Briefmarken sind Wertmarken und mitunter Sammlerobjekt, können aber auch Ausdruck politischer und gesellschaftlicher Ansichten sein. Wann traten Frauenrechtlerinnen auf Briefmarken auf und wer waren sie? Wofür standen sie ein? Das verrät uns Johanna Geßner, wissenschaftliche Volontärin am Museum für Kommunikation Berlin, in ihrem Gastbeitrag zur Blogparade #femaleheritage.
Die Briefmarkensammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Die Geschichte der Kommunikation ist ein vielschichtiges Thema. Oftmals offenbaren sich Informationen erst auf den zweiten Blick. Bei geschriebenen Briefen kommt es zuweilen weniger auf den Inhalt als vielmehr auf den Briefumschlag an. Dessen Fläche diente als Adressfeld und regelmäßig auch zur Abbildung politischer und gesellschaftlicher Ansichten. Neben dem Einsatz von Stempeln zu Propagandazwecken geschah dies schon früh auch mittels der Darstellungen auf Briefmarken, zum Beispiel um besondere Persönlichkeiten zu ehren. Die Briefmarkensammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation zählt zu den ältesten und umfangreichsten der Welt. Ein kurzer philatelistischer Streifzug verdeutlicht, wie sich die öffentliche Anerkennung bedeutender deutscher Frauenrechtlerinnen entwickelt hat.
Frauen auf Briefmarken – schwerer Start: Die ersten Jahrzehnte
Es mag angesichts der männerdominierten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts überraschen, aber auf der ersten Briefmarke prangte eine Frau. Die Briefmarke erschien 1840 als Penny Black im Vereinigten Königreich. Allerdings wäre es verfehlt, die dort dargestellte Königin Victoria (1819-1901) als Vorreiterin für Frauenrechte zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil: Trotz ihrer herausragenden gesellschaftlichen Stellung, mit der sie ein ganzes Zeitalter prägte, empfand sie die in jener Zeit aufkommenden Frauenrechtsbewegungen als „gefährlich, unchristlich und unnatürlich“. Selbst ihre eigene Position als Königin stellte für sie eine „Anomalie“ dar. Wie sich an den Frauendarstellungen auf Briefmarken der folgenden Jahrzehnte zeigen sollte, war sie mit dieser Meinung nicht allein.
Die erste Frau, die 1900 auf einer deutschen Briefmarke abgebildet wurde, war nicht etwa eine Persönlichkeit, die wegen ihrer Verdienste gewürdigt wurde, sondern eine stereotype Germania. Dieses Symbol des jungen deutschen Nationalstaates trug in seiner gerüsteten Darstellung deutliche Züge der wilhelminischen Kriegspropaganda. Als Modell für die Briefmarkengestaltung diente dem Grafiker Paul Eduard Waldraff die Schauspielerin Anna Führing (1866-1929). Diese hatte durch ihre Bühnendarstellung der Germania große Popularität erlangt.
Während der Zeit des Nationalsozialismus nahm der Anteil an Frauendarstellungen auf Briefmarken zu. Allerdings dienten diese lediglich dazu, das traditionelle Rollenverständnis abzubilden. So finden sich vereinheitlichende Symbolfiguren wie Pflegerinnen, Hebammen und Frauen mit Schürze, aber keine Bezüge zu individuellen Leistungen.
Frauenrechtlerinnen auf Briefmarken – langsamer Wandel: Erste Würdigungen
Das reaktionäre Frauenbild wandelte sich nur zögerlich. Erst in der Nachkriegszeit begann man langsam damit, Frauen für außerordentliche Leistungen auf Briefmarken zu würdigen. Bis allerdings konkret Frauenrechtlerinnen auf Briefmarken dargestellt wurden, sollte noch eine ganze Weile vergehen. Erst die Blockausgabe 50 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland von 1969 bildete drei Frauenrechtlerinnen ab: die Politikerinnen Marie Juchacz, Marie-Elisabeth Lüders und Helene Weber.
Marie Juchacz – Gründerin der Arbeiterwohlfahrt
Eine Vorreiterrolle nahm dabei die SPD-Politikerin Marie Juchacz (1879-1956) ein. Nach der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland 1918 gehörte sie zu den insgesamt 37 Frauen, die in die Weimarer Nationalversammlung gewählt wurden. Am 19. Februar 1919 hielt sie dort die erste Rede einer Parlamentarierin. Bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung blieb sie Abgeordnete des Reichstags, dem Nachfolgeorgan der Nationalversammlung. Juchacz hinterließ auf dem politischen Feld, vor allem aber im sozialen Bereich dauerhafte Spuren: Sie gründete 1919 die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und leitete diese 14 Jahre als 1. Vorsitzende. Heute gehört die AWO mit rund 230.000 hauptamtlichen Mitarbeiter*innen zu den größten Arbeitgebern in Deutschland.
Marie-Elisabeth Lüders – Engagiert für die Rechte der Frauen
Auch Marie-Elisabeth Lüders (1878-1966) saß mit Juchacz zusammen im Reichstag. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kämpfte sie gegen paternalistische Arbeitsverhältnisse und promovierte über die Aus- und Fortbildung von Frauen in gewerblichen Berufen. Als besonders bedeutsam gilt ihre Rede im Reichstag über die Zulassung von Frauen zu juristischen Staatsexamina. Auf deren Grundlage erfolgte 1922 ein Reichstagsbeschluss zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes: Es ermöglichte Frauen in Deutschland nun erstmals vollwertig als Juristinnen zu arbeiten.
