Habt ihr ein Lieblingsthema, über das ihr gerne jedes noch so kleine Detail erfahren möchtet? Oder gähnt da eine Wissenslücke, die ihr schon längst einmal schließen wolltet? Drückt ihr euch schon ewig davor, diesen Sachliteratur-Wälzer aufzuschlagen? Dann habt ihr diesen Monat die Gelegenheit, das zu ändern, euer Wissen zu erweitern, indem ihr eure Lektüre aus dem Sachbuchspektrum wählt. Unsere Kolleg*innen in der Bibliothek sind schon dabei.
Tin Fischer: Einer von Hundert wird 100 : So ziemlich alles, was man über das Leben wissen muss
Endlich ein Buch, das alle wichtigen Fragen des Lebens nicht nur stellt, sondern mit launigen Illustrationen und kurzweiligen Texten auf der Grundlage nüchterner Zahlen beantwortet. So erfährt man, wie man als deutsche*r Sportler*in am leichtesten zu den Olympischen Spielen kommt. Soviel sei verraten: Es lohnt sich, eine Wintersportart zu betreiben, bei der es aufgrund geringer Vereinsmitgliedszahlen wenig Konkurrenz um die Startplätze gibt. Der Datenjournalist Tin Fischer hat in diesem Buch wissenschaftlich erhobene Daten und Fakten zusammengetragen zu „so ziemlich alle[m], was man über das Leben wissen muss,“ wie der Untertitel verspricht. Es lädt durch seine großformatigen Illustrationen zum Blättern ein. So gehen die Lesenden auf eine Entdeckungsreise durch das menschliche Leben und erfahren etwa, was Kinder einmal werden wollen und wie viele Stellen es für ihre Traumberufe in Deutschland gibt (für Nummer 9 – Prinzessin – leider keinen, für Nummer 4 – Ärztin/Arzt – immerhin 402 000), oder „wie sehr ein Hund das Sterberisiko senkt und was das mit dem Sinn des Lebens zu tun hat“. Das Schöne an diesem Sachbuch ist die Mischung aus Themen, die in einem solchen Datenatlas zu erwarten sind („Wer wann von zu Hause auszieht und was das mit Gleichstellung zu tun hat.“) und Aspekten, bei denen es überrascht, dass sie wissenschaftlich untersucht und ausgewertet wurden, wie zum Beispiel welche Lebensmittel als Tattoos am beliebtesten sind. Dabei liegt die Pizza weiter vorne als wahrscheinlich Viele vermuten. Das Buch ist ein Schatz – nicht nur für Fans von Daten, sondern auch für solche von Zufallsfunden.
Vera/ Zentrale Dienste
Kübra Gümüşay: Sprache und Sein
Dieses Buch hat mir eine Freundin empfohlen. Als ich es dann vormerken musste, habe ich erst gesehen, dass es ein Spiegel-Bestseller ist. Bei so einem trockenen Thema wie Sprache? Doch die Autorin vermittelt sehr klar und gut lesbar, welche Macht die Sprache hat. Die vielen Beispiele, die sie anführt, habe ich bei Gender-Diskussionen im Familien- und Freundeskreis gerne wiedergegeben. Die Autorin lebt selbst als mehrsprachige Muslimin mit türkischem Hintergrund in Deutschland und in London, sie berichtet von ihren eigenen Erfahrungen mit Stigmatisierung. Ich habe es nur in Ausschnitten gelesen, aber wo auch immer ich hineingelesen habe, konnte ich anknüpfen und fand es interessant.
Barbara/Stadtbibliothek Sendling
Sarah Cooper: Wie du erfolgreich wirst, ohne die Gefühle von Männern zu verletzen
Wieder mal „Klar, schiebe ich ein.“ statt „NEIN!“ gesagt? Im Meeting von einem Kollegen unterbrochen worden? Vergeblich auf eine Gehaltserhöhung oder gar Beförderung gehofft? – Satirisch, komisch und ohne falsche Scham: Sarah Cooper gibt ihren Leser*innen mit ihrer Analyse Waffen an die Hand, um die männerdominierte Arbeitswelt zu erobern. Falls trotzdem alle Strategien fehlschlagen, enthält dieses Buch drei heraustrennbare Schnurrbärte. So kann sich die Leserin ganz einfach als Mann tarnen und wirkt automatisch weniger bedrohlich.
Karina/ Zentrale Dienste
Die Autorin hat einen ganz besonderen „Karriere-Ratgeber“ für Frauen geschrieben. Kritisch analysiert sie die Ungleichheit in der Arbeitswelt, betreibt eine satirische Gesellschaftsanalyse und mischt die Rollenerwartungen, die unser Berufsleben nach wie vor bestimmen, auf. Sie gibt Tipps für das Vorstellungsgespräch, erläutert die Kommunikation zwischen Mann und Frau oder das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Sarah Cooper klopft alle Bereiche des Arbeitslebens auf Klischees ab und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund – witzig illustriert und wortgewandt auf den Punkt gebracht. Eine echte Leseempfehlung für alle, die lachen und zugleich weinen möchten.
