Punk und Fanzines im München der 1980er: Arenen der Selbstdarstellung | #PopPunkPolitik

Warum bezeichnet Karl Siebengartner Fanzines als Arenen der Selbstdarstellung? Welche Rolle nimmt darin der Punk ein? Für unsere Artikel-Serie* zu #PopPunkPolitik wirft der Historiker einen Blick auf die Fanzine-Produktion im München der 1980er. Ob Upstart, Millitanz Dilletanz, ZLOF, Trust oder ppa: Neben der befreienden Wirkung des Selbermachens fungierten diese „Gehefte“ auch als Medien ganz unterschiedlicher politischer Selbstentwürfe und ihrer ungefilterten öffentlichen Darstellung.

Eine Seite aus dem Fanzine „Gefühl und Härte“, Heft 1, Sommer 1981, Preis: 1,50 DM, herausgegeben von einem anonymen Autor*innenkollektiv. Eine Leihgabe von Ingrid Scherf für unsere Ausstellung #PopPunkPolitik.
Eine Seite aus dem Fanzine „Gefühl und Härte“, Heft 1, Sommer 1981, Preis: 1,50 DM, herausgegeben von einem anonymen Autor*innenkollektiv. Eine Leihgabe von Ingrid Scherf für unsere Ausstellung #PopPunkPolitik.

Arenen der Selbstdarstellung: Fanzinemachen im München der 1980er

Wichtig sei in der Punk Bewegung, daß sich jeder selbst auf seine Art verwirklichen kann und muß.[1]

So paraphrasiert Conny Wallner, die sich um 1980 intensiv mit Punk beschäftigte, die Sängerin Poly Styrene der englischen Band X-Ray-Spex. Punk war in dieser Lesart ein kreativer, nonkonformer und vor allem individueller Ausdruck ihres Selbst. Wallner schrieb das 1980 in einem selbstgestalteten Geheft, das die Punks Fanzine, ein Kofferwort aus „fan“ und „magazine“, nannten.

Diese Idee war um 1980 keine sensationelle Neuheit. Bereits in den 1930er und 1940er Jahren verfassten enthusiastische Science-Fiction-Anhänger sogenannte Fan-Fiction und verschickten diese. Neben diesen Aspekten des fandoms funktionierten die Fanzines aber auch ähnlich zu den Underground-Zeitschriften der 1960er und 1970er Jahren, wie dem Oz oder der International Times.[2]

Nach diesem Prinzip waren sie auch Kommunikationsmittel, die für die Konstitution und Verbreitung von Punkszenen in der ganzen Welt eminent wichtig waren. Der Historiker Matthew Worley betont, dass diese Hefte jenseits von massenkulturellen Narrativen des Pop, die uns Zeitschriften oder filmische Dokumente bieten, eine Geschichte des Punk von unten eröffnen.[3]

Über diese Linse der Produktion von Fanzines wird in diesem Beitrag ein Fenster in die 1980er Jahre aufgestoßen, um jungen Menschen in der Stadt München bei der Konstruktion ihrer eigenen Leben zu folgen. Dabei stehen verschiedene thematische Bereiche im Fokus. Anhand der Frage, welche spezifischen materiellen, politischen und sozialen Kontexte diese Punks prägten, werden die Fanzines als Arenen der Selbstdarstellung analysiert.

Punk und Fanzines

1. Das Material und die Herstellung

Ein Credo des Punk war die Selbsttätigkeit. Do It Yourself (DIY) war die catch-phrase. Sie sollte die kulturelle Praxis der Punks auf einen Nenner bringen. DIY ging mit einem Autonomieanspruch gegenüber der Massenkultur einher und hatte damit auch eine befreiende Wirkung auf Jugendliche.[4] Davon zeugen die Fanzines selbst.

