How to: Nachhaltigkeitsstrategie

Eine Anleitung in fünf Fragen

Im Laufe seiner Geschichte hat der Planet Erde schon viele Spezies kommen und gehen sehen. Dass große Teile seiner Oberfläche sich mindestens zeitweise in lebensfeindliches Gebiet verwandeln, zieht sich wie ein roter Faden durch seine Biografie. Für ihn ist es mithin – anders als für uns Heutige – nicht der erste und hoffentlich auch nicht der letzte Klimawandel. So geht Evolution.[1]

Nur dieses Mal ist etwas anders. Diejenige Spezies nämlich, die den Planet an den Rand der Belastbarkeit gebracht hat, hält sich für die Krone eben jener Schöpfung, deren Untergang sie gerade den Weg bereitet. Stimmt schon: Wer, wenn nicht der Mensch, hält die Mittel in der Hand, die für ihn überlebensbedrohliche Entwicklung zu verlangsamen, aufzuhalten oder gar umzukehren? Er muss es nur machen. Das ist nicht einfach, schon klar. Aber es geht. Eine Anleitung für Kultur- und Bildungsakteur*innen in fünf Fragen.

1. Warum

Um es mit Bertolt Brecht zu sagen: „Ihr aber, wenn es soweit sein wird / Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist / Gedenkt unsrer / Mit Nachsicht.“

Anders gefragt: Wollen wir wirklich als diejenige Gattung in die Naturgeschichte eingehen, die ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstört hat? Ich meine, ehrlich: Wie bescheuert sind wir denn bitte?

Oder noch einmal anders: Der Klimawandel bietet uns die einmalige, ja, historische Chance und vor allem die Notwendigkeit, unsere Lebensweisen und Kulturtechniken nach unseren Vorstellungen gemeinsam so neu ein- und auszurichten, dass sie dauerhaft, gerecht und in vielerlei Sinne umweltfreundlich sind.

„Beim Klimawandel – und das wird häufig falsch dargestellt – geht es nicht um das Überleben der Menschheit, sondern meine größte Sorge in Bezug auf den Klimawandel ist, dass wir irgendwann keine Demokratie mehr in Deutschland haben.“ Das sagt, wohl gemerkt, kein Politologe oder Soziologe, sondern der Klimaforscher Anders Levermann[2]

Wenn sich Bibliotheken davon nicht heraus- und aufgefordert fühlen, dann weiß ich auch nicht. Allerdings bedeutet diese Herausforderung selbstredend deutlich mehr Engagement als die wiederholte Feststellung, dass Bibliotheken eh und immer schon nachhaltig sind; wegen des Verleihens und so. Dass nämlich mit diesem Handprint kein geringer Footprint vor allem hinsichtlich Energie und Ressourcen einhergeht, wird kaum je thematisiert. Will sagen: Wie sieht die Klimabilanz Ihrer Bibliothek aus? Wie viele Bücher vernichten Sie pro Jahr? Wie inklusiv ist Ihre Bibliothek wirklich? Und wo geht eigentlich all Ihr Müll hin? Und so weiter.


2. Wer

Nachhaltigkeit, so liest man landauf, landab, ist Chefsache! Das ist auch richtig – aber nur in der Kommunikation. Machen muss es nämlich auch jemand, und das kann nur in seltenen Fällen die Leitung einer Institution sein. Ohnehin braucht es im besten Falle mehrere Menschen, um eine Nachhaltigkeitsstrategie zu formulieren und umzusetzen, idealiter vier bis sechs Kolleg*innen, die folgende Merkmale aufweisen:

1. Sie stammen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen.

Nachhaltigkeit ist eines jener viel beschworenen Querschnittsthemen, vielleicht sogar das Querschnittsthema schlechthin. In einer Nachhaltigkeits-AG sollte mindestens eine/r aus der Verwaltung, eine/r aus dem Lektorat, eine/r aus dem Kundenservice teilnehmen. Wenn dann noch jemand für die Kommunikation und jemand mit Kenntnissen der Logistik dabei ist und überhaupt nicht alle Mitglieder so ähnlich heißen wie ich, dann ist die Sache schon ziemlich rund und der flachen Hierarchie womöglich wie von selbst Genüge getan. Zudem sorgt die Vielfalt der Mitglieder dafür, dass das Thema Nachhaltigkeit auf vielerlei informellen Wegen gestreut wird.

2. Sie genießen das Vertrauen der Mitarbeiterschaft.

Transformation ist ein hartes Brot, daher benötigt eine Nachhaltigkeitsstrategie Agent*innen, die im Haus Gehör finden, durch Empathie und Engagement. In Personalmanagers Worten: Sie müssen sich mit fachlicher Führung durchsetzen, nicht mit disziplinarischer. Die Mitglieder sollten sich außerdem durch gutes Teamplay hervor getan haben, denn Nachhaltigkeit ist, wie es so oft und so richtig heißt, Teamsport; hüten sollte man sich in jedem Fall vor Narzissten und Intrigantinnen: Jede Nachhaltigkeitsstrategie handelt nicht zuletzt auch von der sozialen Gerechtigkeit, und das kann schon mal unangenehm werden – aber darf es bitte niemals für die Mitglieder der Nachhaltigkeits-AG.

3. Sie zeichnen sich durch ein überdurchschnittliches Engagement aus.

Man muss sich nichts vormachen: Für Nachhaltigkeit gibt es in Öffentlichen Bibliotheken keine Abteilungen und Geld (noch) eher selten, daher kommt es auf den üblichen Arbeitsstapel oben drauf, „on top“, wie in den vergangenen drei Jahren so vieles. Daher sollte niemand in die Nachhaltigskeits-AG abgeordnet werden, sondern geeignete Kandidat*innen ehrlich über ihre Breitschaft dazu befragt werden. Dabei bitte nichts beschönigen: Transformation ist ein hartes Brot, siehe oben.

Apropos Chefsache: Als Leitung des Hauses sollte man in engem Kontakt mit der AG bleiben, um frühzeitig zu erkennen, wenn einzelne Mitglieder sich andauernd überfordern und wiederholt an Abgrenzungen scheitern. Wer einmal in das Thema Nachhaltigkeit eingestiegen ist, schreckt ein ums andere Mal zurück vor dessen irgendwie alles umfassender Dimension. Denn es gilt einerseits, sich in komplexe Themenfelder einzuarbeiten und andererseits, andauernd Komplexität zu reduzieren, indem man sie auf die unterschiedlichsten Ebenen herunterbricht.


3. Was

Eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt man wie jede andere Strategie auch: Man definiert Ziele, Handlungsfelder und Maßnahmen.

Ziele

Die gute Nachricht zuerst: Der Nachhaltigkeitsdiskurs ist reich an Zielen, an denen sich die AG freimütig bedienen kann; aufwändige Formulierungsfindungsworkshops sind überflüssig. Blaupause für die Ziele jeder Nachhaltigkeitsstrategie sind die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN und die drei Säulen der Nachhaltigkeit. Für die Kultur priorisiert hat es im vergangenen Jahr die Initiative Culture4Climate; deren Nachhaltigkeitsdeklaration für den Kulturbereich nennt fünf „Leitziele“: Nachhaltige Städte und Kommunen, Hochwertige Bildung, Nachhaltige Produktion und Konsum, Klimaschutz und Partnerschaften.

Handlungsfelder

Spätestens jetzt braucht die AG Zahlen und jemanden, der/die damit umgehen kann. Um Handlungsfelder zu definieren, muss sie Entscheidungen treffen, und das geht gerade in diesem Fall nur auf der Basis von Wissen. Dafür bieten sich mehrere Tools an. Einen guten Einstieg bietet die Erstellung einer Klimabilanz. Man lernt etwas über Scopes und Umrechnungen und gewinnt dadurch ein erstes Gefühl für die unterschiedlichen Facetten und Verantwortungen. Eine weitere Inspiration für erste Bohrungen stellen die verschiedenen Berichterstattungsangebote dar. Unter diesen zeichnet sich aus Perspektive von Bibliotheken vor allem der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) durch seine Niedrigschwelligkeit und Transparenz aus. Die 20 Kriterien des DNK sind ausführlich und verständlich erklärt, von Checkliste und Glossar begleitet und mit authentischen Beispielen illustriert. Jedes dieser Kriterien kann ein Ausgangspunkt sein für eine quantitative oder qualitative Analyse des Statusquo.

Und weil das alles vielleicht etwas abstrakt klingt, wird‘s jetzt konkret. In der Abschlussarbeit meiner Weiterbildung zur „Transformationsmanager*in Nachhaltige Kultur und Medien“ hat unsere AG in gut zwei Monaten eine exemplarisch Nachhaltigkeitsstrategie für die Münchner Stadtbibliothek auf Basis mehrerer Klimabilanzen entwickelt. Beispielhaft hier die beiden Handlungsfelder „Räume im Quartier“ und „Mobilität und Logistik“.

Handlungsfeld: Räume im Quartier

Dieses Handlungsfeld hat sich aufgetan, als wir zum wiederholten Male über Footprint versus Handprint diskutierten. Freilich, die CO2e-Bilanz einer Stadtteilbibliothek ist verschwindend gering gegenüber einem Konzerthaus mit international agierendem Ensemble. Zugleich haben wir die besondere Funktion jeder Stadtteilbibliothek für ihr Quartier auch als besondere Verantwortung begriffen. In diesem Handlungsfeld geht es also immer wieder darum, den Ressourcenverbrauch des Hauses mit dem lokalen Impact der Bibliothek abzuwägen. Gerade hinsichtlich der Debatten über Open Library, Mehrfachnutzung und Sonntagsöffnung gilt es, der Kommunalpolitik eindrücklich klar zu machen, dass diese Abwägungen gemacht und sinnvoll entschieden werden. Als Zeichen dafür haben wir schon in der Abschlussarbeit vorgeschlagen, die üblichen Kennzahlen (Quadratmeter, Medien, Ausleihen) um die CO2e-Bilanz zu erweitern.

In der Abschlussarbeit konnten wir nur einen Teil unserer (bislang noch fiktiven) Maßnahmen vorstellen – die Palette reichte von der Einführung von Ecosia als Standardsuchmaschine an allen PCs über Initiativen zur kulturellen Bildung bis hin zur umfassenden Gebührenfreiheit. Da in München nie die Münchner Stadtbibliothek selbst für Bauten verantwortlich zeichnet, wurden architektonische Maßnahmen hier zurückgestellt – und intrakommunale Lobbyarbeit angemahnt.

Handlungsfeld: Mobilität und Logistik

Auch für die Mobilität der Mitarbeitenden, unserer Nutzer*innen und unserer eigenen Logistik (Leihverkehr und Fahrbibliothek) haben wir Klimabilanzen erstellt. Überraschend war dabei vor allem, wie gut unsere Bücherbusse abschnitten, obwohl es sich um über zehn Jahre alte Dieselfahrzeuge handelt. Ins Verhältnis gesetzt zu den zugehörigen Ausleih-  und Besuchszahlen wiesen sie eine deutlich bessere Bilanz als die Stadtteilbibliothek auf. Da kommt dann wieder das Handlungsfeld „Räume im Quartier“ ins Spiel …

Als Maßnahmen finden sich in diesem Handlungsfeld unter anderem die Anschaffung weiterer Bücherbusse mit Solar-Antrieb sowie die Einführung eines „Rückgabe-Radls“, das wie früher der Eisverkäufer klingelnd die Quartiere abfährt und fällige Bibliotheksmedien einsammelt.


4. Wie

Auch der Prozess muss sich an den eigenen Zielen messen lassen, auch er sollte ökologisch, ökonomisch und sozial gerecht gestaltet sein. Und das bedeutet: gemeinsam, demokratisch und kooperativ. Eine Nachhaltigkeitsstrategie, die nicht unter Beteiligung aller Mitarbeitenden entwickelt wurde, wird es schwer haben und vor allem in vielen Dingen treffsicher daneben zielen.

Ebenfalls Integrität beweisen muss die Kommunikation, intern wie extern, indem sie sich als transparent und responsiv, effizient und suffizient vorstellt – vom Papierverbrauch über den digitalen Footprint der Onlineaktivitäten bis zum barrierefreien Intranet. Im besten Fall wird der Prozess nicht nur intern, sondern auch öffentlich mit verschiedenen Maßnahmen kommunikativ begleitet; von TikTok über LinkedIn bis zum eigenen Blog – mit nachhaltigen Themen lassen sich die unterschiedlichsten Kanäle hervorragend bespielen. Für alle gilt jedoch gleichermaßen: Erzählen Sie gute Geschichten über die Zukunft! Von begrünten Städten und Gemüse-Dachgärten, von Co-Kreation und Gemeinsamkeiten. Vielleicht kapiert´s dann endlich auch der letzte Autofahrer, dass eine autofreie Innenstadt nicht nur für die anderen, sondern auch für ihn besser ist.


5. Wann

Am besten jetzt gleich sofort. Bitte, es ist wichtig.


[1]Lesen Sie dazu am besten den fünfbändigen und ganz und gar großartigen Roman „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ von Philipp Weiss.

[2]https://www.hellwegeranzeiger.de/kreis-und-region/klimakrise-klimawandel-forscher-andres-levermann-potsdam-wissenschaftler-w687353-1000726455/

Ein Beitrag von Katrin Schuster, Kommission Nachhaltigkeit

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