Wie viel an Lüge und scheinbarer häuslicher Perfektion hält ein Teenager in einer wohlsituierten Familie aus? Wann ist der Punkt erreicht, an dem ein 14-jähriges Mädchen aus „Suburbia“ , hier Shakers Height, einem Vorort von Cleveland, keinen anderen Ausweg mehr sieht als Rache?
Celeste Ng gelingt es meisterhaft, die entscheidenden Fragen im Familienleben der Richardsons aufzuwerfen: Wie wurde eine Person zu der, die sie geworden ist? In ihrem lesenswerten Familien-Psychogramm „Kleine Feuer überall“ wird also das Wohnhaus einer Familie mit vier Kindern niederbrennen; so beginnt der Roman über zwei unterschiedliche Familienmodelle: Hier Mia, die mit ihrer Teenagertochter Pearl im Auto von Stadt zu Stadt zieht, nirgends sesshaft wird und dort die Vorzeigefamilie Richardson, die in einem Vorzeigevorort wohnt, in dem alles bis ins kleinste Detail geregelt und geordnet ist, um Chaos oder auch nur das kleinste Durcheinander zu verhindern. Mrs Richardson arbeitet als Journalistin bei einer unbedeutenden Lokalzeitung, der Vater ist Partner in einer Anwaltskanzlei.
Und nun treffen durch die Freundschaft der Kinder die beiden Familienkonzepte aufeinander. Selbstredend, dass die sehr konventionelle Elena Richardson der unkonventionellen , alleinerziehenden Fotokünstlerin Mia, kritisch gegenübersteht. Allerdings vermietet sie Mia günstig gegen Mithilfe in ihrem Sechs-Personenhaushalt ihr kleines Haus im Ort. Was steckt hinter ihrem Tun? Wirklich nur mildtätige Nächstenliebe? Und warum beginnt Elena so akribisch über Mias bisheriges unstetes Leben zu recherchieren? Offensichtlich hat Elena ein Problem damit, dass sie zu ihrer jüngsten Tochter Izzy, die sich dem Ideal des „All-American-Girl“ so komplett verweigert, keinen Zugang findet – Mia jedoch schon.
Bei ihrer Recherche deckt sie Mias Geheimnis auf und muss sich die Frage stellen, was Mutter-Sein alles beinhaltet, was sein eigentlicher Kern ist. Offensichtlich kann das Befolgen von Konventionen und Regeln nicht grundsätzlich Familienkatastrophen verhindern.
Wie dies sehr stimmig in auktorialer Erzählweise zunehmend spannend geschildert wird, ist großartige Literatur, die anrührt und zum Reflektieren anregt.
Genau das, was man von guter Belletristik erwartet!
dtv Verlag, 384 Seiten, aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit
Celeste Ng wurde 1980 in Pittsburgh, Pennsylvania geboren und wuchs zeitweise in Shaker Heights, Ohio auf. Sie studierte u.a. in Harvard, schrieb preisgekrönte Erzählungen. Ihr erster Roman „Was ich Euch nicht erzählte“ war ein internationaler Bestseller und wird in Kürze verfilmt.
Der Roman „Kleine Feuer überall“ wurde von der Münchner Stadtbibliothek für den International Dublin Literary Award vorgeschlagen, der jährlich englischsprachige Bücher auszeichnet, die von Bibliotheken aus aller Welt vorgeschlagen werden.
Celeste Ng talks about Little Fires Everywhere https://t.co/ODA7wvc7sl chosen by libraries in Bonn, Munich, Iowa & Seattle. 'a beautifully-written story that burns bright for readers. We love recommending this one!'. See more comments https://t.co/HXfh1eIGua #dublitaward pic.twitter.com/jip7r7QbOJ
— Dublin Literary Award (@DublinLitAward) December 10, 2018
Featured Image: Blake Wheeler / Unsplash