Durch größere Verfügbarkeit von Fotokopierern in den 1970er und 1980er Jahren und die damit einhergehende preisgünstigere Vervielfältigung der Druckerzeugnisse eröffnete sich Punks in München und anderswo eine Möglichkeit, ihre eigenen Gedanken und Texte zu präsentieren.[5]

Die eingangs erwähnte Conny Wallner tat das im DIN-A4-Format. Sie verwirklichte sich durch das Verfassen von Texten auf einer Schreibmaschine und versah diese Texte mit Fotos, Zeichnungen, handgeschriebenen Notizen und Einschüben. Dazu benötigte sie Stift, Schere und Klebstoff. Die so entstandenen Seiten kopierte sie, stanzte Löcher in das Papier und zog einen dünnen Wollfaden durch. Dieses Geheft war ihre Art, als Punk eine mediale Bühne jenseits der etablierten Presse- und Rundfunklandschaft zu betreten.

Cover und Rückseite der ersten Ausgabe des Fanzines „Upstart“ von Peter Wacha, geheftet mit einer Sicherheitsnadel, eines der Symbole des Punk.
Cover und Rückseite der ersten Ausgabe des Fanzines „Upstart“ von Peter Wacha, geheftet mit einer Sicherheitsnadel, eines der Symbole des Punk.

Andere, wie Peter Wacha, falteten diese Blätter einmal in der Mitte und schufen so handliche DIN-A5-Fanzines. Wachas Fanzine Upstart ist auch interessant, weil er das Papier anstatt mit Klammern mit einer großen Sicherheitsnadel heftete.[6] Die Sicherheitsnadel war eines der Symbole des Punk und vielfach verwendet in der Zeit. In einer berühmten Titelgeschichte des Wochenmagazins Spiegel lautete die reißerische Überschrift beispielsweise:

Punk: Nadel im Ohr, Klinge am Hals[7]

So fand dieses Haushaltsutensil den Weg durch Ohrläppchen und Nasenflügel und zugleich eine nützliche Bestimmung als DIY-Klammer für Wachas Fanzine. Wenig später fand er sein Erstlingswerk dann wegen solcher expliziten Punkgesten gar nicht mehr so gut. Mit einem halben Jahr Abstand bemerkte er, dass das Upstart „ein, wie ich erst im nachhinein merkte, kidpunk (hardcore-)fanzine“ war.[8] Solche persönlichen Geschmackswandlungen, die man lesend beobachten konnte, gaben den Fanzines ihre Bedeutung als Medien der Selbstdarstellung: einen eigenen Ausdruck finden, in die Welt tragen und wieder revidieren.

2. Politische Positionierungen

Jenseits von Subjektschreibweisen waren die Fanzines aber auch Medien der politischen Ansichten. Unter dem Eindruck der Zürcher Jugendunruhen und der europaweiten Proteste und Hausbesetzungen zu Beginn der 1980er Jahre griffen Münchner Punks zu verschiedenen Formen des Protests. Bei der Vereidigung von Rekruten der Bundeswehr am 6. November 1980 auf dem Königsplatz sammelten sich einige von ihnen und leisteten Widerstand gegen das Schaulaufen des verachtenswerten Staates. Dazu wurde auch im Fanzine Millitanz Dilletanz aufgerufen:

Nach Bremen soll gezeigt werden, daß hier das Militär das Sagen hat. […] Der bayerische Staat wird hier die offene Variante der Unterdrückung zeigen, es wird von Bullen wimmeln, Greif- und Schlägertrupps werden Leute einschüchtern, Feldjäger werden prügeln.[9]

Punks und Freizeit 81

Das war ein Weckruf, der einige Münchner Ende 1980 und im Laufe des Jahres 1981 zu waghalsigeren Aktionen trieb. Unter dem Namen Freizeit 81 offenbarte eine Gruppe Punks, dass sie auf der Suche nach kulturellen Freiräumen war, notfalls auch mit Gewalt:

FREIZEIT’81 ist gewaltlos oder militant, legal oder illegal, ängstlich oder stark, auf jeden Fall: GEFÜHL UND HÄRTE! Jeder, der sich unter dem Begriff FREIZEIT’81 was vorstellen kann (egal was), kann und sollte unter diesem Namen neue Aktionen veranstalten.[10]

Zwei Cover der Fanzines von „Freizeit 81“, die Urheber*innen sind unbekannt.
Zwei Cover der Fanzines von „Freizeit 81“, die Urheber*innen sind unbekannt. #PopPunkPolitik

Die Polizei beobachtete diese „Punkertyp[en]“[11], wie sie in den Akten genannt werden. In einer konzertierten Aktion durchsuchte sie im Oktober 1981 letztendlich 17 Wohnungen und verhaftete sieben Personen, nachdem ein Kronzeuge ausgepackt hatte. Bis auf ihn wurden alle zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt.[12] Freizeit 81 war ein Ausdruck davon, wie unzufrieden diese Punks mit Umständen in der Stadt waren – und insbesondere mit der Regulierung durch die Polizei.

