Reading Challenge im August: Dabei sein ist alles!

Die Reading Challenge im August führt uns in die Welt des Sports. Vor 50 Jahren hatte München das Olympiafieber gepackt, spätestens, als am 26. August 1972 die 20. Spiele im Olympiastadion eröffnet wurden. Inspiriert durch die zahlreichen Jubiläumsaktionen treiben wir uns auch bei der Reading Challenge zu Höchstleistungen an. Höher, weiter, schneller – diese Empfehlungen rund um den sportlichen Wettkampf gehen diesen Monat für uns an den Start.

Ein Klick aufs jeweilige Cover führt euch in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Vormerken.

Cover des Romans "Spiele" von Ulrike Draesner
Luchterhand-Literaturverlag, 491 Seiten

Ulrike Draesner: Spiele

Ulrike Draesner, geboren in München, erzählt in ihrem Roman „Spiele“ aus dem Jahr 2005 wie die Fotojournalistin Katja private Erinnerungen mit der Aufarbeitung politischer Ereignisse verbindet. 1972 war für die Protagonistin Katja eine spannende Zeit: das Ende ihrer Jugend verbunden mit der ersten Liebe, der Vater findet eine neue Frau und die Olympischen Spiele in München versetzen die Stadt erst in eine weltoffene, euphorische, nach der Geiselnahme und Ermordung der israelischen Sportler in eine bedrückte Stimmung. 30 Jahre später beginnt sie zurückzublicken, die politischen Ereignisse um das Attentat zu recherchieren, aber auch die persönlichen Erinnerungen zu aktivieren.
Jozef, ihr aus Schlesien heimatvertriebener Großvater, formuliert es im Roman: „Die große und die kleine Geschichte kümmern sich nicht umeinander, sie durchdringen sich bloß.“ Am Ende ihrer Recherche weiß Katja es genauer: „Jedes Durchdringen schließt Berührung ein, bedeutet Veränderung… Das ‚Unglück‘ im September 1972 war kein Unglück, auch wenn mancher das gern geglaubt hätte, sondern eine unwahrscheinliche Mischung aus exakter Planung, grober Nachlässigkeit, heiterer Sorglosigkeit; ein riesiges Puzzle mit einem Loch in der Mitte.“ In der Rekonstruktion der Ereignisse vom Sommer ’72 kann Katja ihre Schuld am Unglück ihrer Jugendliebe Max‘ für sich bestimmen: Wenn sie ihn nicht verraten hätte, wäre er nicht zur Polizei gegangen und nicht in das Schussfeld der „großen“ Geschichte geraten.
Aber der Roman erzählt nicht nur entlang dieser politischen Ereignisse. Er berichtet auch von entscheidenden Wendepunkten im Leben von Katja, vom Verlust der Mutter, von ihrer kindlichen Beziehung zu den Großeltern, die im Krieg ihre Heimat verloren hatten, von der Freundschaft zur neuen Gefährtin ihres Vaters, von der Entscheidung ihre beruflichen Reisen als Journalistin auszusetzen und eine Affäre mit dem Bibliothekar Paul einzugehen, von Heimat und Zufall, aber auch von Max, dem jungen Polizisten, dessen Schicksal sich durch seinen Einsatz auf dem Flugfeld in Fürstenfeldbruck brutal veränderte.
Ulrike Draesner gibt interessante Einblicke in die Stimmung in der Stadt während der Olympischen Spiele und generell in die gesellschaftliche Situation in den siebziger Jahren in München. Aber sie widmet sich auch Katjas Gefühlsleben, denn sie vergisst nicht die Liebesbeziehung auf dem roten Wasserbett ausführlich zu beschreiben. Eine gute Mischung.

Viola/Stadtbibliothek Neuhausen

Buchcover von "Wir gingen raus und spielten Fußball" von Andreas Bernard
Klett-Cotta Verlag, 155 Seiten

Andreas Bernard: Wir gingen raus und spielten Fußball

Ich wohne in direkter Nachbarschaft eines Bolzplatzes und auch als Fußball-Ignorantin beobachte ich gern das bunte, aber nie chaotische oder aggressive Treiben dort. Deshalb war ich neugierig auf das Buch des Berliner Autors Andreas Bernard, in dem er den Bolzplätzen seiner Kindheit und Jugend im Münchner Stadtteil Sendling ein sehr persönliches kleines Denkmal setzt.
Sendling in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren: Hier ist nichts hip, reich oder skandalös, einen „neutralen Zwischenraum“ nennt Bernard das Viertel, in dem er seine Kindheit zwischen „Abenteuer“ und „Gummi“ verbringt und auf diesen beiden Bolzplätzen bis in die A-Jugend spielt. Erst eine lange Verletzungspause weckt in ihm, für den sich bis dato alles um Fußball drehte, schließlich eine neue Leidenschaft: das Lesen.
Bernards Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an den Fußball, an Zusammenhalt, Rituale und Freundschaft. Es fragt auch, wie wir uns erinnern, wie sich eigene Erinnerungen, Schilderungen anderer und später Nachrecherchiertes und Angelesenes zu unserer ganz eigenen Geschichte vermischen. Und nicht zuletzt bringt es uns die Bedeutung der Spannkraft von Tornetzen und den Siegeszug der Apfelschorle näher.

