Wann ist man ein Mann?

„Playlist meiner miesen Entscheidungen“ von Michael Rubens (Jugendroman)

Alter: 16., Versetzung: gefährdet; cooler Motoradtyp, Gelegenheitskiffer. Unbedingte Leidenschaft: Mädels auf Teufel komm `raus beeindrucken – und, war da nicht noch was? – yep: die Musik! Michael Rubens witziger und zugleich melancholischer Coming-of-age-Roman erzählt von der Begegnung mit einem bislang unbekannten Vater.

Kurze Karriere als Troubadour

Es beginnt mit dem, was sein Freund Devon einen mangelnden Sinn für die Vermeidung von Arschtritten nennt. Austin hat es diesmal auf das Cheerleader-Girl Alison abgesehen und mimt für sie très élégant den Troubadour. Miese Entscheidung, ist sie doch die Freundin von Todd Malloy, dem legendären Schlägertyp der Schule. Ergebnis: Totalschaden der Nobel-Mandoline von Austins Stiefvaters Rick. Um die abzubezahlen, muss er in Ricks Rasenmäh-Unternehmen jobben – wie sich herausstellt, mit Todd in seiner Crew. Die zweite Auflage, Mathe-Nachhilfe, gestaltet sich ebenfalls anders als erwartet, denn seine Nachhilfelehrerin Josephine, in die er sich Hals über Kopf verliebt, cancelt den Unterricht gleich in der ersten Stunde. Dann steht plötzlich der von ihm verehrte Singer-Songwriter Shane Tyler vor der Tür, dem Austins Mutter gleich mal ihren heißen Gewürztee entgegenschüttet und ihn von der Veranda katapultiert. Ob sie nicht weiß, wer das ist? Und ob: „Das ist dein verdammter scheiß Vater!“

Der Humor des Romans ist hinreißend! Die ohnehin schon komisch aufgeladenen Szenen sind perfekte Tretminen für Austins chaotischen Charakter – ich sag nur: Rasenmähen am Abhang … Rubens gibt seinem Anti-Helden einen Hang zu Dramatisierung mit, Schlagfertigkeit bei den Charme-Offensiven gegenüber Mädchen sowie beißenden Spott gegenüber männlichen Figuren. Die Erzählweise ist außerordentlich filmisch, stark handlungsbetont, Schlag auf Schlag. Die Figuren bewegen sich wie Schauspieler vor der Kamera, ihre Mimik und Körpersprache, manchmal auch nur Nuancen von Veränderungen, werden sichtbar gemacht, vor allem Shane wirkt zum Greifen nah. Spannungsreich werden die jeweiligen Welten mit ihren unterschiedlichen Werten und ihrem Angebot an männlichen Vorbildern gegeneinandergesetzt. Sehr hintersinnig finde ich auch, wie das Thema Schein und Sein bei Austin und anderen Figuren variiert wird.

Es geht um Austins Tändelei mit seinem Wunsch, Musiker zu werden, der durch die Konfrontation mit Josephine und noch mehr mit Shane auf die Probe gestellt wird. Die Musik, das künstlerische Schaffen in seinen hellen und dunklen Seiten, ist somit auch Herzstück der Geschichte. Schon die Kapitel selbst werden eingeleitet durch wunderschöne Songtexte aus Rubens eigener Feder. Es wird um die Musik gerungen und gestritten, sie ist Ausdruck von Lebensfreude und Verbundenheit mit anderen. Eine der berührendsten Szenen: Vater und Sohn wollen zum Angeln gehen, weil dies, so Shane, doch das sei, was Väter mit ihren Söhnen so machen. Sie kaufen mit gusto eine komplette Angelausrüstung und sitzen dann einfach nur am Fluss, reden über Musik, spielen Songs…

Männer mit Herz und Drive

Austin und Shane sind lebensecht und menschlich gestaltet. Sie machen Fehler, sie brennen für die Musik und die Frauen, sie sind euphorisch, stürzen ab, rappeln sich wieder hoch. Überhaupt habe ich bei den männlichen Figuren gedacht: Die haben Herz und Drive! Die weiblichen Figuren fallen dagegen deutlich ab. Abgesehen von Amy, der Kindfrau-Freundin von Shane, fehlt mir bei ihnen menschliche Wärme und Zärtlichkeit. Austins Mutter war mir schier unerträglich. Sie wird als psychisch labile Frau charakterisiert, die auch nach all den Jahren ihre „Traumatisierung“ durch Shane nicht überwunden habe; ihren Sohn bewirft sie mit Kraftausdrücken, reagiert ihm gegenüber hysterisch bis übergriffig – und sie hat ihm die Identität seines Vaters vorenthalten.

Aus vielen amerikanischen Teenie-Rezensionen geht hervor, dass Josephine und ihre Liebesbeziehung mit Austin sehr gut ankommen; ich konnte beiden nicht viel abgewinnen, was an meiner abgeklärten Erwachsenensicht liegen mag; die Vater-Sohn-Beziehung ist aus meiner Sicht jedenfalls die emotional stärkere.

Das Ende ist schmerzlich realistisch, doch Austin ist seinem Traum, Musiker zu werden, ein deutliches Stück näher gekommen. Auf klare Schuldzuweisungen wird verzichtet, vielmehr bleibt manches uneindeutig – auch eine der Stärken dieses durchweg gelungenen Romans. Gebt das Buch den Jungs, diskutiert mit ihnen, singt es ihnen vor!

Lesetipp: Interview mit Michael Rubens

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beitragsnavigation: