Von Anke Buettner und Brigitte Döllgast
Öffentlich gemacht – Digitale Transformation zum Greifen
Dass das Digitale den Wert des Lokalen und Sozialen immens gesteigert hat, ist für viele noch immer überraschend. Für die Münchner Stadtbibliothek war es deshalb besonders attraktiv, die Kickoff-Veranstaltung des Kulturhackathons Coding da Vinci Süd im Mai 2019 an ihrem größten Standort, der Stadtbibliothek Am Gasteig, zwei Tage zu beherbergen.
Sie wollte ein großes Publikum mit dem Thema in Kontakt bringen und gleichzeitig in der Stadt zeigen, wie aufgeschlossen sie den vielen Perspektiven auf Digitalität als öffentliche Bibliothek gegenüber steht. Als Datengeberin brachte sie sich zudem ein und digitalisierte im Vorfeld eine kulturhistorisch interessante und optisch wunderschöne Speisekartensammlung der Monacensia-Bibliothek, der die leitende Bibliothekarin dort unbedingt mehr Aufmerksamkeit wünschte.
Besonders am Kickoff-Samstag konnte die Stadtbibliothek sich den Coding-da-Vinci-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern, dem Bibliothekspublikum und allen Neugierigen aus den vielen angereisten GLAM-Institutionen als Produktionsort für neues, gut und witzig aufbereitetes Wissen präsentieren und gleichzeitig eine Lanze für die digitale Kulturwelt und den sozialen Ort Bibliothek brechen. Wer nicht selbst dabei sein konnte, hatte die Möglichkeit, sich via Twitch-Übertragung einzuklinken und aktuellen Aufrufen („Gibt es irgendwo noch Grafikdesigner?“) zu folgen, um dann in der auf den Kickoff folgenden sechswöchigen Sprintphase neue Leute persönlich kennenzulernen. In Hochphasen waren 5.000 Zuschauer_innen bei Twitch online dabei.
Offen gedacht – Coding Da Vinci im globalen Süden
Die Beteiligung des Goethe-Instituts erweiterte den Ansatz von Coding da Vinci Süd über Deutschland hinaus. Schließlich sind Themen wie die Digitalisierung von Kulturgütern international ebenso in der Diskussion wie in Deutschland. Dasselbe gilt für die Fragestellung, wie man gerade ein jüngeres, digital-affines Publikum heute für Museen und deren Bestände interessieren kann. Das Goethe-Institut hat daher Museumsfachleute, Digitalisierungsexpertinnen, Bibliothekare und Wikimedia-Mitarbeiter_innen aus dem globalen Süden (Südamerika, Südostasien und Subsahara Afrika) nach Deutschland eingeladen, um das Format kennenzulernen – und mitzumachen. Die Gruppe der fünfzehn internationalen Teilnehmer_innen reiste bereits einige Tage vor der Auftaktveranstaltung von Coding da Vinci Süd an und bekam einen kurzen Einblick, womit sich Museen (z.B. das Museum Fünf Kontinente und das Lenbachhaus), Bibliotheken (z.B. die Bayerische Staatsbibliothek) und Forschungseinrichtungen (z.B. die Akademie der Wissenschaften) im Kontext der Digitalisierung und der Vermittlung von digitalisierten Beständen bereits beschäftigen. Für zwei Gäste stellte die Landeshauptstadt München darüber hinaus einmonatige Aufenthaltsstipendien zur Verfügung.
Spannend: Funktioniert Kulturdatentausch auch international?
