Schwarze Haut, weißes Kleid

Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind (Roman)

Die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison hat erneut einen zutiefst aktuellen Roman geschrieben. Ihr Thema: starke Frauen, die sich auch durch widrige Umstände nicht unterkriegen lassen in einem Amerika, das insbesondere für weiße Amerikaner ab der gehobenen Mittelschicht aufwärts wirklich gute Chancen bietet.

Im Mittelpunkt steht Lula Ann, die als fast blauschwarzes Baby ihre eher helle Mutter Sweetness in Angst und Schrecken versetzt und den ebenfalls nicht sehr schwarzen Vater nach der Geburt in  die Flucht treibt, denn er geht davon aus, dass er unmöglich der Kindsvater sein kann. Lula Ann wehrt sich gegen die gutgemeinten Versuche ihrer Mutter, sie als gehorsames und gefügiges Kind zu erziehen; schließlich drohen gerade ihr rassistische Übergriffe. Doch je älter und schöner Lula Ann wird, desto mehr Widerstand setzt das selbstbewusste Mädchen der mütterlichen Autorität entgegen; Anpassung um den Preis der Selbstaufgabe – nein danke. Stattdessen nennt sie sich Bride, trägt als schiere Provokation blendend weiße Kleidung und macht auf diese Weise Karriere bei einer Kosmetikfirma. Schließlich verliebt sie sich in einen exzentrischen jungen Afroamerikaner, der sich, genauso wie Bride, von den Gespenstern der Vergangenheit befreien muss. In seinem Fall: dem gewaltsamen Tod seines Bruders. Im Falle von Lula Ann: eine furchtbare Lüge, die eine Lehrerin für 15 Jahre unschuldig ins Gefängnis brachte, dem Mädchen aber endlich die fehlende Zuneigung des Mutter sicherte.

Überzeugt hat mich dieser Roman gerade deswegen, weil er weder zu belehren noch zu missionieren beabsichtigt. Tatsächlich nimmt die Story im mittleren Teil richtig Fahrt auf. Den durch den ständigen Perspektivenwechsel der Protagonisten zeigt sich die ganz individuelle Sicht der Beteiligten. Selten nur lässt T. Morrison eine allwissende Erzählstimme zu Wort kommen – allgemeingültige Urteile werden somit nicht abgegeben. Es bleibt die Frage offen, ob der alltägliche und strukturelle Rassismus in den USA überwunden werden kann.

Im letzten Kapitel kommt die Mutter noch einmal zu Wort. In einem Brief ohne Absender hat ihr Bride mitgeteilt, dass sie schwanger ist. Und Sweetness denkt über ihre Fehler und Versäumnisse als Mutter nach. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie oftmals hart reagiert hat – um ihr Kind zu schützen. Was sie Bride mit auf den Weg gibt: Viel Glück, und Gott, hilf dem Kind. „Hätte Amerika eine Nationalschriftstellerin, so wäre es Toni Morrison“, befindet die New York Times.

Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio geboren und studierte an der Cornell University Anglistik. Sie hatte in Princeton eine Professur für afroamerikanische Literatur inne und ist Mitglied der National Council on the Arts sowie der American Academy of Arts and Letters. Neben zahlreichen Preisen erhielt sie 1993 den Nobelpreis für Literatur.

Toni Morrison: Gott, hilf dem Kind. Aus dem Amerikanischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, 208 Seiten

Titelfoto: Kevar Whilby auf Unsplash

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