Dr. Anny Schäfer – „Volksdichterin“ und erste Münchner Radfahrerin | #femaleheritage

Dr. Anny Schäfer – wie kommen wir auf sie? Unsere Bibliothekarin, Christine Hannig, blätterte kürzlich in einem Ausstellungskatalog. Dieser wurde aus dem Bestand der Monacensia Bibliothek bestellt. Dabei stolperte sie über einen Beitrag von Hermann Wilhelm, der so passend ist für die Spurensuche #femaleheritage der Monacensia. Sie bat den Autor um den Text – et voilà, lest, was es mit Dr. Anny Schäfer auf sich hat!

Dr. Anny Schaefer: Volksdichterin und erste Radfahrerin Münchens #femaleheritage
Dr. Anny Schaefer: „Volksdichterin“ und erste Radfahrerin Münchens

Wer war Dr. Anny Schäfer?

Dr. Anny Schäfer, geboren am 13. November 1859 als Anna Maria Stumm, schreibt zahlreiche in bayerischem Dialekt gehaltene Dramen und Gedichte. An fast allen deutschen Theatern werden ihre meist im bäuerlichen Milieu angesiedelten Stücke, in denen sie manchmal selbst eine der Hauptrollen übernimmt, gespielt. Im Münchner Theater am Gärtnerplatz werden ihre Stücke ebenso aufgeführt wie auf renommierten Berliner Bühnen. Zusätzlich ist sie für Münchner Zeitungen als „Kunstberichterstatterin“ mit den Themenschwerpunkten „Schauspiel und Musik“ tätig. 

Erste Münchner Radfahrerin

Die heute weitgehend vergessene Dr. Anny Schäfer macht nicht nur als Schriftstellerin und Dramatikerin Karriere, sondern ist damals auch als erste Münchner Radfahrerin einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Denn Anny Schäfer ist die „erste deutsche Frau mit einem Damenrad von Opel“. Im Jahre 1892 steht dieses erste Damenrad in Münchens Geschichte bei einem Fahrradhändler namens Christian Schad zum Verkauf. 

Und dann heißt es erst einmal üben. Bekannt mit dem Brauereidirektor Josef Schülein von der Unionsbrauerei an der heutigen Einsteinstraße, stellt dieser die Gänge der großen unterirdischen Lagerkeller zwischen Einstein- (damals noch Äußere Wiener Straße) und Kirchenstraße für Übungsfahrten zur Verfügung – heute befindet sich dort das „Kulturzentrum Einstein“. Von der Münchner Verwaltung wird sie für „fahrreif“erklärt und erhält eine offizielle „Velociped-Karte“. Darin ist die zugehörige Nummer mit Namen eingetragen. 

Alsbald aber meldet sich auch eine zunehmend empörte Öffentlichkeit zu Wort. In einer Münchner Zeitung ist zu lesen: 

Dem die Maximilianstraße in München entlang promenierenden Publico bot sich gestern, Sonntagmittag um 12 Uhr, ein ebenso viel Entrüstung als Ärgernis erregendes Bild dar. (…) Ohne Scham, stolz wie eine Amazone, ließ die holde Donna sich männiglich mustern, ihre Fahrt ungeniert fortsetzend. Wir fragen nun: ist dies die neueste Art von Velozipedsport? Darf auf solche Art dem öffentlichen Sittlichkeitsgefühl ungestraft ein Faustschlag ins Gesicht versetzt werden? Endlich: Wo bleibt die Polizei, die hier ein erfolgreiches Feld für ihre Tätigket finden dürfte?

 „Mein Dornenweg als Volksdichterin“

Am 30. Mai 1952 stirbt die Radfahrpionierin und „Volksschriftstellerin“ Anny Schäfer im „Städtischen Altersheim an der Rosenheimerstraße“. In dem Maschinenmanuskript „Mein Dornenweg als Volksdichterin“ erinnert sich die „Volksschriftstellerin“ an ihre ersten Gehversuche als Theaterautorin. Die in dem Text erwähnte Kresi-Irrenanstalt befindet sich damals auf dem Gelände des heutigen Salesianums zwischen St.-Wolfgangs-Platz, Siebold- und Auerfeldstraße. Der leitende Direktor Grashey ist der Schwiegersohn Dr. Guddens. Als Vorgänger-Direktor der Anstalt ist dieser an den politischen Geschehnissen in Zusammenhang mit dem Tod König Ludwigs beteiligt.

Sensation! Eine Dame, die Dialekt schreibt. Mit den Bauern denkt und fühlt. Schon hier begann die Tragik meines Dichterlebens. (…) Nachdem ich das norddeutsch geschriebene Bauernstück von Mosenthal „Auf dem Sonnenhof“ in Dialekt übertragen hatte, entstand im Winter 1890 auf 1891 binnen zehn Abenden meine erste Bauerntragödie „Bauernliab“. Ohne jede Überarbeitung las ich das Stück in der ersten Fassung in der Familie Grashey-Gudden vor, der ich durch meine Gedichtsammlung persönlich nähergetreten war. Grashey, damals Direktor der Kreis-Irrenanstalt in München, wünschte, dass die „Bauernliab“ in seinem Anstaltstheater zur Aufführung käme. (…) Ohne jede vorherige Probe mit der Theatergesellschaft „Thalia“ steckte man mich in das waschechte Dirndlgewand der Frau Direktor Grashey-Gudden, und dann ließ man mich auf gut Glück los. (…) Der Beifall war groß, man rief mich immer wieder vor die Rampe. Andern Tags brachte mir Direktor Grashey persönlich noch einen Lorbeerkranz für meine „küne Tat“.

Autor: Hermann Wilhelm

Hermann Wilhelm ist Heimatforscher, Sachbuchautor, Kurator, Maler und Gründer und Leiter des Haidhausen-Museums seit 1977. 
Dem Münchner Stadtteil Haidhausen ist er in besonderer Weise verbunden; er hat sich intensiv mit dessen Geschichte beschäftigt und gilt als herausragender Experte auf dem Gebiet. Er hat viele Bücher über das Viertel und zahlreiche weitere Münchner Themen veröffentlicht, einsehbar im Opac der Deutschen Nationalbibliothek.

Haidhausen Museum
Kirchenstr. 24
81675 München
Website

Quelle:

Ausstellungskatalog: Rund ums Einstein: ein Spaziergang in 15 Stationen zu Geschichte und Kultur im Bereich Einstein-, Seerieder-, Kirchenstraße : dieses Buch erscheint zur gleichnamigen Ausstellung im Kulturzentrum Einstein Herbst 2019 von Hermann Wilhelm.


Die Bücher von Anny Schäfer sind in der Monacensia Bibliothek einsehbar. Originalmanuskripte und Korrespondenz befinden sich im Bestand des Literaturarchivs der Monacensia.

Christine Hannig, Bibliothekarin, Monacensia Bibliothek

Weitere Lektüre zu Anny Schaefer
  • Literaturportal München: Anny Schäfer – hier auch mit Sekundärliteratur

Lesetipp aus der Blogparade #femaleheritage:

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