Punk und reaktionäres Gedankengut

Neben linken politischen Selbstentwürfen war Punk aber auch aufgrund der reinen Provokation offen für reaktionäres Gedankengut. Im ZLOF konnte man zum Beispiel Folgendes lesen:

endlich gibt’s hier in der brd die ROCK GEGEN LINKS-bewegung und die band, die sie ins rollen gebracht hat heißt RAGNARÖCK […].[13]

Dass diese Band offen rechtsextrem war, war der schreibenden Person bewusst, und dennoch fand diese Gefallen an der Idee, dass man den „Linken“ auch mal eins auswischen könnte. Für solche Aussagen attestierte die Münchner Band FSK dem Fanzine und seinem Herausgeber Jeff Stress „Faschismusromantik“.[14] Stress druckte aber ebendiese Aussage der Band auch wieder ab, um sie als „KOMMUNISTENPACK“ ohne „TOLERANZ“[15] zu beschimpfen. Hieraus zeigt sich schon, dass neben linker Militanz auch reaktionäre rechte Tendenzen in Fanzines verhandelt wurden. Somit fungierten die Fanzines als Medien ganz unterschiedlicher politischer Selbstentwürfe.

3. Soziales Umfeld

Zu guter Letzt waren Fanzines auch Zeugnisse der sozialen Beziehungen, die ihnen zugrunde lagen. So trugen Michael Sailer von Der Blitz – und Kopf der Band Tollwut –, Jeff Stress und Bernhard Schornak ihre persönlichen Streitigkeiten über Anwälte und offizielle Schreiben aus, was sie wiederum in ihren Fanzines publik machten.[16]

Zwei Jahre später erschien The Gossip Magazine, „die erste und einzige Klatsch und Tratschzeitung“, weil „alles in öder Langeweile versinkt“.[17] Wie ernst diese Gerüchte tatsächlich waren, sei dahingestellt. Die Punks, die im Café Normal in der Kreittmayrstraße in München abhingen, wurden hier ausführlich aufs Korn genommen. Dort trafen sich auch Bernhard Reichl alias Robespierre und Thomasso Schultze und diskutierten über ihre Ansichten zum Punk.[18]

Ausgebreitet wurde dieser grundlegende Streit im Trust, an dem Schultze beteiligt war, und im ppa, eine Kreuzung zwischen Newsletter und Fanzine von Reichl. Dieser griff Schultze als militanten Dogmatiker an, woraufhin jener Reichl als geldgeilen Kapitalisten ohne Skrupel darstellte.[19] Dieser Streit um die generelle Bedeutung von Punk wurde von beiden gepflegt, und auch andere kommentierten dies in Form von Leserbriefen.[20]

Diese Schlaglichter auf das Machen und Verbreiten von Fanzines in München zeigen bereits deutlich, dass die Punks diese Bühnen für ihre Selbstbeschreibungen nutzten. In diesen DIY-Publikationen finden wir die Punks mit ihren persönlichen Selbstentwürfen relativ ungefiltert wieder. Sie eröffnen eine Perspektive auf Jugendliche und junge Erwachsenen, die sich als Punks in München identifizierten.

Fanzines zeigen materielle Prozesse, politische Positionierungen und soziale Beziehungen. Sie helfen uns dabei, die komplizierten und oft umkämpften Deutungen des Punk besser zu verstehen und den dahinterliegenden Selbstentwürfen auf die Schliche zu kommen.

