Rot!

Reading Challenge im Juli

Es gibt eine Erfahrung, die alle Bibliothekarinnen und Bibliothekare (und vermutlich auch alle Buchhändlerinnen und Buchhändler) eint: Kommt ein Leser an die Theke, fragt nach einem Buch, dessen Namen und Autor_in er vergessen hat. Das Einzige, was er noch weiß: die Farbe des Covers. Überhaupt ist’s gerade sehr beliebt, nach Farben zu lesen – wohl weil es keinen höheren Sinn hat. Auch wir wollten mal ein bisschen wilder lesen, und deshalb lautet das Juli-Thema unserer diesjährigen Reading Challenge: Rot! Hier unten findet ihr unsere Tipps – und welches Buch könnt ihr empfehlen? (Ein Klick aufs jeweilige Cover führt euch in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Vormerken.)


Alan Bennett: Die souveräne Leserin

Empfehlung von Waltraud (Stadtbibliothek Am Gasteig) …

Was passiert, wenn die Queen auf der Suche nach ihren Corgis zufällig in einem der zahlreichen Höfe von Windsor ausgerechnet auf den Bücherbus stößt? Genüsslich spielt der britische Schriftsteller und Dramatiker Alan Bennett mit diesem Sujet. Angeleitet durch einen lesefreudigen Küchenjungen liest sich die Queen durch die Weltliteratur und scheitert leider öfters daran, mit den Regierungschefs anderer Staaten ambitionierte Gespräche über deren Nationalliteratur zu führen. Das alles wird mit leichter und ironischer Hand auf gerade mal 109 Seiten erzählt und ist ein absoluter Lesegenuss.

Und was hat die Farbe Rot damit zu tun? Das Buch ist in der Reihe Wagenbach Salto erschienen, die nach Auskunft des Verlags literarische und (kultur-)geschichtliche Kostbarkeiten nach allen Regeln der Schwarzen Kunst verlegt: „Schlankes Format, rotes Leinen, fadengeheftet, aufgeklebtes Schildchen, farbige Prägung, durchgefärbtes Vorsatzpapier. Seit 1987.“ Viel Vergnügen!

… und von Annette (Stadtbibliothek Maxvorstadt)

Für diese Challenge-Aufgabe hätte man natürlich gleich alle Bücher aus der Salto-Reihe des Wagenbach-Verlag (die mit dem hübschen roten Leineneinbänden) lesen können. Diese Reihe sei hiermit allen literarisch interessierten Leser*innen wärmstens empfohlen! Die Erzählung von Alan Bennett liebe ich, weil sie eine sehr witzige Hommage ans Lesen ist.

Die Hunde rannten der englischen Königin davon und waren letztlich schuld daran, dass sie in einem der Höfe von Windsor den Bücherbus der Bezirksbibliothek entdeckte. Eigentlich lieh sie sich mehr aus Höflichkeit ihr erstes Buch aus. Aber wie das eben so ist mit dem Lesen: „Sie entdeckte, wie ein Buch zum nächsten führte, wie sich immer mehr Türen öffneten, wo sie sich auch hinwandte, und dass die Tage für alles, was sie lesen wollte, nicht ausreichten.“ Kennt jeder, oder?

Bald bezieht sie ihre Lektüre aus verschiedenen Bibliotheken und vernachlässigt ihre königlichen Pflichten. Und sie ist überzeugt: „Bücher sind kein Zeitvertreib. Sie handeln von anderen Leben. Anderen Welten. Man will sich ganz und gar nicht die Zeit vertreiben, … man wünscht sich im Gegenteil mehr davon.“

Eines Tages liest die englische Königin wieder weniger und man ahnt, was nun kommt. Etwas, was vielen Vielleser*innen früher oder später passiert… Nein, ich verrate es nicht! Nur noch ein schönes Zitat: „Ein Buch ist ein Sprengsatz, um die Phantasie freizusetzen.“ Genau!

