Reading Challenge 2018: Dystopien und Utopien

Im Januar haben wir zur Reading Challenge “Lesen verbindet!” aufgerufen. Die elfte Aufgabe, die wir euch und uns stellen, lautet: einen dystopischen oder utopischen Roman lesen. Denn wir wollen wissen: Welche Fiktionen zeichnen Schriftstellerinnen und Schriftsteller von der Zukunft? Was bleibt, was vergeht? Die Visionen von Künstlerinnen und Künstlern öffnen ungeahnte Perspektiven.

Zum Einstieg gibt es wie immer Tipps von unseren Bibliotheksblogger_innen – wir wünschen viel Spaß beim Lesen! (Ein Klick aufs Cover führt euch in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Vormerken.)


Maja Lunde: Die Geschichte des Wassers

„Die Geschichte der Bienen“ der norwegischen Autorin stand monatelang ganz oben auf der Bestsellerliste. Nun also ein Roman über das Wasser. Geschickt verpackt die Autorin ihr Wissen über unser schwindendes Trinkwasser in einen Roman, der aus zwei Handlungssträngen besteht.

2041: Südfrankreich hat sich in eine Wüste verwandelt und eine Familie flieht in den Norden. Die Mutter und das Baby gehen auf der Flucht verloren, nur dem Vater David mit seiner 6-jährigen Tochter Lou gelingt es, in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Bordeaux unterzukommen. Alle, die dort hausen, wollen weiter in die „Wasserländer“ im Norden. Diese Länder nehmen aber keine Klimaflüchtlinge mehr auf. (An dieser Stelle wird das Buch besonders aktuell!) Das Wasser im Lager ist zunächst rationniert, geht dann aber aus. Lou, die verunreinigtes Wasser trinkt, wird schwer krank.

2017: Die 70-jährigen Signe, eine norwegischen Umweltaktivistin, will einen Gletscher in ihrer Heimat retten. Aus dem Abbau des Eises, das exportiert wird, schlägt ihr früherer Freund Magnus Profit. Sie beschließt daher mit ihrem Boot „Blau“ von Norwegen bis nach Frankreich zu segeln und Magnus Gletschereis aus ihrer gemeinsamen Heimat vor die Tür zu kippen.

Die beiden Handlungsstränge werden lose verknüpft: David und Lou entdecken ein verlassenes Haus und ein altes Segelboot im Garten. Sie träumen davon, dass es bald wieder regnet, sich der Kanal in der Nähe des Hauses mit Wasser füllt und sie so mit dem Boot „Blau“ bis zum Meer segeln können. Eines Tages finden sie auch Wasservorräte…

Fasziniert hat mich die Fähigkeit der Autorin das ernste Thema in Romanform zu bringen und Personen zu schaffen, mit denen sich die Leser/in identifizieren kann. Und man sollte vielleicht einmal darüber nachdenken, wie sorglos wir mit unserem Trinkwasser umgehen und, dass es nur für einen Teil der Menschheit so selbstverständlich vorhanden ist. Annette / Stadtbilbiothek Maxvorstadt

Verlag btb, 480 Seiten, Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein


Tom Hillenbrand: Drohnenland

Wir befinden uns etwa im Jahr 2040: Autonomes Fahren ist längst Realität, Informationen aller Art werden nicht mehr über das Smartphone sondern über Datenbrillen abgerufen, lästige Drohnen verschiedenster Dienstleister schwirren durch die Luft. In dieser Welt hat Hauptkommissar Westerhuizen den Mord an einem EU-Abgeordneten aufzuklären.

Trotz scheinbar klarem Tathergang, Unterstützung durch den mit künstlicher Intelligenz betriebenen Fahndungscomputer und totaler Überwachung hat der Ermittler gut zu tun, um die Schuldigen zu überführen. Cooler Noir-Krimi, meine absolute Lieblings-Dystopie! Waltraud / Stadtbibliothek Am Gasteig

