Christina Madenach über Schreibroutinen, Romanwerkstatt und die freie Literaturszene Münchens | #AtelierMonaco-Szene

Christina Madenach im Gespräch mit Katrin Diehl über Literatur, die Anfänge ihres Schreibens, die Romanwerkstatt – wer wie mitmachen kann – und die freie Literaturszene in München. Sie verrät, warum ihr der Austausch mit anderen wichtig ist und was München dafür zu bieten hat – zweite Folge der #AtelierMonaco-Szene* der Monacensia.

Christina Madenach. Foto Jean-Marc Turmes.
Christina Madenach. Foto Jean-Marc Turmes.

Christina Madenach (35) ist Autorin und Literaturvermittlerin, zwei Arbeitsfelder, die sich überschneiden. Menschen, die Texte machen, wirken auf Menschen, die Texte machen, in besonderer Art. Außerdem: Wer selbst schreibt, kann sich recht wissend in die schreibenden KollegInnen hineindenken, was dann auf einem Podium ganz anders moderieren und fragen lässt. Das verschafft dem Publikum authentische Einblicke in das Leben der TextarbeiterInnen. 

2017 gründete Christina Madenach die Romanwerkstatt. Seit 2019 kuratiert und moderiert sie – gemeinsam mit Raphaela Bardutzky und Rebecca Faber ­– die unabhängige Lesereihe LIX, „Literatur im HochX“, die aus Ayna Steigerwalds Lesereihe „liaison hochX“ hervorgegangen ist.

Christina Madenach: Schreibroutinen, Romanwerstatt und die freie Literaturszene Münchens – Interview

Wie hat alles angefangen? Was war zuerst da: Literatur machen oder Literatur vermitteln? 

CM: Ich habe hier in München Germanistik studiert, war aber damals, während des Studiums, noch in keinem Literaturkreis. Dafür musste ich offensichtlich erst einmal weg. Ich habe in Berlin gelebt, dann einige Zeit im Ausland, in Rom, Saigon, Paris …, und als ich dann ­– das war 2016 – nach München zurückkam, begann ich, nachdem ich schon längere Zeit literarisch unterwegs war, mich an einen Roman zu wagen. Ich hatte dabei sehr schnell das Bedürfnis, mich mit anderen Schreibenden auszutauschen.

Ich sah mich also um, und da gab es ja auch einige Texttreffen, aber da gab es nicht den Raum, auch mal eine größere Textmenge aus einem Roman vorzustellen. Ich gründete die Romanwerkstatt und zum Schreiben kam das Vermitteln: Seitdem moderiere ich da, leite die Diskussion, organisiere … Wobei ich tatsächlich unter einer guten Moderation verstehe, ein Gespräch feinfühlig zu lenken. Die Impulse, die von allen in der Runde kommen, aufzunehmen. Seit drei Jahren ist übrigens Fabian Widerna mit in der Organisation der Romanwerkstatt beteiligt. 

Wer kann in die Romanwerkstatt kommen?

Wir sind ein offenes Format. Jeder ist da willkommen, der die Bereitschaft mitbringt, sowohl einen eigenen Text vorzustellen als auch über die Texte der anderen zu sprechen. Im Moment sind wir pro Sitzung etwa zehn Leute, von denen dann ein oder zwei ihre Romanprojekte vorstellen. 

Die Romanwerkstatt findet jeden ersten Mittwoch des Monats in der Seidlvilla in Schwabing statt. Beginn: 19 Uhr. Zur besseren Planbarkeit der Treffen sowie zur Zusendung der Romanauszüge ist eine Voranmeldung unter romanwerkstatt@gmx.de erwünscht.

Und was ist aus deinem Roman geworden?

Der ist fertig! Ich habe da also wirklich etwas durchgezogen und das über drei, vier Jahre hinweg. Für mich persönlich ist das eine echte Erfahrung und ein wenig stolz bin ich auch, dass ich da durchgehalten habe. 

Lesung mit Christina Madenach. Foto: Pierre Jarawan
Lesung mit Christina Madenach. Foto: Pierre Jarawan

Möchtest du etwas zum Inhalt des Romans verraten?

Der Titel lautet „Wie es gewesen sein wird“. Der Roman ist aus der Sicht einer Frau Anfang 30 geschrieben, die den Entschluss gefasst hat, Momente schriftlich einzufangen. Das macht sie dann anderthalb Jahre lang … Und es gibt da im Text für diesen Plan das Bild der Mirabellen: Sie hängen am Baum, werden gepflückt, in kleine Gefrierbeutelchen verpackt, kommen in die Gefriertruhe, damit sie lange halten. Lauter kleine Momente herausgegriffen aus dem Fluss der Zeit, an dessen Ende der Versuch steht, etwas festzuhalten, etwas zu konservieren. Und das wirft Fragen auf: Was soll festgehalten werden, was ist es wert, festgehalten zu werden? Und wie ändert sich etwas durch den Prozess des Konservierens? Mirabellen zum Beispiel sind nach dem Auftauen sehr matschig und haben auch nicht mehr sonderlich viel Geschmack. Wie also sollte man etwas verarbeiten – auch schriftlich festgehaltene Momente –, damit es „genießbar“ bleibt? Daran habe ich mich sozusagen abgearbeitet. 