Wagenbach Verlag, 120 Seiten. Aus dem Englischen von Ingo Herzke.


Drei Empfehlungen von Birgit (Stadtbibliothek Neuhausen)

Colson Whitehead: Die Nickel Boys

So viel sei vorab schon einmal gesagt: Dieses Buch ist mein aktuelles Lieblingsbuch, und ich lege es wirklich allen ans Herz. Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten und macht sie damit um so schrecklicher: Elwood ist ein junger Schüler dunkler Hautfarbe, der Anfang der 1960er Jahre in Florida aufs College gehen möchte. Durch einen unverschuldeten Zwischenfall landet er stattdessen in der Besserungsanstalt Nickel Academy. Und – wie die meisten schon ahnen – dort werden die Jungs gequält und fürs Leben gebrochen.

Die Geschichte ist – trotz des harten Inhalts – sehr warmherzig und spannend erzählt. Und hat überraschende Wendungen zu bieten. Ein Buch mit einem roten Cover und einer blutroten Handlung. Und mit einer absoluten Leseempfehlung!

Hanser Verlag, 224 Seiten, aus dem Englischen von Henning Ahrens

Alina Bronsky: Der Zopf meiner Großmutter

Auf der Suche nach roten Büchern bin ich über den „Zopf meiner Großmutter“ gestolpert. Nach „Baba Dunjas letzte Liebe“ (zu empfehlen, wenn auch mit blauem Cover) eine neue Geschichte rund um die skurrilen, doch liebenswerten Figuren von Alina Bronsky.

Max kommt mit seinen Großeltern nach Deutschland und landet dort erst einmal – mit vielen weiteren Flüchtlingen – in einem Wohnheim. Die Großmutter (mit langem, hennarotem Zopf) schimpft über alles und jeden und bekommt deshalb auch nicht mit, dass sich ihr Mann in eine andere Frau verliebt. Eine Beziehung mit Konsequenzen, die das Leben aller Beteiligten ordentlich durcheinanderwirbelt. „Der Zopf meiner Großmutter“ ist ein leichtes Sommerbuch, das sich in einem Rutsch durchlesen lässt.

Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten

Natalie Buchholz: Der rote Swimmingpool

Adams Eltern führen die perfekte Ehe: Die Mutter ist Französin und wunderschön, der Vater beruflich viel unterwegs und erfolgreich. Weil die Mutter für ihr Leben gerne schwimmt, lässt ihr der Vater im Garten einen roten Swimmingpool bauen. Doch dann verschwindet der Vater aus Adams Leben, und auch die Mutter sagt Adam nicht, was zum Scheitern der Ehe geführt hat. Adam ist verwirrt, frustriert und begeht einen großen Fehler.

In etlichen Zeitsprüngen wird die Geschichte von Adam und seinen Eltern erzählt. Das Ganze liest sich sehr locker, und da die Auflösung erst am Ende gebracht wird, bleibt es bis zuletzt auch spannend.

Hanser Verlag, 288 Seiten


Drei Empfehlungen von Stefanie (Stadtbibliothek Westend)

Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Unbedingt als Hörbuch anhören. Zu köstlich! Autobiografische Erzählung, in der der Autor von seiner Ausbildung auf der Schauspielschule berichtet, vom Zusammenleben mit seinen Großeltern in der Villa in Nymphenburg und den festen Ritualen, die so ebenso absurd wie hochprozentig sind, das kann man sich nicht ausdenken!

Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten

Philip Roth: Der menschliche Makel

Dieses Buch müsste eigentlich unter der Farbe lilienweiß stehen, denn um die Farbe dreht sich einiges in diesem Buch 😉

Einer meiner Lieblingsromane (Bibliothekarinnen können sich nie für nur einen Titel entscheiden): Ein alter Professor stolpert über einen unbedacht ausgesprochenen Satz, an dem seine ganze mühsam aufgebaute Existenz zu zerschellen droht. Politisch, gesellschaftskritisch, zärtlich, klug, poetisch.