Nach dem Krieg gehörte Lüders als FDP-Abgeordnete viele Jahre dem Deutschen Bundestag an. Bis ins hohe Alter hinein engagierte sie sich für die Rechte der Frauen. Unter anderem geht auf ihre Initiative das sogenannte Lex Lüders zurück. Es sichert die Rechte deutscher Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind. Ihre Verdienste wurden auch dadurch gewürdigt, dass das prominent am Spreebogen liegende Bundestagsgebäude im Regierungsviertel von Berlin seit 2003 ihren Namen trägt – nur 15 Minuten Fußweg entfernt vom Museum für Kommunikation Berlin.
Helene Weber – eine der „Mütter des Grundgesetzes“
Auch die ebenfalls auf der Blockausgabe vertretende CDU-Politikerin Helene Weber (1881-1962) spielte in der Politik der Weimarer Republik und der jungen Bundesrepublik Deutschland eine bedeutende Rolle für die Frauenrechte. Als eine der Mütter des Grundgesetzes gehörte sie zur kleinen Gruppe von lediglich vier Frauen, die neben den 61 Männern des parlamentarischen Rates 1948 das Grundgesetz erschufen. Hervorzuheben ist vor allem ihr langjähriges und letztlich erfolgreiches Bestreben, die Gleichberechtigung der Geschlechter in die Verfassung einzuschreiben. Hohe Bekanntheit erlangte ihr Ausspruch „der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker“, der in mancherlei Hinsicht auch heute nicht an Aktualität eingebüßt hat.
Frauenrechtlerinnen auf Briefmarken – großer Durchbruch oder überfällige Würdigung?
Wie stark sich die Zeiten seit den frühen Errungenschaften der Frauenrechte verändert haben, belegt eine Dauermarkenserie der Post von 1986: Diese war ausschließlich den „Frauen der deutschen Geschichte“ gewidmet. Die Serie erschien bis 2003 und bildete 39 Frauen aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen ab, unter anderem Künstlerinnen, Sportlerinnen, Ärztinnen und Politikerinnen. Als Frauenrechtlerinnen fanden sich neben den bekannten Juchacz und Lüders auch Alice Salomon, Elisabeth Selbert und Hedwig Dransfeld wieder.
Die Politikerinnen Elisabeth Selbert (1896-1986) und Hedwig Dransfeld (1871-1925) setzten sich für die Durchsetzung des Frauenwahlrechts, den vermehrten Zugang von Frauen zur höheren Bildung und zur rechtlichen Gleichberechtigung ein. Darin berührten sie sich thematisch mit den drei bereits erwähnten Politikerinnen in der Weimarer Republik sowie der jungen Bundesrepublik. Dransfeld wirkte als Abgeordnete im Reichstag sowie anerkannte Expertin für Familienrecht und Bildung entscheidend an der neuen Sozialgesetzgebung mit. Die SPD-Politikerin Selbert war neben Helen Weber eine der Mütter des Grundgesetzes. Auch ihrem Engagement ist es zuzuschreiben, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter Eingang in die Verfassung fand.
Alice Salomon – Wegbereiterin für Frauenbildung
Der Lebenslauf von Alice Salomon (1872-1948) weicht von den geschilderten politisch geprägten Persönlichkeiten ab. Die Sozialreformerin widmete sich vor allem der Bildungsarbeit für Frauen. In Berlin-Schöneberg gründete sie 1908 die erste Soziale Frauenschule im Deutschen Reich. Diese existiert bis heute und trägt seit 1991 den Namen Alice Salomon Hochschule Berlin. 1925 gründete Salomon zudem die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit als eine der ersten Bildungsinstitutionen mit Hochschulniveau für Frauen in sozialen Berufen. Ihre Verdienste erfuhren eine große öffentliche Würdigung, unter anderem verlieh ihr die Berliner Universität 1929 die Ehrendoktorwürde. Kurz danach wurde Salomon auf Druck des nationalsozialistischen Regimes aus allen öffentlichen Ämtern entfernt. Sie musste schließlich in die USA emigrieren.
Die Lebensläufe der auf Briefmarken dargestellten Frauenrechtlerinnen haben vor allem eins gemein: Den Karrierebruch im nationalsozialistischen Zeitalter, das den emanzipatorischen Bestrebungen feindlich gegenüberstand, und die späte öffentliche Würdigung. Diese erfolgte oft erst ab den 1980er Jahren und damit lange nach dem Wirken der Frauen. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in der Darstellung auf Briefmarken wider.
Autorin: Johanna Geßner
Vielen herzlichen Dank für diese profunde Einführung ins Auftreten von Frauen und Frauenrechtlerinnen auf Briefmarken!
Johanna Geßner (*1991) studierte Arts and Culture an der Maastricht University (Bachelor) sowie Geschichte und Kultur der Wissenschaft und Technik an der Technischen Universität Berlin (Master). Seit März 2020 arbeitet sie als wissenschaftliche Volontärin am Museum für Kommunikation Berlin.
Adresse und Kontakt
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Leipziger Str. 16
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