Ich will diese Momente haltbar machen wie die Mirabellen, die jetzt reif am Baum hängen. Was wir nicht sofort essen können, müssen wir einfrieren. Jeden Tag nach der Arbeit steige ich auf die Leiter, fülle eine Schüssel mit den noch sonnenwarmen Früchten, wasche und entsteine sie, ein halbes Kilo pro Gefrierbeutel. Beim Auftauen werden sie matschig und nur noch in Kombination mit Butter, Zucker und Mehl zu einem Kuchen verarbeitet genießbar sein.

Kurz vor Mitternacht gehen Andreas, Paula und ich auf die Terrasse. Paula und ich zählen laut die Sekunden. Vier Sekunden vor Null springt die Anzeige unserer Digitaluhr auf Mitternacht, sie hat sich neu kalibriert. Ich verheddere mich beim Zählen und lasse den Sektkorken zu früh springen. Andreas ist verwirrt und fragt, ob ich gestolpert sei. In das neue Jahr hineingestolpert. Dabei stehe ich ganz still, während es losgeht.

Aus: „Wie es gewesen sein wird“ von Christina Madenach

Gibt es eine Schreibroutine?

Immer mal wieder eine andere. Eine Zeit lang bin ich beruflich mit dem Zug nach Ingolstadt gependelt. Da habe ich mir angewöhnt, im Zug zu schreiben. Aber im Moment stehe ich eher auf Écriture automatique. Ich stehe ein bisschen früher auf. Fünf bis zehn Minuten, und lasse meine Hand schreiben. Einfach, was kommt, kommt. Und das fordert mich, weil sich bei mir sehr schnell grammatikalisch korrekte, durchdachte Sätze nach vorne drängen. Ich denke schneller als ich schreibe. Und deshalb übe ich mich in „Durchlässigkeit“, wie ich das nenne: Ich lasse die Eindrücke, die durch mich hindurchfließen, ihre Spuren auf dem Papier vor mir hinterlassen. 

Und jetzt also muss ein Verlag her.

Ja, ich suche, und auch da ist es natürlich sehr gut, Teil der Literaturszene auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu sein. Da bekommt man Unterstützung, bekommt Tipps, da gibt es eine große Solidarität. Und das finde ich nicht nur gut, sondern auch wichtig für uns Schreibende. Wir müssen unter uns den Konkurrenzgedanken erst einmal nach hinten schieben. Und das spüre ich auch immer deutlich, wenn wir nach oder vor unseren LIX-Veranstaltungen noch mit den eingeladenen AutorInnen, den KünstlerInnen zusammen sind …

Treffend zu Schnaken. Unbekanntes Werk. Zeichnung Mathis Rimmele.
Treffend zum Text von Christina Madenach „Schnaken“. Unbekanntes Werk. Zeichnung Mathis Rimmele.

Genau. Die LIX-Lesereihe. Ein paar Worte dazu … 

Wir machen viermal im Jahr Lesungen mit ab und zu einem Extraformat dazwischen. Die genauen Termine hängen vom Spielplan des HochX ab, das uns nicht nur den Ort gibt, sondern uns auch finanziell unterstützt. Ohne finanzielle Förderung ginge ohnehin nicht viel. Wir erhalten die von vier weiteren Stellen, was wunderbar ist, was aber natürlich auch viel Antragsarbeit, viel Papierkram bedeutet. Was die Gestaltung von LIX anbelangt, sind wir sehr frei und das ist wunderbar. Wir präsentieren zeitgenössische Literatur, suchen da einfach erst einmal, was uns persönlich anspricht, was uns gefällt oder interessiert vom sprachlichen, thematischen, gesellschaftlichen oder politischen Gesichtspunkt aus betrachtet.

Für die Veranstaltung selbst ist uns der vermittelnde Ansatz als Konzept wichtig. Die AutorInnen lesen 20 Minuten und danach gibt es ein zehnminütiges Gespräch. Gerade bei komplexeren Texten scheint uns das sinnvoll. Außerdem ist unser Programm genreübergreifend. Wir suchen die Formen dazwischen und deshalb hat bei uns zum Beispiel ein Langedicht genauso Platz wie ein Comic. Bei jeder LIX-Veranstaltung sind drei geladene Gäste da, meistens ein bis zwei aus München und die anderen von außerhalb. Das bedeutet, dass jede von uns Kuratorinnen eine AutorIn, eine Künstlerin moderiert. 

Wenn du auf die drei, vier Jahre LIX zurückblickst, gibt es da ein persönliches Highlight?

Ach, da gibt’s eigentlich viele. Besonders eindrücklich fand ich die Autorin Dana Ranga aus Berlin. Sie hatte einen ganz besonderen Textauszug aus ihrem Buch „Cosmos!“ mitgebracht, der auf Interviews mit Astronauten und Kosmonauten basiert, die sie dann sehr eigenwillig verarbeitet und bearbeitet hat. 

Wunderbar war auch Lea Schneider. Sie präsentierte einen sprachlich bemerkenswerten Text über sechs chinesische Millionenstädte, in dem sie mit Elementen aus Lyrik, Essay und Übersetzung experimentiert.  Damals war unser Publikum wegen Corona auf recht wenige Menschen beschränkt gewesen, aber dafür hatte der Abend auch etwas sehr Persönliches.

Die freie Literaturszene in München …, wie lässt die sich in aller Kürze beschreiben?

Sie ist nicht so zergliedert in viele einzelne „Szenen“ wie das zum Beispiel in Berlin mit den vielen Kiezen der Fall ist. In München gibt es d i e Freie Szene und man geht wohin und man kennt sich. Das gefällt mir. Ich würde die Münchner Literaturszene als ein großes Netzwerk beschreiben. Man ist untereinander verbunden, man steht in Kontakt. Und über die Jahre – und auch das gefällt mir sehr gut – verknüpft sich die Freie Szenen mit den „Institutionen“, und da leistet zum Beispiel die Monacensia auch einen großen Beitrag. So vermischen sich auch die verschiedenen Publikumskreise, die Älteren treffen auf Jüngeren … Wir werden also immer mehr.

Die Monacensia entdecken – Das literarische Gedächtnis der Stadt München

Textauszüge von Christina Madenach

Erwachsen werden (aus Notizen) 

Ein Mädchen reitet auf einem Pferd vorbei. Es bewegt sich auf Rollen und macht rüttelnde Bewegungen. Als es sich entfernt, bilde ich mir ein, ein Wiehern zu hören. 
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Kinder im Herbst, die Kastanien in ihren Masken sammeln. Wie ich nach und nach die Vorstellung verliere, wozu Dinge auch dienen könnten. 

Morgens in der U-Bahn sitze ich zwei Jugendlichen gegenüber, die aussehen, als hätten sie sich abgeschaut, wie man als Paar auf dem Weg zur Arbeit auftritt. 

Im Supermarkt vergesse ich, den Fahrradhelm abzusetzen. 

Meine Sehnsucht, wieder jung zu sein. Dabei fühle ich mich mit jedem Jahr weniger unsicher.

Aus: Das Gedicht. Zeitschrift für Lyrik, Essay und Kritik (Bd. 30, November 2022)
Schnaken (aus Tierminiaturen) 
Weberknechte sehe ich nie draußen, ich entdecke sie immer nur in den Ecken unseres Wohnzimmers oder wie diesen an der Badezimmerwand. In seinen Flügeln hat sich eine Staubfluse oder eine Spinnwebe verfangen. Später vergewissere ich mich im Netz, ob Weberknechte tatsächlich Flügel haben. Das Tier, das ich meine, hat Flügel, aber es ist kein Weberknecht, sondern eine Schnake. Ich finde mehrere Artikel über den »Sprach-Wirrwarr rund um die Schnaken«, denn im Dialekt werden auch Stechmücken so bezeichnet. Ich muss mich nicht nur an den neuen Namen des Tiers an der Wand gewöhnen, sondern auch an den damit einhergehenden Artikel. Als ich am nächsten Morgen wieder nach der Schnake Ausschau halte, suche ich jetzt ein weibliches Insekt. Aber ich finde die Schnake erst beim Putzen ein paar Tage später. Sie sitzt hinter dem Mülleimer, wo sie gerade ein letztes Mal mit den Flügeln zuckt.

„Schnaken“ hat Christina Madenach beim „Das Fest“ in der Monacensia am 20. Januar 2023 vorgetragen.
Christina Madenach liest aus Schnaken und spricht über Netzwerke.

Autorin: Katrin Diehl

Katrin Diehl. Foto: Frank Zuber
Katrin Diehl. Foto: Frank Zuber

Dr. Katrin Diehl, geboren in Mannheim, studierte zunächst an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, bevor sie an die Deutsche Journalistenschule in München wechselte. Seitdem arbeitet sie als freie Journalistin sowie Autorin und ist Mitglied des NMT*.



Monacensia im Hildebrandhaus
Maria-Theresia-Str. 23
81675 München

Öffnungszeiten: Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30, Do 12.00 – 22.00 | Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00 | Eintritt frei

Besucht auch gerne die Cafébar Mona.

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