(Es gibt eine sehr gute Verfilmung mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman – trotzdem zuerst das Buch lesen!)

Rowohlt Verlag, 400 Seiten. Aus dem Englischen von Dirk van Gusteren

Vincent Almendros: Ein Sommer

Zwei Pärchen: zwei Frauen, zwei Männer, genauer gesagt Brüder. Eine der Frauen die Exfreundin des anderen. Zu viert. Auf einem Boot. Im Mittelmeer. Ihr ahnt es: drama incoming. Bitterböse, sexy und sehr sommerlicher kurzer Roman über Beziehungen, Lebensentwürfe und die Opfer, die man bereit ist dafür zu bringen.

(ganz neu, vom selben Autor und auch rot: „Ins Schwarze“)

Wagenbach Verlag, 96 Seiten. Aus dem Französischen von Till Bardoux


Und noch zwei Tipps von Gisela und Katja

Orhan Pamuk: Rot ist mein Name

Mein liebstes Buch von Orhan Pamuk: Ein reichhaltiger Schmöker, der mit großartiger Fabulierkunst und -freude von einem Mord unter Buchillustratoren im osmanischen Reich von 1591 erzählt. Der Tote spricht aus den Tiefen eines Brunnens zu uns, und eine Münze sowie ein Hund bekommen eine unverwechselbare Stimme. Meisterhaft wird eine leise und anrührende Liebesgeschichte in die Handlung verwoben. Für mich ist der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk einer der ganz großen Erzähler. Alle wichtigen Zeitungen sind sich einig, dass es Pamuk gelingt, das Verhältnis von Tradition und Moderne auf differenzierte Art und Weise zu betrachten. Der Streit zwischen Traditionalisten und Neueren findet auch in der heutigen Türkei statt. Das Buch ist 1998 in Istanbul und 2001 in der deutschen superben Übersetzung von Ingrid Iren bei Carl Hanser Verlag erschienen. Lesen! Gisela (Stadtbibliothek Moosach)

Hanser Verlag, 560 Seiten. Aus dem Türkischen von Ingrid Iren


Nathaniel Hawthorn: Der scharlachrote Buchstabe

Im Studium mussten wir jede Woche mindestens zwei Bücher lesen – einen aktuellen Roman und einen Klassiker. Einer dieser Klassiker hat mich besonders beeindruckt, es war „Der scharlachrote Buchstabe“ von Nataniel Hawthorn.
Der Roman spielt in Neuengland im 17. Jahrhundert in einer strenggläubigen Siedlung. Die Hauptfigur ist Hester Prynne, eine Ehebrecherin, die ein illegitimes Kind zur Welt bringt. In diesem religiösem Umfeld ist das ein furchtbares Verbrechen, für das sie an den Pranger gestellt wird. Sie verrät den Kindsvater nicht und muss als Zeichen ihrer Schuld einen scharlachroten Buchstaben für alle sichtbar an der Kleidung tragen. Diesen Buchstaben trägt sie mit Stolz und einer unglaublichen Würde. Für mich ist sie eine der starken Frauen der amerikanischen Literatur. Sie steht zu sich und zu diesem Kind, überwindet Ausgrenzung, Anfeindung und Hass. Der Kindsvater bekennt sich nicht zu dem Kind. Erst am Ende des Buches zeigt sich, wie sehr auch ihn diese Anfeindung mitnahm.

Für alle die gerne Hörbücher in Englisch hören: In der Naxos Spoken Libary gibt es eine wunderbare Fassung dieses Werkes. Katja (Stadtbibliothek Hasenbergl)

Hanser Verlag, 480 Seiten. Aus dem Englischen von Jürgen Brôcan


Featured Image: Joanna Kosinska / Unsplash

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