Am 6. und 7. April ging es dann um die spannende Frage: Finden Teilnehmer_innen aus Brasilien, Côte d’Ivoire, Indonesien, Südafrika, dem Senegal und Tansania die oftmals sehr ortspezifischen Datensätze, die bei Coding da Vinci zur Verfügung gestellt werden, interessant? Funktioniert die Vernetzung mit den deutschen Teilnehmer_innen? Entstehen gemeinsame Projekte? Das Goethe-Team war mindestens genauso aufgeregt, wie die deutschen Datengeber_innen, zu sehen, welche Daten die Aufmerksamkeit auf sich lenken können. Die Begeisterung war groß, als eine Teilnehmerin aus Indonesien sich dem Team anschloss, das ein Projekt mit Datensätzen des fränkischen Wörterbuchs der Universität Erlangen-Nürnberg machen wollte. Nein, sie spreche kein Deutsch und nein, Fränkisch habe in Indonesien keine Relevanz. Aber in einem Land in dem über 250 Sprachen gesprochen werden, ist ein spielerischer Umgang mit einem Dialekt ein Ansatz von hoher Relevanz. Ein Team mit Vertretern der afrikanischen Länder und aus Indonesien nahm sich der Datensätze des Lenbachhauses und anderer Kunstmuseen an und entwickelte einen Ansatz, der Kunstwerke aus nahe gelegenen Museen in Hotels bewerben soll. Herauskam das vielversprechende App-Konzept „Musel“. Eine Teilnehmerin schloss sich dem Team an, dass die Sammlung der internationalen Postbeutel der Museumsstiftung Post und Telekommunikation bearbeitete, und die wunderschönen mathematischen Modelle von der Universität Tübingen begeisterten einen Teilnehmer aus Brasilien und eine Teilnehmerin aus Südafrika.
Ende gut und so geht es weiter
Was die Goethe-Initiative anbelangt, lässt sich das Fazit ziehen: Das Format Coding da Vinci und sein Ansatz zur Vermittlung digitaler Kulturgüter hat allen in seiner Relevanz eingeleuchtet. In Brasilien, Indonesien und ein oder zwei Ländern Afrikas werden 2020 Kulturhackathons nach dem Coding-da-Vinci-Vorbild angeboten werden. Die Vorbereitungen laufen bereits. Spannend wird sein, welche Datensätze dort zur Verfügung gestellt werden, ob Datenverknüpfungen mit den Vorgänger-Kulturhackathons entstehen und welche Projekte sich überhaupt daraus entwickeln.
Für die Münchner Stadtbibliothek und das „literarische Gedächtnis der Stadt“, die Monacensia, geht die Kooperation mit den beiden „Monacensia-Teams“ weiter: Durch den Kontakt mit Julian Schulz, Stefanie Schneider, Linus Kohl, Alexandra Reisser und Osman Cakir ist der Anfang für eine Zusammenarbeit mit der IT-Gruppe Geisteswissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität in München gemacht. Die Schmankerl-Time-Machine, ausgezeichnet mit dem Preis „Most technical“, wird weiter mit Speisekarten-Daten der Monacensia-Bibliothek angereichert, wofür ein neuer Hackathon mit Studierenden, möglicherweise erweitert um die Münchner Wikipedia-Gruppe, angedacht wird. Das Gastro-Grantler-Team bestehend aus den Enthusiast_innen Alan Riedel (aus dem Bibliothekswesen), Florian Gantner (aus der Informatik) und Henrike Horn (aus der Medizin) und die Schmankerl-Time-Machine-Gruppe wird außerdem im nächsten Jahr zu einem Vernetzungstreffen mit anderen Münchner Coder_innen, Wikipedianer_innen und der eServices-Team der Münchner Stadtbibliothek eingeladen.
Öffentlichkeitsarbeit für Kulturvermittlung 2.0
Über die konkrete Beschäftigung mit der historischen Speisekartensammlung hinaus haben sich der Kulturhackathon und seine Ergebnisse als gute Investition für die Öffentlichkeitsarbeit der Münchner Stadtbibliothek und deren digitale Initiativen erwiesen. Die Sensibilisierung für das Zusammendenken von physischer Sammlung, produktivem Veranstaltungsformat und digitaler Vermittlung hat gut funktioniert und sowohl in der Mitarbeiterschaft als auch in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ihren Niederschlag gefunden. Nicht mehr weg zu diskutieren sind die Herausforderungen der Digitalisierung für die Personalentwicklung in Bibliotheken, Archiven und Museen, die bislang noch keine Stellen für Profis im Bereich digitaler Strategie und Kommunikation eingeplant haben oder einplanen konnten. Der Personalbedarf wird in den nächsten Jahren auch in öffentlichen Bibliotheken immens steigen, der Markt entsprechend schnell leergefegt sein. Es gilt also: Improve it!