Autor: Karl Siebengartner

Der Münchner Historiker Karl Siebengartner am Königsplatz.
Der Münchner Historiker Karl Siebengartner am Königsplatz. Foto: privat

Karl Siebengartner studierte Anglistik, Geschichte, Erziehungswissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Geschichte an der University of Sussex in Brighton, England. Seit September 2019 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt „Punk in der Bundesrepublik Deutschland von 1976 bis Mitte der 1990er-Jahre: Jugendlicher Protest gegen/mit Massenkultur“.


[1] Vive le Punk 2 [vermutlich 1980], S. 8.
[2] Vgl. Duncombe, Steven: Notes from the Underground. Zines and the Politics of Alternative Culture, London/New York 1997, S. 6; Worley, Matthew: Punk, Politics and British (fan)zines, 1976-84: While the World was dying, did you wonder why, in: History Workshop Journal 79 (2015), S. 80.
[3] Vgl. Worley, Matthew: Whose Culture? Fanzines, Politics and Agency, in: Ripped, Torn and Cut. Pop, Politics and Punk Fanzines from 1976, Manchester 2018, S. 56, 68.
[4] Vgl. ebd., S. 55-56.
[5] Vgl. Eichhorn, Kate: Adjusted Margins. Xerography, Art, and Activism in the Late Twentieth Century, Cambrigde Massachusetts/London 2016, S. 92-94.
[6] Vgl. Archiv der Jugendkulturen (AdJ): Upstart 1 (1980).
[7] O. A.: Punk: Nadel im Ohr, Klinge am Hals, in: Spiegel 4 (1978), S. 140-147, S. 140.
[8] Vgl. AdJ: Musterexemplar (1980), keine Seitenzahl.
[9] AdJ: Millitanz Dilletanz Krüppel der 80er [vermutlich 1980], keine Seitenzahl.
[10] Freizeit 81 Sommer 81 (1981), keine Seitenzahl.
[11] Vgl. Staatsarchiv München: Polizeidirektion München 17873, diverse Observationsaufträge.
[12] Vgl. Wegener, Manfred/Scherf, Ingrid: Wem gehört die Stadt. Manifestationen Neuer Sozialer Bewegungen im München der 1970er Jahre, Andechs 2013, S. 136.
[13] AdJ: ZLOF 5 (1981), S. 11.
[14] Ebd., S. 8.
[15] Ebd., S. 8.
[16] Vgl. AdJ: Beilage zu ZLOF 7A (1982); AdJ: Der Blitz (1982), S. 7.
[17] AdJ: The Gossip Magazine 1 (1984), keine Seitenzahl.
[18] Vgl. Trust 1 (1986), keine Seitenzahl.
[19] Vgl. AdJ: ppa 7 (1986), keine Seitenzahl; Trust 1 (1986), keine Seitenzahl.
[20] Vgl. AdJ: ppa 9 (1986), S. 56; Trust 2 (1986), keine Seitenzahl.

Der Beitrag wird gefördert im Programm:

Logo der Ludwig Delp Stiftung, die diesen Beitrag zu #PopPunkPolitik gefördert hat

Die Artikel-Serie zu #PopPunkPolitik verlängert die Ausstellung in den digitalen Raum hinein. Sie vertieft Themen der 1980er Jahre aus literarischer und heutiger Perspektive.

Bisher erschienen sind:

#PopPunkPolitik Vol. 2
#PopPunkPolitik Vol. 2

Die Vernetzungsaktion ist Teil von #PopPunkPolitik Vol. 2 – unserem digitalen Programm, das wir auf der Microsite zur Ausstellung in der Übersicht spiegeln. Schaut rein!


Monacensia im Hildebrandhaus
Maria-Theresia-Str. 23
81675 München

Öffnungszeiten: Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30, Do 12.00 – 22.00 | Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00 | Eintritt frei

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Kommentar zu “Punk und Fanzines im München der 1980er: Arenen der Selbstdarstellung | #PopPunkPolitik

  1. Parwin on 24/07/2023 at 3:01 pm sagt:

    Hi, ich war damals Punk in den 80 ern in Bayern. Erst Dorfpunk „Ammersee Westufer“ (Achtung nicht zu verwechseln mit denen aus Herrsching), dann in München. Ein Fanzine hatte damal der leider schon verstorbene Ralf Häuplick unter anderen Autoren gemacht: Donald Punk. Sehr lustige Geschichten

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