Ales Adamowitsch, Daniil Granin: Blockadebuch. Leningrad 1941 – 1944
900 Tage, rund 1,5 Millionen Tote – das ist die Bilanz eines der größten Verbrechen der deutschen Wehrmacht während des Krieges gegen die Sowjetunion, der Blockade von Leningrad. Ales Adamowitsch überredete Daniil Granin, der selbst aus Leningrad stammte und als Soldat die Stadt mit verteidigt hatte, mit Überlebenden der Blockade zu sprechen, ihre Erinnerungen aufzuzeichnen und zu veröffentlichen.
Klaus/ Programm und Öffentlichkeitsarbeit
Um ehrlich zu sein: Fast 700 Seiten mit Beschreibungen von für mich unvorstellbarem Leiden und gleichzeitig ebenso unvorstellbarem Willen, den faschistischen Feind zu überleben – die konnte ich nicht am Stück lesen. Gleichzeitig ist das Blockadebuch aber weit mehr als ein Sachbuch. Wer nur wissen will, was es mit der Blockade Leningrads vom Herbst 1941 bis Januar 1944 auf sich hatte, kann auch den Wikipedia-Artikel lesen. Hier können wir erfahren, wie es für die Frauen, Kinder und Männer war, sich an jedem der 900 Tage gegen den Hunger zu wehren, ohne etwas zu essen zu haben, gegen die Kälte anzukommen, ohne Heizmaterial und intakte Häuser und trotz ständiger Bombardierungen. Die Beschreibungen erweitern die Wirklichkeit der Fakten.
Selbst in der quasi-literarischen Form kann man nur voller Staunen vor der Selbstverständlichkeit stehen, mit der die Zeug*innen berichten, was sie tun mussten – gegen ihre Feinde, Kälte und Hunger, um ihre Kinder zu retten und die Front zu unterstützen. Und auch, wenn es immer wieder grenzwertig ist, soll mensch dieses Buch lesen. Weil es zeigt, was trotz aller Umstände und trotz aller Opfer für Menschen möglich ist, wenn sie wissen, warum sie es tun. Und warum sie es tun müssen, wenn sie mit äußerster Kraft darum kämpfen, Menschen zu bleiben.
Und wer mal eine Pause braucht, kann sich die 7. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch anhören, die „Leningrader Symphonie“, uraufgeführt im Sommer 1942 in Leningrad. Das Stück gibt es in verschiedenen Aufnahmen in der Naxos Music Library und ist auch zuhause anhörbar für alle mit Bibliothekskarte.
Susanna Partsch: Wer klaute die Mona Lisa? Die berühmtesten Kunstdiebstähle der Welt
Wusstet ihr, dass nach dem Raub der Mona Lisa die Menschen scharenweise in den Louvre strömten, um dort den leeren Platz zwischen den anderen Gemälden anzusehen? Oder dass Stéphane Breitwieser im Lauf von sechs Jahren Kunstwerke im Wert von 1,4 Millionen stahl – einfach weil er Kunst so sehr liebte, sie sich aber nicht leisten konnte? Wer noch mehr von solchen unglaublichen Kunstdiebstählen, verschwundenen Kunstwerken und den unterschiedlichsten Beweggründen erfahren möchte, der ist mit diesem Titel bestens bedient. Hier kommen viele Geschichten ans Licht, die leicht zu lesen (von wegen „trockene und langweilige Sachbuchsprache“) und in kleine spannende Kapitel geordnet sind. Eine klare Leseempfehlung für Kunstliebhaber*innen und alle, die gerne unterhaltsame Sachbücher lesen.
Birgit/ Stadtbibliothek Neuhausen.
Robert Macfarlane: Im Unterland: Eine Entdeckungsreise in die Welt unter der Erde
Ich bin ein Fan des in-Genres Nature-Writing. Die Sprache finde ich da sehr wichtig, denn wenn der Inhalt eher undramatisch ist, muss der Genuss über die Sprache kommen. Und undramatisch finde ich mitunter ungemein entspannend. Ein fantastischer und sehr erfolgreicher Autor auf diesem Gebiet ist der Brite (natürlich!) Robert Macfarlane.
Barbara/ Stadtbibliothek Sendling
Obwohl ich noch nie in Großbritannien war, habe ich mit Genuss „Alte Wege“ gelesen über Wanderungen durch das Königreich auf alten Pfaden. Und obwohl ich Höhlen überhaupt nicht mag, ist „Im Unterland. Eine Entdeckungsreise in die Welt unter der Erde“ eine fantastische Leseerfahrung. Es geht darin auch längst nicht immer um die Natur. Die 50 Seiten über die Katakomben von Paris beispielsweise sind spannend, unterhaltsam, informativ, persönlich, subversiv. Wer hat schon mal von Urbexern gehört? Da geht‘s um die Erkundung von Einrichtungen des städtischen Raums, oft „Lost Places“, in diesem Fall des Pariser Untergrunds. Macfarlane erkundet diesen nämlich mit einer Urbexerin, was dazu führt, dass er noch nie so lange das Tageslicht nicht gesehen hatte.
So ist es mit Sachbuch- Autoren, die mich schon über die Sprache einnehmen: Ich lasse mich treiben und entdecke Welten, nach denen ich nie gesucht hatte. In diesem Fall Unterwelten.