Raus aus der Filterblase, rein in die Welt! re:publica 2018

Anfang Mai schickte die Münchner Stadtbibliothek fünf ihrer Bibliothekarinnen auf die größte deutsche Digitalkonferenz re:publica nach Berlin. Diese fand zum 12. Mal statt: Drei Tage lang wurde auf 18 Bühnen bzw. Meet-up-Points über neue Entwicklungen der digitalen Welt und deren Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Privatleben diskutiert. Unter den rund 900 SpeakerInnen und DiskutantInnen aus aller Welt finden sich vor allem IT-ExpertInnen, PolitikerInnen, InfluencerInnen, JournalistInnen, LiteratInnen und auch EntertainerInnen.

Wie ist es unseren fünf Kolleginnen auf der re:publica ergangen, welche Tipps haben sie mitgebracht? Und: Warum sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Bibliotheken eigentlich dort hinfahren, zuhören und mitreden?

Judiths erster Eindruck

Meine erste re:publica hat mich ganz schön sprachlos stehen lassen – um meinen Kollegen mehr als nur „Es war toll und interessant“ erzählen zu können, braucht es eigentlich mindestens noch einmal drei Tage, um all das Gehörte zusammenzufassen, zu strukturieren und die relevanten, umsetzbaren bzw. anzugreifenden Punkte herauszuarbeiten. Die Vielfalt an Themen, Vortragenden, Herangehensweisen und Besuchern hat mich begeistert, besonders auf die Vorträge von Ranga Yogeshwar und Ingrid Brodnig habe ich mich gefreut und wurde nicht enttäuscht:

Ranga Yogeshwar: Mensch und Maschine – wer programmiert wen? (auch von Bianca und Brigitte als Highlight genannt)

Ingrid Brodnig: Warum sind die Rechten so hip im Netz?

Ebenfalls zum ersten Mal dabei: Anke

Besonders beeindruckend fand ich eine Diskussionsrunde mit Internet-Verlegerinnen. Die Programme des Verlags mikrotext und des Frohmann-Verlags bieten eine kleine, feine Auswahl an Werken im epub-Format an, das auch von der Onleihe genutzt wird. Die Verlegerinnen schilderten Schwierigkeiten beim Vertrieb der von ihnen verlegten Werke und nannten Bibliotheken als mögliche Partnerinnen. Die Onleihe – und damit auch die Münchner Stadtbibliothek – könnte von einer Zusammenarbeit sicher profitieren.

„Durchwurschteln“ hat ja häufig einen negativen Beiklang. Nach einem Vortrag über diese „Kernkompetenz“ hat sich mein Standpunkt gründlich verändert. Durch die zunehmende Technisierung unserer Arbeitswelt erleben wir mehr Reglementierung und Hierarchisierung. Dies hat zur Folge, dass die Fähigkeit, flexibel mit Unvorhergesehenem umzugehen – die Fähigkeit zum „Durchwurschteln“, – abnimmt. Gleichzeitig müssen wir aber zunehmend flexibel agieren und im Falle des Technikausfalls kreative Lösungen finden können, uns dann eben „durchwurschteln“. Eine flache Hierarchie und Handlungsspielräume für MitarbeiterInnen erhalten diese so wichtige Fähigkeit.

Highlights von Bianca

Nach Nizza und München – Anatomie eines Shit-Tsunamis

https://youtu.be/MXc02u_e5bE

Wie Wissen im Netz funktionieren kann: „Terra X “ bei YouTube

https://youtu.be/-jh_IP042xA

Eindrücke und Empfehlungen von Brigitte

Kurz: Es sind drei sehr intensive Tage. Ich würde mir die re:publica kleiner wünschen, weniger laut und überfüllt. Ich fühle mich immer etwas getrieben, immer unter Druck, möglichst viel mitzunehmen, zu lernen, Neues zu erfahren, Altes bestätigt zu wissen, raus aus der Filterblase, rein in die Welt, hier noch zuhören, dort noch netzwerken, hier eine Sache ausprobieren. Ich habe wieder viel Interessantes mitgenommen. Und doch bleibt immer das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

Die Sessions, die mich persönlich 2018 am meisten inspirierten:

Diversity & the Fe:male Digital Footprint, Video: https://www.youtube.com/watch?v=SoIdfORideo

Rechtsruck in Deutschland – Linksabbiegen (un)möglich?, Video: https://www.youtube.com/watch?v=Do_xqKiRrpY

Kernkompetenz Durchwurschteln, Videolink siehe bei Ankes Tipps, aber von mir dazu noch ein ergänzender Beitrag aus der „brand eins“: https://www.brandeins.de/magazine/brand- eins-wirtschaftsmagazin/2006/komplexitaet/einfach-mehr-durchwursteln

Können Making, Open Source und Design die Schule von morgen inspirieren?, Video: https://www.youtube.com/watch?v=WtWMVyn2K4I

Tanja: re:publica, die dritte

Mein drittes Mal – wieder ein rauschendes, aber auch anstrengendes Fest, wieder ganz anders als die Male davor.

2016 lotete ich nur für mich aus, ob sich dieses Event, von dem ich bislang nur über Twitter und via YouTube-Mitschnitte erfahren hatte, für mich lohnte. Das tat es sehr und nicht nur für mich – die Relevanz für das, was ich täglich im Büro tue: für einen reflektierten Einsatz digitaler Medien trommeln, die Angst davor nehmen und möglichst viele auf für sie sinnvolle Weise daran teilhaben lassen -, wurde mir sehr schnell deutlich, nicht nur in Sessions wie der von Wibke Ladwig „Nichts kommt dem Landleben gleich: Bibliotheken der Zukunft in der Provinz“.

2017 fand ich in Stephan Schwering, einem lieben Kollegen von den Stadtbibliotheken Düsseldorf, einen Mitstreiter, dafür zu werben, dass diese Konferenz nicht nur den vermeintlichen Nerds überlassen bleiben soll (die, die seit der ersten re:publica dabei sind, beklagen natürlich längst die Popularisierung, Kommerzialisierung der Veranstaltung und blicken nostalgisch auf die ersten re:publicas zurück …). Wir boten auf dem BibCamp in Hannover 2017 eine Session an, in der wir das Format re:publica vorgestellt haben, gründeten eine Facebook-Gruppe und wollten 2018 eine Bibliothekssession in Berlin einreichen.

Motiviert fühlten wir uns besonders durch die Aussage der re:publica, dass unbedingt mehr aus dem Bereich Kultur, Bildung und Literatur gewünscht sei, aber dazu kaum etwas eingereicht werde. Dass die Einreichung unserer Session „LibraryPop“ nicht erfolgreich war, bedauerten wir zwar sehr, doch immerhin konnten die Kollegen der Kölner Stadtbibliothek, allen voran Bettina Scheurer, durch ihre Zusammenarbeit mit dem MIT auf ihre Arbeit jenseits des klischierten Büchereibetriebs aufmerksam machen, auch wenn ein anderer Sessionname als „Fanclub öffentliche Bibliotheken“ für die Veranstaltung vielleicht hilfreicher gewesen wäre. DASS wir als Bibliotheken noch sehr viel mehr als bislang mutig sein sollten und wo auch immer wir sind, kundtun, wie vielfältig, innovativ, kreativ, neugierig machend, partizipativ und inspirierend, haben die anschließenden Journalistenfragen gezeigt (ab Min 21:40). Insofern: wir bleiben dran!

https://youtu.be/aADyEMhNwZA

Allein schon schön war die Tatsache, dass wir in bibliothekarischen Kreisen so viel gewirbelt hatten für die Konferenz, dass wir jeden Tag ein Meet-up mit 5 bis 10 Leuten zustande brachten, uns untereinander weiter vernetzen konnten, andere Twitterer endlich „live“ kennenlernten und wohl jede/r in seinen Kreisen darüber berichten wird. Zahlreiche KollegInnen waren bereits auf anerkannter Fortbildungsreise vor Ort. Gut zu wissen, dass die Bedeutung der re:publica zunehmend von bibliothekarischer Arbeitgeberseite anerkannt wird und es damit vielleicht auch für Interessierte aus anderen Kommunen einfacher macht, eine entsprechende Genehmigung zu bekommen.

Zurück zu den drei Tagen: Es war die re:publica, die mich am nachdenklichsten gemacht hat, was vielleicht daran lag, dass ich auf vielen Session war, die sich mit der gesellschaftspolitischen Relevanz der Digitalisierung beschäftigt haben, sowie bei Panels, auf denen nicht mehr das große Leuchten in den Augen war bei den Vorstellungen, was mit (unseren) Daten alles gemacht werden kann. Am beeindruckendsten zum Thema „Wie nutzt die (rechte) Politik das Netz und wie wirkt das“ waren für mich der oben bereits erwähnte Vortrag von Ingrid Brodnig sowie das Panel „Die Revolution disst ihre Kinder“ – ruft man dieses Video auf, werden einem weitere sehr gute Auftritte dazu vorgeschlagen von der #rp18. Hier finden sich einige Namen, die man gerne auch mal einladen möchte zu Diskussionsrunden im eigenen (Bibliotheks)Haus.

Bewusstseinsschärfend, was den Umgang mit den eigenen Daten betrifft, und Eigeninitiative fordernd waren zwei sehr populär besetzte Panels, einmal jenes mit Sybille Berg und Marc-Uwe Kling, die ihr Projekt „pretty Easy privacy“ vorstellten; eine Initiative, mit der End-zuEnd-Verschlüsselung privater Mails unkompiziert ermöglicht werden soll. Und zum anderen die Inititative „Reconquista Internet“. Unterstützt und initiiert durch den per Skype zugeschalteten Jan Böhmermann, kann ich – egal was man von dem Entertainer hält – die Grundsätze über den Umgang miteinander im Netz, die dahinter stehen, nur jedem wärmstens ans Herz legen. Sehr gut zusammengefasst findet man dies wie so oft bei mimikama.at.

Und abschließend noch ein dringender Kino-Tipp: „The Cleaners“ wurde auf der #rp18 gezeigt, dort habe ich es nicht geschafft, ihn anzusehen, aber zwei Wochen danach im Programmkino. Bitte tut das auch – alle, die ihr im Netz unterwegs seid, egal ob auf Twitter oder Facebook oder einfach nur, die ihr Google tagtäglich zu Rate zieht. Was ihr auf diesen Plattformen an Bild- und Videomaterial geboten bekommt, wird euch „präsentiert“ und vorgefiltert von Menschen auf den Philippinen und anderswo. Eine unglaubliche Arbeit bezahlt von den genannten Firmen. Man schwankt beim Sehen des Films zwischen den Fragen: Soll man diesen Leuten dankbar sein dafür, dass sie uns unfassbare Grausamkeiten, die tagtäglich hochgeladen werden, ersparen. Und: Wie manipuliert und zensiert werden wir denn wirklich in unserer vermeintlich freien, offenen, demokratischen westlichen Welt? Für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, ihren Facebook-Account zu löschen, könnte der Film hilfreich sein.

Einen Beitrag leisten zu einem kritischen und reflektierten Umgang mit Medien – digital, analog, hybrid, social, in der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft -, das kann die re:publica auf hervorragende Weise und dieses Wissen sollte allen, die in Bibliotheken arbeiten, am Herzen liegen und daran mitwirken. Dass das schon ganz viel geschieht, wissen wir, die wir in Bibliotheken arbeiten, durchaus, aber darüber hinaus immer noch viel zu wenige.

Vielleicht schaffen wir es ja im kommenden Jahr, das noch aktiver und präsenter in Berlin zu vermitteln?

Featured Image: Re:publica/Jan Zappner (CC BY-SA 2.0)



Kommentar zu “Raus aus der Filterblase, rein in die Welt! re:publica 2018

  1. Schöner Artikel, danke für die kompakte Zusammenfassung!

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