Der Wahnsinn hält Einzug

Kalin Terzijski: Wahnsinn (Roman)

Der bulgarische Schriftsteller Kalin Terzijski begann sein Berufsleben als Arzt. Er gehörte zunächst als Pfleger, später als Psychiater zum Personal einer der größten psychiatrischen Kliniken Bulgariens – oder wie er es selbst sagt: „zur Besatzung des Narrenschiffs“. Aber warum wollte er überhaupt Psychiater werden? Sehr ehrlich und dennoch mit einer gewissen Portion Koketterie führt er in seinem Roman „Wahnsinn“ als Gründe die eigene Eitelkeit an; sein erstes Ziel sei es gewesen, bewundert zu werden, vor allem und vorzugsweise von Frauen. Auch durch einen auffallenden Modestil wollte er sich bereits in jungen Jahren von seinen Mitstudenten abheben und dem sozialistischen Provinzialismus entfliehen.

Ich war ein waschechter kleiner Snob. Ein selbstverliebter zwanzigjähriger Bengel, der sich zu etwas ganz Besonderem stilisieren wollte. Der, aufgeblasen wie ein Pfau, nichts anderes tun wollte, als seine Nase in den Himmel zu recken. Die Rolle des Psychiaters war wie gemacht für diesen Zweck.

Im Jahr 2000 beendete Kalin Terzijski, geboren 1970 in Sofia, seine medizinische Karriere, seither widmet er sich komplett dem Schreiben. Er veröffentlichte Erzählungen, Gedichtsammlungen sowie Romane. Sein erster Roman „Alkohol“, verfasst mit Dejana Dragoeva, war 2010 das meistverkaufte belletristische Werk in Bulgarien. 2011 wurde er mit dem Literaturpreis der Europäischen Union für seine Erzählungen „Gibt es jemanden, der dich liebt“ ausgezeichnet. In seinem ersten Roman „Alkohol“ erzählte Kalin Terzijski von der Sucht, vom Aufstieg und von der Erlösung.

cover-wahnsinnBeim Lesen von „Wahnsinn“ wird schnell klar, dass mit dem Hinweis auf die Eitelkeit längst nicht alles erklärt wäre. Denn gleichzeitig wird das Ego des Erzähler auch von dem Gefühl genährt, anderen zu helfen; der Ich-Erzähler leidet echte Qualen, wenn er nicht helfen kann. Getrieben also von einem romantischen Wahn und als raffinierter Masochist (wie er sich selbst bezeichnet), tritt er nach dem Studium einen vierjährigen Dienst in einer Klinik an, die einerseits Ruhe verströmte, in der andererseits jedoch stets „der Hauch des Wahnsinns wehte“.

Nach drei Jahren an der Klinik, mit immer trägeren Bewegungen, gleichsam im Dämmerzustand, hoffnungslos und mit einem immer schwächer schlagendem Herzen, lernt er Iv kennen, die neue Klinikpsychologin.

„SIE war klein, mit leuchtend orangem Haar, mit orange gefärbten Augenbrauen, mit zwanzig Ohrringen, mit dreißig Ringen, mit hundert Halsketten. Und mit gelben Augen noch dazu. […] ER war verheiratet und führte ein kleines, braves Leben, fernab von großen Gefühlen und heftigen Erschütterungen. Und die Liebe schlug ein. Bum.“

Wenn man von der ersten Nacht der beiden liest, kommt man nicht umhin, sich zu fragen: Will ich wirklich wissen, wie das weitergeht? Es erinnerte mich im ersten Moment an den Film „Leaving Las Vegas“, und das kann doch nur im Wahnsinn enden … Oder im schlimmsten Fall mit einem Happy End! Ob privat oder beruflich: Der Autor schildert überaus ehrlich seine Erlebnisse und breitet schonungslos sein zerrüttetes Innerstes aus. Und dennoch scheint er dabei nicht seinen Humor zu verlieren.

Kalin Terzijski: Wahnsinn. Inkpress, 284 Seiten.

Ausleihen!

Am Dienstag, den 6. Dezember, liest Kalin Terzijski aus dem Roman „Wahnsinn“ in der Stadtbibliothek Sendling. Die Lesung ist der Auftakt zur neuen Reihe „Literatur International“, bei der Kulturinteressierte in den Genuss von zweisprachigen Lesungen mit internationalen Autoren und Autorinnen in den Stadtbibliotheken kommen. Die Lesung mit Terzijski bietet nicht nur Gelegenheit, mit einem spannenden internationalen Autor ins Gespräch zu kommen, sondern sich mit einer sehr intensiven Literatur und deren Perspektive auf den Wahnsinn auseinanderzusetzen.

„Wahnsinn“: zweisprachige Lesung mit Kalin Terzijski. 6.12.2016, 19.00 Uhr, Münchner Stadtbibliothek Sendling
Eintritt frei, im Anschluss Einladung zum Gespräch bei Wein und bulgarischen Snacks

 

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