Unterwegs auf dem Motorrad mit Lea Rieck: Die Freiheit der bayerischen Kartoffel | #ErikaMann

„Was wäre, wenn ich einmal mutig wäre, einmal etwas tun würde, das nichts mit einem ordentlichen Lebenslauf zu tun hat und das keiner von mir erwartet?“ 

Die Münchnerin Lea Rieck hat ihren Traum wahrgemacht und hat alleine mit dem Motorrad die Welt bereist. Über ihre Erfahrungen schrieb sie ein Buch: In rasantem Tempo führt der Reisebericht „Sag dem Abenteuer, ich komme“ durch Länder und Kontinente, Klimazonen und Weltanschauungen. Mit ihrer Furchtlosigkeit und ihrem Abenteuergeist erinnert uns Lea Rieck dabei sehr an die begeisterte Autofahrerin und Reisende Erika Mann.

Mit dem Motorrad in den Sonnenaufgang fahren, Western Sahara. Foto: Lea Reck
Mit dem Motorrad in den Sonnenaufgang fahren, Western Sahara. Foto: Lea Reck

Am 31. März hätte Lea Rieck eigentlich im Rahmen des Erika Mann Begleitprogramms für Münchner Schulklassen aus ihrem Buch gelesen und über ihre aufregenden Motorrad-Reisen berichtet. Leider kann die Veranstaltung vorerst nicht stattfinden. Lea Rieck hat aber stattdessen exklusiv zur #ErikaMann Vernetzungsaktion einen Text über ihre neueste Reise durch Afrika geschrieben.  

Der Bericht von Lea Rieck verbindet ihre Erfahrungen auf einer Motorrad-Reise mit Überlegungen über Freiheit und ihre Bedingungen. Sie regt zum Nachdenken darüber an, was Freiheit eigentlich bedeutet. Gerade hierdurch ergibt sich eine spannende Verbindung zu Erika Mann und ihren Idealen „Anstand, Freiheit, Toleranz“.

Von Motorrad-Reisen, Reifensätze und bayerischen Kartoffeln – Freiheit pur!

Es war einmal im November 2019: Ich stand am Flughafen, um auf Reisen zu gehen. Im Gepäck hatte ich unter anderem einen großen, sperrigen Karton mit dem großen Schriftzug „Bayerische Kartoffeln“. 
Ich hatte den Karton ein paar Tage zuvor den freundlichen Mitarbeitern im Aldi neben meiner Wohnung abgeluchst. Unter Stöhnen hievte ich die 33 Kilogramm schwere Box, die neben dem Schriftzug auch noch mit einem Kartoffelfoto versehen war, auf die Waage des Schalters für Sperrgepäck. 
„Was ist da drinnen? Kartoffeln?“, fragte mich der Mitarbeiter des Flughafens skeptisch. 
Eigentlich hätte ich gerne genickt, da die Vorstellung mit einer bayerischen Kartoffel auf Reisen zu gehen, mir sehr gut gefallen hätte („Komm schon, bayerische Kartoffel, ich zeige dir die Welt!“). Aber ich blieb bei der Wahrheit: „Ein Satz Reifen und verschiedene Ersatzteile für mein Motorrad und meine Schutzkleidung.“ Der Beamte schaute mich kurz irritiert an, lachte dann und sagte: „Das verstehe ich, ich fahre auch Motorrad. Das ist Freiheit pur!“
Dann forderte er mich auf, den Karton hinter den Schalter zu tragen. Dort ließ ich die Box ächzend fallen und schaute auf meine Hände, die ich mir an den rauen Ecken des Kartons aufgerissen hatte. „Freiheit verlangt manchmal Opfer.“, dachte ich.

Lea Rieck am Flughafen: Im Gepäck Bayerische Kartoffeln. Foto: Lea Rieck.
Lea Rieck am Flughafen: Im Gepäck Bayerische Kartoffeln. Foto: Lea Rieck.

Ein paar Wochen zuvor hatte ich meinen Freunden freudig davon erzählt, dass ich von November bis Januar den afrikanischen Kontinent mit dem Motorrad bereisen würde. Mein Motorrad erwartete mich bereits in Dakhla, in Marokko/Westsahara. 
„Toll, zwei Monate Freiheit!“, riefen sie.
Ich lachte und nickte.
Am Abend bestellte ich die Ersatzteile für mein Motorrad im Internet und beglich meine Miete für die nächsten zwei Monate, in der meine Wohnung leer stehen würde. Die Untervermietung hatte mir mein Vermieter leider untersagt. 
„Freiheit ist manchmal teuer zu bezahlen.“, dachte ich.  

In Dakhla – schwer zu (er)tragende Freiheit

„Was ist da drinnen?“, fauchte der Zollbeamte am Flughafen von Dakhla und deutete auf die Bayerische-Kartoffel-Box.
Ich lächelte ihn an, schließlich konnte ich seine Neugierde nur zu gut verstehen. Mich hätte es an seiner Stelle auch brennend interessiert wie genau so eine bayerische Kartoffel aussieht. „Bayerische Kartoffeln.“, sagte ich. Ich lachte, aber ich lachte alleine, denn der Zollbeamte schaute noch immer grimmig. 
„Ok, war ein Scherz. Ein Satz Reifen, ein Motorschutz und Bremsbeläge. Und meine Motorradjacke, aber die ist alt und müffelt, die ist sicher nichts mehr wert.“, sagte ich. 
„Aufmachen.“
Ich seufzte, schlitzte mit dem Messer des Zollbeamten direkt in das Kartoffelbild und führte ihm jedes Ersatzteil einzeln vor. Dann sammelte ich alles wieder ein und balancierte die aufgerissene Box und meine Reisetaschen ächzend in die Ankunftshalle des Flughafens. 
„Freiheit ist manchmal sehr schwer zu (er)tragen.“, dachte ich.

Freiheit – Geduld und Helfer

Ein Tag später, in einer kleinen Motorradwerkstatt am Stadtrand von Dakhla /Marokko, Westsahara: Erst verschwanden alle, um zu beten. Dann kamen sie wieder, um mit mir starken schwarzen Tee zu trinken, von dem mir ganz schwindlig wurde. Dann verschwanden sie wieder, um zu beten. Dann reichte mir der Mechaniker der Werkstatt, in der ich seit vier Stunden wartete, damit meine Reifen gewechselt würden wieder Tee. 
„Wann man denn nun meine Reifen wechseln würde?“, wollte ich wissen.
„Bald, bald“, antwortete er mir. Man müsse noch warten, bis alle da wären.
„Freiheit fordert Geduld!“, dachte ich. 
Dann waren da vier Männer, die mein Motorrad hielten, während der Mechaniker die Räder abmontierte um meine Reifen zu wechseln. 
„Die Freiheit eines jeden einzelnen braucht viele willige Helfer.“, dachte ich.

In einer Werkstatt in der Western Sahara. Foto: Lea Rieck.
In einer Werkstatt in der Western Sahara. Foto: Lea Rieck.

Es war Nacht geworden als der Mechaniker endlich meine Räder mit den neuen Reifen montiert hatte. Wir tranken wieder Tee. 
„Ich würde gerne eine Runde mit deinem Motorrad fahren, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.“, sagte der Mechaniker. 
„Freiheit ist Verantwortung.“, dachte ich und nickte. 
Als er zurück war sagte der Mechaniker: „Dein Kupplungszug fühlt sich nicht gut an. Ich würde ihn mir gerne noch ansehen.“ 
Ich seufzte. „Ich wollte um 5 Uhr morgens aufbrechen, damit ich rechtzeitig an der Grenze zu Mauretanien bin.“ 
Er lächelte. „Bis 5 Uhr sind es noch acht Stunden. Lass das Motorrad hier, ich kümmere mich darum.“
Also ließ ich das Motorrad bei ihm und dachte: „Freiheit ist Vertrauen.“ 
Vor dem nächsten Sonnenaufgang stand ich wieder vor der Werkstatt. Der Mechaniker drückte mir müde aber lächelnd die Schlüssel in die Hand. 

Kurz darauf machte ich mich auf den Weg entlang der afrikanischen Westküste. Der Kupplungszug fühlte sich gut an. Und während mir der kühle Wind um die Nase wehte und ich mit der aufgehenden Sonne zwischen den goldglänzenden Dünen der westlichen Sahara in Richtung Mauretanien fuhr war ich dankbar. Ich fühlte mich frei und dachte an den Mechaniker, der vielleicht gerade erschöpft von seiner Nachtschicht schlief und der sich in der letzten Nacht dazu entschlossen hatte, mir an diesem Morgen diese unbekümmerte Freiheit zu schenken. 

Lea Rieck mit dme Motorrad in der Western Sahara vor dem Meer.
Lea Rieck mit dme Motorrad in der Western Sahara. Foto: Lea Rieck.

Über den Begriff „Freiheit“ und seine Bedeutungen

„Freiheit, das ist auch, für die Freiheit anderer auf seine eigene Freiheit zu verzichten.“, dachte ich. Und dann, dass Freiheit zwar manchmal viel fordert, dafür aber nicht nur ein einzelner Begriff ist, der für sich alleine steht. Denn Freiheit kann so vieles sein: Mit Anstand und Toleranz ist Freiheit vielleicht auch immer eine Entscheidung. Die Entscheidung für Verantwortung. Verantwortung, sich für diejenigen einzusetzen, die nicht dieselben Freiheiten haben. Die Entscheidung nochmal richtig zuzuhören, auch wenn wir davor schon meinen zu verstehen. Oder die Entscheidung auf unsere eigene Freiheit zu verzichten, wenn wir dadurch andere schützen können. 
Manchmal ist Freiheit laut und mutig, manchmal ist Freiheit leise und zurückgezogen. Manchmal muss man für die Freiheit aufbrechen und kämpfen und manchmal reicht es aus, zu Hause zu bleiben und einfach nichts zu tun. 
Und dann fragte ich mich, ob der Einzelne jemals wirklich frei sein kann, wenn es nicht auch alle anderen sind.

Autorin: Lea Rieck

Vielen lieben Dank, Lea Rieck, für diesen lebendigen Bericht von deiner Motorrad-Reise mit und ohne Kartoffel. Spannend dabei, wie du ein faszinierendes Deutungs-Geflecht von Freiheit für uns ausbreitest – das bietet Anregungen zu eigenen Überlegungen!

Lea Rieck, geboren 1986 in München, studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität Kunstgeschichte, BWL und Jura. Wenn sie nicht um die Welt reist, arbeitet sie in München als Journalistin und Beraterin. Auf ihrem Blog und ihren Social-Media-Kanälen berichtet Lea Rieck über ihre Reisen mit dem Motorrad. „Sag dem Abenteuer, ich komme. Wie ich mit dem Motorrad die Welt umrundete und was ich von ihr lernte“ erschien 2019 bei KiWi-Paperback.


Vernetzungsaktion #ErikaMann (16.  27. März 2020)

Ihr könnt bei der Vernetzungsaktion mitlesen und Euch mit den Teilnehmenden vernetzen und austauschen, gerne auch mitdiskutieren. Die Aktion dokumentieren wir mehrfach:

Gastbeiträge im Blog zum Thema:


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