Warum sind so wenige Straßen und Plätze in München nach Frauen benannt? Was macht es mit Mädchen, wenn sie in einer Straße wohnen, die nach einer Frau benannt ist? Der Elisabeth-Castonier-Platz in München motivierte Theresa Höpfl dazu, sich mit der Schriftstellerin für #femaleheritage auseinanderzusetzen. Wunderbar, dass unsere Blogparade dazu den Impuls setzte!
Münchner Messestadt: 41 % der Straßen und Plätze nach Frauen benannt
Erika Cremer, Caroline Herschel, Elisabeth Dane, Maria Montessori, Elisabeth Mann Borgese, Mutter Teresa, Ruth Beutler, Magdalena Schwarz, Selma Lagerlöf, Ingeborg Bachmann, Elisabeth Castonier, Astrid Lindgren. Dass ich in der Messestadt in einem Münchner Viertel aufgewachsen bin, in dem so viele Straßen und Plätze nach Frauen benannt sind, finde ich großartig.
Zwölf Straßen und Plätze sind in der Messestadt nach Frauen benannt. Das sind 41 Prozent aller, die nach Personen benannt sind. Damit liegt die Messestadt weit über dem Münchner Durchschnitt: Nach Angaben des Kommunalreferats sind Menschen, die in München mit einem Straßennamen geehrt werden, zu knapp 89 Prozent Männer. Darauf ging die Süddeutsche Zeitung im Juni 2020 ein in: Warum so wenige Straßen in München nach Frauen benannt sind.
Ich bin überzeugt davon, dass es etwas mit Mädchen macht, wenn sie in einer Straße aufwachsen, die nach einer Physikerin, einer Literatin oder einer Ärztin benannt ist. Irgendwann kommt die Frage: „Mama, Papa, wer ist die eigentlich?“ Wenn „die“ nicht gerade Pippi Langstrumpf-Autorin Astrid Lindgren ist, müssen Mama und Papa wahrscheinlich erstmal googlen. Doch wenn sie es herausgefunden haben, hat Mädchen ein Vorbild mehr.
Eine Physikerin und Chemikerin wie Erika Cremer. Neben all den Isaac Newtons, James Watts und Albert Einsteins im Physikunterricht. Eine Schriftstellerin wie Selma Lagerlöf („Nils Holgersson“). Neben all den „Klassikern“ wie Goethe, Schiller und Mann. Wenn Kinder solche Vorbilder haben, können sie sich ausmalen, was sie selbst werden können. Was für sie in dieser Welt alles möglich ist.
Außerdem ist es eine Frage des Respekts gegenüber den Frauen, die Großes geleistet und München geprägt haben. Auch wenn es in der Schule oft noch so erscheint, wissen wir, dass Geschichte nicht nur von Männern geschrieben wurde. Das sollte sich noch viel mehr im gesamten Münchner Stadtbild widerspiegeln.
Elisabeth-Castonier-Platz in München
Auf dem Weg zur U-Bahn laufe ich über den Elisabeth-Castonier-Platz. Mir hat ihr Name, wie den meisten wahrscheinlich, die dort wohnen, überhaupt nichts gesagt. Deshalb habe ich sie als Beispiel für diesen Text ausgewählt. Online finde ich heraus, dass Elisabeth (geboren 1894 in Dresden, gestorben 1975 in München) eine erfolgreiche Schriftstellerin war.
In der Bibliothek leihe ich mir ihr Buch „Stürmisch bis heiter: Memoiren einer Außenseiterin“ von 1964 aus. Darin hielt sie die Erinnerungen an ihr turbulentes Leben fest. Nach dem Erscheinen wurde es ein Spiegel-Bestseller. Was mir daran gefällt: Sie wirkt immer zufrieden und zuversichtlich, oft ist sie sehr humorvoll.
Elisabeth Castonier: Die Europäerin
Elisabeth Castonier hat russische und britische Wurzeln, aufgewachsen ist sie in Deutschland und Frankreich. Verheiratet war sie mit einem Dänen. Später ist sie vor den Nazis über Österreich und Italien nach England geflüchtet. Sie wirkt überall zu Hause und ich lese heraus: Wir sind alle Menschen und Individuen und nationale Grenzen säen zu viel Hass und Misstrauen zwischen uns.
Schon früh grenzt Elisabeth Castonier sich von nationalsozialistischen Parolen ab, die sie auch in ihrer eigenen Verwandtschaft hört. Allerdings unterschätzt sie anfangs, wie so viele ihrer Zeit, wie viele Menschen sich von den nationalsozialistischen Forderungen angezogen fühlen. Den Nazis ist sie mit ihrer kritischen Haltung suspekt – Ihre Werke fallen 1933 der Bücherverbrennung zum Opfer. Was sie mit eigenen Augen ansehen muss. Zu der Zeit sind bereits die meisten ihrer Freund:innen und die meisten frei denkenden Künstler, Autorinnen und Wissenschaftler ins Exil gegangen.
Elisabeth Castonier: Die Unabhängige
Während sie als Kind in Wohlstand aufwächst, verwöhnt wird und wenig Ahnung von anderen Lebensrealitäten hat, ist sie nach der großen Inflation nach dem ersten Weltkrieg genauso arm wie die meisten. Das Geld reicht gerade so für winzige Zimmer in München und warme Teller Suppe am Abend. Lange unverheiratet, ist sie eine sehr unabhängige Frau. Wenn ihr etwas nicht passt, macht sie den Mund auf oder zieht weiter. Sie hangelt sich von einer schlecht bezahlten Schreibarbeit zur nächsten, arbeitet als Lektorin, übersetzt Bücher aus dem Französischen, arbeitet als Komparsin in einem schlechten Film und begegnet dabei immer wieder übergriffigen Männern.
Als sie sich in einer spontanen Aktion die Haare kurz schneiden lässt, tobt ihr Mann, der dänische Opernsänger Paul Castonier. Ihre 1923 geschlossene Ehe hält nur einige Jahre, sie trennten sich “ohne Bitterkeit”. Nachdem er sie immer wieder betrogen hatte, geht sie wieder ihren eigenen Weg.
Von 1944 an lebt sie in England auf der kleinen Farm einer Freundin. Beide lieben Tiere. Zusammen erledigten sie die harte Arbeit im Stall und auf den Feldern. Davon inspiriert schreibt Castonier „Mill Farm“, ihr bekanntestes Buch.
Als letzter Beweis, dass Elisabeth Castonier als Vorbild genauso taugt wie ihre Schriftsteller-Kollegen, ein Zitat aus „Stürmisch bis heiter“:
Ich bereue nichts – vielleicht nur, diese oder jene Torheit nicht begangen zu haben, denn Torheiten und Irrtümer sind die Würze des Lebens.
Haben Sie schon recherchiert, wer der:die Namensgeber:in Ihrer Straße ist?
Autorin: Theresa Höpfl
Wir sind begeistert, dass #femaleheritage zu diesen Gedanken, Recherchen und Auseinandersetzung mit Elisabeth Castonier animierte! Wir verraten schon jetzt, dass es einen weiteren Beitrag zur Autorin von der Münchner Stadtbibliothek geben wird (erscheint am 04. Januar hier im Blog)!
Theresa Höpfl: Journalistin, gebürtige Münchnerin und Medienpädagogik-Studentin an der Universität Erfurt. Auf dem Instagram-Account @resa.hoepfl gibt sie Einblicke ihrer Arbeit.
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