KiWi Verlag, 432 Seiten


Hazem Ilmi: Die 33. Hochzeit der Donia Nour

empfohlen von den Kolleginnen und Kollegen von Tolino

Blumenbar, 272 Seiten, Übersetzung: Matthias Frings

In unserem Onlinekatalog


Michal Hvorecky: Troll

Michal Hvoreckys neuester Roman „Troll“ ist eine beklemmende Dystopie, die in die nahe Zukunft blickt, die aber im Zeitraum von der Entstehung 2015 bis zum Erscheinen auf Deutsch 2018 schon zum Teil durch die Realität eingeholt wurde. Zwar ist die Europäische Gemeinschaft ist noch nicht zerfallen wie im Buch, doch Angriffen von außen und innen ist sie auch jetzt schon ausgesetzt. Hvorecky stellt in seinem Roman der neuen Festung (West-)Europa ein diktatorisch geführtes Reich gegenüber, das dem heutigen Russland und von ihm abhängige osteuropäische Protektorate entspricht. Dort lenken Internet-Trolle die öffentliche Meinung durch die gezielte Verbreitung von Lügen und Fehlinformationen über Internetforen und soziale Medien – das ist schon heute keine Utopie mehr.

Der männliche Ich-Erzähler und seine Freundin Johanna haben genug von gezielter Verunsicherung und Informationskrieg, die auch politische Wahlen beeinflussen. Sie entschließen sich zum Handeln und versuchen das System der Hetze im Netz zu entlarven. Sie lassen sich in der Trolling Factory anstellen, um die Methoden der Verleumdungskampagnen und Manipulationen zu erlernen. Bei ihrem Unterfangen das Troll-Imperium mit eigenen Mitteln zu enttarnen, geraten sie selbst in die Unkontrollierbarkeit des Netzes. Sie werden verfolgt, öffentlich angeprangert und der Lügen bezichtigt. Auf radikalste Weise versucht der Protagonist schließlich seine Identität zu schützen, indem er sie scheinbar aufgibt.

Fake-News, Trolle und haltlose Diffamierungen sind für den slowakischen Autor Michal Hvorecky nicht fremd. Er war befreundet mit dem Journalisten Ján Kuciak, der im Februar 2018 zusammen mit seiner Freundin ermordet wurde. Hvorecky selbst engagiert sich mutig für die Pressefreiheit und gegen antidemokratische Entwicklungen und wurde dafür von führenden Politikern seines Heimatlandes öffentlich beschimpft und digital diffamiert. Das sind viele interessante Aspekte, worüber man mit Michal Hvorecky gerne ins Gespräch kommen möchte. Am 11. April 2019 ist dazu Gelegenheit, wenn Michal Hovrecky seinen Roman „Troll“ in der Reihe „Literatur International“ der Münchner Stadtbibliothek in Lesung und Gespräch (slowakisch und deutsch) vorstellt. Viola / Stadtbibliothek Neuhausen

Tropen Verlag, 215 Seiten, aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch 


Christina Dalcher: Vox

Im Urlaub habe ich „Vox“ von Christina Dalcher gelesen. Und ich muss sagen, es kann einem die Urlaubsstimmung schon ein wenig vermiesen. So originell die Idee mit den 100 Wörtern pro Tag für Frauen auch ist… es ist ebenso gruselig, weil dank der aktuellen Regierung in den USA das Ganze nicht so weit hergeholt erscheint.

Das Buch macht wirklich wütend! Es ist eine Warnung, lässt aber auch hoffen. Birgit / Stadtbibliothek Am Gasteig

S. Fischer Verlag, 400 Seiten, aus dem Englischen von Marion Balkenhol und Susanne Aeckerle


Juli Zeh: Leere Herzen

Deutschland im Jahr 2025. Angela Merkel ist längst nicht mehr im Amt. Die Demokratie ist abgeschafft. Glauben und Überzeugung sind Mangelware und der Terror allgegenwärtig. In dieser Welt leben Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi desillusioniert und pragmatisch ihr Leben. Gemeinsam betreiben sie eine kleine Firma, „Die Brücke“. Was genau hinter der „Brücke“ steckt, weiß glücklicherweise niemand so genau. Denn hinter der Fassade ihrer unscheinbaren Büroräume betreiben Britta und Babak ein lukratives Geschäft mit dem Tod. Als die „Brücke“ unliebsame Konkurrenz zu bekommen droht, setzt Britta alles daran, die unbekannten Trittbrettfahrer auszuschalten. Doch sie hat ihre Gegner unterschätzt.