Sylvi/Monacensia

Cover des Romans "Laufen" von Isabel Bogdan
Kiepenheuer & Witsch Verlag, 208 Seiten

Isabel Bogdan: Laufen

Als Isabel Bogdans Protagonistin wieder mit dem Joggen beginnt, hat sie keine sportlichen Höchstleistungen im Sinn. Sie verausgabt sich, um nicht nachdenken zu müssen. Sie läuft weg – vor der Trauer um ihren Lebensgefährten, der sich das Leben genommen hat, vor der Leere, die er in jedem Winkel ihres Lebens hinterlassen hat und vor den Schuldgefühlen, dass sie seinen Tod vielleicht hätte verhindern können.
Die Geschichte wird als kontinuierlicher Gedankenstrom der Protagonistin erzählt. Alles, was sie während ihrer Laufrunden zunächst noch zu verdrängen versucht, was ihr aber trotzdem ständig durch den Kopf geht, wird ungefiltert weitergegeben. So kommt man ihr beim Lesen sehr nahe und wird unmittelbar mit ihren Empfindungen konfrontiert. Im Rhythmus ihres stetigen „Einatmen. Ausatmen. Ausatmen“ durchläuft man gemeinsam ihren Trauerprozess, feiert mit ihr kleine Fortschritte, kämpft zusammen mit Rückschlägen und abrupten Gefühlswechseln. Da, wo anfangs nur Raum für schiere Verzweiflung zu sein schien, tauchen mit der Zeit Gedanken und Fragen jenseits von Verlust und Trauer auf: Mit welchen Menschen möchte ich mein Leben teilen? Welche Beziehungen möchte ich führen? Wie kann ich mein Leben nach meinen Wünschen gestalten?
Isabel Bogdan gelingt es, trotz der sehr engen Fokussierung auf die Gefühls- und Gedankenwelt einer einzelnen Figur und ohne die große Philosophie-Keule zu schwingen, eine Geschichte zu erzählen, die weit über ein Einzelschicksal hinausgeht und in der sich (fast) jeder wiederfinden kann, unabhängig davon, ob man selbst bereits einen tragischen Verlust erlebt hat oder nicht.

Hannah/Programm und Öffentlichkeitsarbeit

Buchcover von "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" von Peter Handke
Suhrkamp Verlag, 118 Seiten

Peter Handke: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Es ist eines der abgegriffensten Sprachbilder überhaupt – vielleicht ein Grund, weshalb mensch es nur noch sehr selten hört. Und wenn, dann wird es meistens auch noch schief benutzt: denn beim Gebrauch von „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, ist meist die Angst des Schützen gemeint – denn was hat der Fußballtorwart in dieser Situation, beim Elfmeter, schon zu verlieren? Wovor müsste er Angst haben? Es ist der Schütze, der sich im schlimmsten Fall lächerlich mach: „Der Schütze lief plötzlich an. Der Tormann, der einen grellgelben Pullover anhatte, blieb völlig unbeweglich stehen, und der Elfmeterschütze schoss ihm den Ball in die Hände.“
So endet das vierte Buch von Peter Handke aus dem Jahr 1970, des späteren Literatur-Nobelpreisträgers, wegen seines Serbien-Engagements, wie man so sagt: „umstritten“. Damals aber wurde die rund hundertseitige Erzählung innerhalb kürzester Zeit in 50.000 Exemplaren gedruckt und Wim Wenders dreht seinen ersten echten Spielfilm auf dieser Grundlage. Wer jedoch eine Geschichte zum Thema Fußball erwartet, wird enttäuscht. Es geht um einen Monteur, der „früher ein bekannter Tormann“ gewesen war. Und es geht darum, wie dieser Mann die Welt um sich herum wahrnimmt, vor allem aber: wie er die Wörter wahrnimmt, mit denen diese Welt beschrieben wird – bis dahin, dass der Autor keine Buchstaben mehr aneinanderreiht, sondern Skizzen von Gegenständen in die Zeilen des Buches drucken lässt. Dass Bloch, so der Name der Figur, im ersten Drittel des Textes eine Frau ermordet, macht das Buch nicht zum Kriminalroman, und dass ein behindertes Kind vermisst und von der Polizei gesucht wird, auch nicht.
Bloch, schreibt Handke, sagt: „ ,Ich habe vergessen, einen Zettel zu hinterlegen‘, ohne zu wissen, was er mit den Worten ,Zettel‘ und ,hinterlegen‘ eigentlich meinte. Jedenfalls stieg er allein in ein Taxi und fuhr zum Naschmarkt.“
Fazit? Ich bin mir nicht sicher, ob „Die Angst des Tormanns“ gut gealtert ist. Aber einen Blick in die späten 60er vermittelt der Text allemal – nur eben nicht auf den Fußball.

Klaus/Programm und Öffentlichkeitsarbeit

Noch mehr Tipps zur Reading Challenge im August

Weitere Buchempfehlungen zum Thema in englischer Sprache findet Ihr hier auf Overdrive.
Und eine thematisch passende Playlist könnt ihr euch in der Naxos Music Library anhören (kostenlos mit Bibliotheksausweis).


aufgeschlagenes Buch auf Holzbohlen

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zwei Personen halten sich an der Hand. Zwischen ihren verschränkten Armen steckt ein Buchd

Die Reading Challenge im Juli
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