Reading Challenge im November
Wände und Mauern strukturieren die Welt und beschränken unsere Wege. Von der deutschen Mauer bis zur unsichtbaren Wand: Wir lesen über echte und fiktionale Grenzen.
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Mohsin Hamid: Exit West
Nadia und Saeed lernen sich in einem Abendkurs über Corporate Identity und Product Branding kennen. Sie führen ein modernes Leben in einer Stadt der islamischen Welt. Doch das Land, in dem sie leben, steht am Rande eines Bürgerkrieges und dieser rückt immer näher an ihr persönliches Leben heran. Trotz dieses realistischen Settings gibt es in diesem Roman eine fantastische Dimension. Überall auf der Welt tun sich nämlich Türen in Mauern, Wänden oder Schränken auf, die einen Weg in andere Länder öffnen. Es ist nicht einfach, durch diese Türen zu gehen, aber sie sind oft der letzte Ausweg aus einer lebensbedrohlichen oder unerträglichen Situation. Auch Nadia und Saaed beschreiten schließlich diesen Weg.
Margit/ Programm und Öffentlichkeitsarbeit
Dem Roman gelingt es, gerade mit diesem „Trick“ begreifbar zu machen, was es heißt, plötzlich sein bisheriges Leben aufzugeben und sich in einer völlig neuen, unbekannten Umgebung zurecht finden zu müssen. Sehr beeindruckend!
Lutz Seiler: Stern 111
Beim Thema Mauern in Büchern fällt mir spontan „Stern 111“ von Lutz Seiler ein, denn um Mauern geht es in diesem Roman.
Zwei Tage nach dem Fall der Mauer machen die Eltern von Carl rüber. Sie verlassen das Land, in dem sie ihr Leben verbracht haben, ihre Arbeit, ihre Freunde und Bekannten und ihren erwachsenen Sohn Carl, den gescheiterten Studenten. Der Sohn erhält von ihnen den Auftrag, sich um ihr altes Leben, die Wohnung und ihr geliebtes Auto, einen Schiguli, zu kümmern. Er verweigert sich allerdings diesem Auftrag und haut nach Berlin ab.
In Berlin wird er von einer anarchistischen Clique von Hausbesetzern und Künstlern aufgenommen, die in Ostberlin leerstehende Häuser besetzt. In den Kellern dieser Häuser wird eifrig gearbeitet, Mauern werden eingerissen und wieder aufgebaut, um dort dann illegal betriebene Kneipen zu führen. Carl versucht in diesem Chaos, in der Funktion als Maurer und Kneipenbetreiber zugleich, seinen Traum, Dichter zu werden zu verfolgen und gleichzeitig seiner Beziehung zu seiner Jugendliebe, die er dort wieder trifft, gerecht zu werden.
Parallel dazu wird das Schicksal der Eltern geschildert, die mühsam versuchen, sich im Westen eine neue Existenz aufzubauen und die mit „dem Mauern“ der Wessis gegen die Ossis zu kämpfen haben.
Ein insgesamt interessanter Roman über die Nachwendezeit.
Eva/ Stadtbibliothek Am Gasteig
Marlen Haushofer: Die Wand
Zum diesem Thema darf natürlich der Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer nicht fehlen. Er ist 1963 erschienen, aber für mich ist er tatsächlich ein zeitloser Klassiker, den ich mehrmals in verschiedenen Phasen meines Lebens gelesen habe und der mich immer wieder zu neuen Überlegungen im Hinblick auf die menschliche Existenz angeregt hat. In den von coronabedingten Kontaktbeschränkungen geprägten Zeiten liest sich der Roman wieder vor einem anderen Erfahrungshintergrund. Wie geht ein Mensch mit dem plötzlichen Abgeschnittensein von jeglichen menschlichen Kontakten und von jeglicher menschlichen Kommunikation um?
Margit/ Programm und Öffentlichkeitsarbeit
Adam Johnson: Das geraubte Leben des Waisen Jun do
Hier wird der Lebensweg eines Nordkoreaners namens Pak Jun Do erzählt. Aufgewachsen in einem Waisenhaus, ist sein weiteres Leben von der Militärdiktatur des „Großen Führers“ Kim Jong-il stark geprägt. Warum Kinder harte Arbeit verrichten müssen, warum viele Menschen im schlimmsten Elend leben müssen, all das hinterfragt Jun Do nicht. Er wird zu einem Soldaten, der bedingungslos gehorcht. Er nimmt an Entführungen japanischer Bürger teil und arbeitet später als Funker auf einem Fischerboot, um die Nachrichten des „Feindes“ zu abhören. Das ändert sich, als er sich zum ersten Mal verliebt und lernt, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Melanie/ Soziale Bibliotheksdienste
Es ist ein spannendes Buch mit vielen humorvollen Stellen. Die Charaktere sind recht skurril dargestellt, dass man sie gern liest. Nichtsdestotrotz ist es ein sehr bedrückendes Thema, das dem Leser eine Vorstellung davon, wie das Leben in einem abgeschotteten, von einem Personenkult dominierten Land wie Nordkorea aussieht, vermitteln kann.
Franziska Gehm, Horst Klein: Hübendrüben: als deine Eltern noch klein und Deutschland noch zwei waren
Ein tolles Bilderbuch über das geteilte Deutschland. In beiden lebten Kinder mit ihren Familien, und trotz der vielen alltäglichen Unterschiede gab es auch viele kleine Gemeinsamkeiten. Fast wie in einem Wimmelbuch greifen Franziska Gehm und Horst Klein die vielen Anknüpfungspunkte auf, mit denen alle etwas anfangen können: die Arbeit der Eltern, die Wohnung oder das Haus der Familie, der Sommerurlaub. Wie war das bei der Einschulung, was aßen die Kinder am liebsten, was spielten sie? Auch die Entstehung der zwei deutschen Länder im Westen und im Osten wird nicht ausgespart. Trotz der vielen kleinen Details entsteht hier ein Blick auf das Wesentliche, der für Kinder und Erwachsene gleichsam spannend ist.
Mareike/ Programm und Öffentlichkeitsarbeit