Wie in den meisten von Juli Zehs Romanen schwingt auch hier ein leises Unbehagen mit, das beim Lesen immer lauter wird. Im Politthrillers „Leere Herzen“ wird dieses Gefühl dadurch noch verstärkt, dass der Roman ja in einer sehr nahen Zukunft spielt, quasi eine Dystopie Light. Lisa / Monacensia

Luchterhand Verlag, 352 Seiten


Theresa Hannig: Die Optimierer

München im Jahr 2052, also in gar nicht so ferner Zukunft. Selbst wer heute ca. 50 Jahre alt ist hat Chancen, diese Zeit zu erleben; aber hoffentlich dann nicht die im preisgekrönten Debüt von Theresa Hannig herrschende „Optimalwohlökonomie“. Für absolute Sicherheit und Wohlergehen ist in der BEU (Bundesrepublik Europa) gesorgt, die Grenzen sind technisch perfektioniert, die BürgerInnen leben hermetisch abgeschottet vom armen Rest der Welt. Der Preis dafür: allumfassende Überwachung – Orwells „1984“ reloaded.

„Die „Optimierer“, eine spannend und klug geschriebene Dystopie, welche die Frage aufwirft, ob wir auch weiterhin in unserer „Schönen neuen Welt“ so unbeschwert und gedankenlos die Errungenschaften des digitalen Zeitalters nutzen sollten. Ute / Stadtbibliothek Fürstenried

Bastei Lübbe, 303 Seiten


Margaret Atwood: Das Herz kommt zuletzt

Die Menschen haben die Umwelt zerstört, in der Ödnis schlagen sich die wenig überlebenden mehr schlecht als recht durch. Viele sind obdachlos und kriminell. Die Lösung scheint einfach zu sein: Gefängnisse haben sich als lukrative Geschäftsmodelle erwiesen. Die Insassen kommen freiwillig, das Leben in Freiheit ist elendig genug. Den meisten fällt es daher nicht schwer die eigene Freiheit gegen die gebotene Sicherheit und Bequemlichkeit einzutauschen. Was sich aber wirklich hinter der „Fabrik Gefängnis“ verbirgt und welche „Ware“ die Gefangenen in Wahrheit darstellen, will kaum einer wahr nehmen.

Atwood: unübertroffen, beklemmend. Stefanie / Stadtbibliothek Westend

Piper Verlag, 400 Seiten, aus dem Englischen von Monika Baark


Asa Ericsdotter: Epidemie

Die populistische „Gesundheitspartei“ ist in Schweden an der Macht gekommen. Sie weiß ganz genau was Schweden in den Abgrund führt: die Fettleibigkeit ist das Übel alles Bösen! Die Bewohner werden fortan nur noch nach ihrem Fett-Muskel-Quotionten (FMQ) bewertet. Wer nicht sportlich und schlank ist, ist eine Gefährdung für die Gesellschaft und muss in „fat-camps“ die Pfunde runter schwitzen. Das System ist totalitär und grausam, wer in kürzester Zeit nicht ins schlanke Raster passt, verliert seinen Job, sein Ansehen und was am wichtigsten ist, seinen sozialen Status. Die Bekämpfung der „Epidemie Fettsucht“ führt zur einer weitaus schlimmeren „Krankheit“- der beinahe völligen Verrohung der Gesellschaft, die keinen Anstand, keinen Respekt, keine humanistischen Werte mehr kennt.

Fies, geht an die Schmerzgrenze, Parallelen zum NS-Regime. Stefanie / Stadtbibliothek Westend

Arctis Verlag, 384 Seiten, aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann


Was ihr euch auch unbedingt mal ansehen solltet (sagt die Katrin aus der Öffentlichkeitsarbeit), ist der Afrofuturismus, den es nicht nur in Mode und Musik gibt, sondern auch in der Literatur. Die Schriftstellerin Nnedi Okorafor hat darüber einen Ted-Vortrag gehalten:


Einen Überblick über all unsere Science-Fiction-Bücher könnt ihr euch in unserem Onlinekatalog verschaffen.


Featured Image: chuttersnap on Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Beitragsnavigation: