serie „MacGyver“ denken. Bendikt Elingsson hat bereits bei „Menschen und Pferden“ von 2014 Regie geführt.

Martina / Stadtbibliothek Pasing

Matthew Heineman: Cartel Land

Wohin es führen kann, wenn die staatliche Ordnung erodiert und demokratische Werte nicht mehr gelten, zeigt der Film des amerikanischen Dokumentarfilmers Matthew Heineman.

In einem staatenlosen Raum auf der mexikanischen Seite der Grenze hat der charismatische Arzt José Mireles eine Bürgerwehr gegründet, die „Autodefensas“. Die Männer, die er um sich gesammelt hat, möchten der örtlichen Drogenmafia nicht mehr wehrlos ausgeliefert sein. Polizei und Militär haben in dieser Gegend eine schlechten Ruf: korrupt, gewalttätig und wie ihre Gegner zu allem bereit.

Auf der anderen Seite der Grenze hat mit Tim Foley ein Ex-Soldat die paramilitärische „Arizona Border Recon“ gegründet, die im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet Drogenschmuggler und Geflüchtete aufgreift und zurück über die mexikanische Grenze bringt.

„Cartel Land“ hat wichtige Dokumentarfilm-Preise bekommen, war aber beim Filmstart bei den Kritiker*innen umstritten, da er die Handlungen und Aussagen der Protagonisten unkommentiert zeigt. Genau das hat mich beeindruckt, da es die Hilflosigkeit und Ambivalenz der Menschen dadurch um so überzeugender und eindringlicher zeigt.

Waltraud / Stadtbibliothek Am Gasteig

„Cartel Land“ in unserem Katalog


Und ein Blogtipp

RiffReporter-Koralle: Verfassungsnews

Maximilian Steinbeis betreibt seit 2009 den Verfassungsblog, auf dem Hunderte von Verfassungswissenschaftlern aus Deutschland, Europa und darüber hinaus fortlaufend ihr Expertenwissen zu aktuellen Verfassungsfragen öffentlich zugänglich machen. Auf dem Riff berichtet er im Wochentakt, was in der Welt verfassungsrechtlich Wichtiges passiert ist.

zur Verfassungs-Koralle …

Featured Image: Brian Wertheim / Unsplash

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