Dana von Suffrin war die erste Gastgeberin unserer #SchreibResi*: Im Laufe des Sommers 2022 lud sie Interessierte zu literarischen Sprechstunden in die Monacensia und sprach auf verschiedenen Veranstaltungen mit Autor*innen übers Schreiben, dessen Voraussetzungen und spezifischen Bedingungen. Zum Abschluss ihrer Residency setzt sich die Münchner Schriftstellerin mit ihrem eigenen literarischen Schreiben auseinander: von Zeitmanagement und Kaffee kochen über gute Vorsätze und private Konkurrenz bis hin zur Angst vor Papieren, Rechnern und den eigenen Gedanken.
„Keine Zeile, kein Wort“ – Dana von Suffrin übers Schreiben
Abends sperrte ich mich in das Schlafzimmer und legte mich ins Bett und schrieb ein bisschen. Das heißt, meistens klappte ich mein Laptop auf, dann schrieb ich zwei, drei Worte, „er reiste nach Bratislava“ oder „aber keiner lachte“, und dann hatte ich mich auch schon verausgabt und erholte mich, indem ich schaute, was meine Klassenkamerad*innen von vor zwanzig Jahren aus dem Harthof und aus Milbertshofen in ihren Doppelhaushälften so machten.
Auch Adam begann zu schreiben, vielleicht wegen mir, wer weiß das schon, vielleicht auch wegen Natalia Ginzburg, aber er gewöhnte es sich an, früh aufzustehen und am Morgen zu schreiben. Der frühe Tag ist so schön, sagte er dann, und meistens stand er vor mir auf, und als ich aufwachte, rief ich ihn und unterbrach seine Arbeit, damit er mir einen Kaffee kochen würde.
Ich durfte nämlich keinen Kaffee machen, denn Adam sagte, dass mein Kaffee ungenießbar sei, weil ich keine Geduld hatte, das Wasser langsam zu kochen und das Pulver mit dem Löffel zu dosieren. Ich sah ihm manchmal dabei zu, wie er ganz vorsichtig Kaffeepulver in das kleine metallene Sieb hob und zu einem kleinen Hügel schichtete. Nie verschüttete er etwas, er war ganz ruhig. Ich lachte immer ein bisschen, aber ich war auch neidisch. Ich störte ihn aber auch gerne. Er beschwerte sich darüber nicht, aber ich glaube manchmal, dass ich neidisch war, dass er schon morgens schrieb.
Er hatte ein Heft, in das er seine Gedanken schrieb und das ich nicht lesen durfte. Er schrieb in einer dreieckigen, kindlichen Schrift und machte dabei ein ernstes Gesicht. Im Winter saß er am Esstisch und hielt sich mit der linken Hand die schönen schwarzen Locken aus der Stirn, in der rechten hatte er den Bleistift, den er nur niederlegte, um nachdenklich die Katze auf seinem Schoß zu streicheln, im Sommer saß er im Hemd auf der Terrasse und drückte sein Heft auf seine Knie.
Manchmal war er sehr gut gelaunt, und manchmal war er wütend, weil er das Geschriebene einfältig und idiotisch fand. Ich kann es einfach nicht!, rief er. Du kannst es, aber ich kann es nicht! Er schrieb eigentlich fast die gleichen Dinge wie ich: „er reiste nach Frankfurt“ oder „keiner klatschte“. Ich stellte mich hinter ihn und überflog, was er aufgeschrieben hatte. Und dann erklärte ich ihm, was er ohnehin schon längst wusste, nämlich, dass keiner es konnte, das wir alle Angst vor unseren Papieren und Rechnern und letztlich auch unseren Gedanken hatten, die uns den ganzen Tag nachschlichen und auflauerten – und die wiederum verschwanden, unter der Türritze oder aus dem Fenster krochen, sobald wir versuchten, sie festzuhalten. Was uns vor fünf Minuten wie eine wunderschöne, anrührende Szene erschien, war, sobald wir uns auf die Suche nach den Worten machten, zäh und eitel.
Ich sagte zu Adam, dass unser Beruf es war, sich den ganzen Tag vor dem Schreiben zu drücken und vielleicht auch zu ekeln. Ich sagte, unsereiner müsse sich den ganzen Tag über gute Vorsätze machen, wir müssten uns vornehmen, heute ganz früh zu beginnen, so und so viele Seiten zu schreiben und zu lesen, ein Drehbuch anfangen, das bringt schließlich Geld, und vielleicht ein bisschen Lyrik schreiben, wieso nicht, und bis zum frühen Abend würden wir dann natürlich Zeitung lesen, faulenzen, telefonieren, essen, spazieren gehen und uns dann jede Stunde schuldiger und überflüssiger fühlen, und abends müssten wir uns dann ins Schlafzimmer einsperren und zwei, drei Sätze tippen, die Klassenkamerad*innen suchen und darüber einschlafen. Adam sah mich sehr ernsthaft an und rieb sich mit den Fingern das Kinn. So muss es sein, sagte er.
Wir versuchten es. Abends nach dem Essen legte ich mich schlafen. Ich hatte keine Zeile geschrieben, nicht einmal ein Wort. Adam lag mit Kopfhörern auf der Couch. Er war eingeschlafen, und wie ein kleines Kind musste ich ihn drei- oder viermal wecken, dazwischen putzte ich mir die Zähne und schminkte mich ab, und dann musste ich ihn an den Gliedmaßen vom Sofa ziehen, und er öffnete die Augen auf dem Weg von der Couch ins Schlafzimmer gar nicht und machte ganz blinde Schritte, und sofort fiel er in einen tiefen Schlummer.
Autorin: Dana von Suffrin
Dana von Suffrin ist Prosa- und Hörspielautorin und Historikerin aus München. Sie studierte Politikwissenschaften, Neuere und Neueste Geschichte und Komparatistik in München, Neapel und Jerusalem. 2017 Promotion, seither Postdoc in der Wissenschaftsgeschichte. 2019 erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr Debütroman „Otto“, für den sie sechs Literaturpreise erhielt, 2020 die Hörspieladaption (BR). Dana von Suffrin veröffentlicht auch Erzählungen und Essays, u. a. für SZ, BR, Aspekte. Anfang November läuft die Ursendung ihres zweiten Hörspiels „Blut“ auf Bayern 2. Für 2023 ist ihr zweiter Roman „Nochmal von vorne“ (Kiepenheuer & Witsch) geplant, der irgendwo zwischen München, Sofia und Krakau entstand.
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Am Montag, den 7. November um 19 Uhr laden Dana von Suffrin und das Bayern-2-Hörspiel-Team zum Prelistening ihres Hörspiels „Blut“ in die Monacensia. Der Eintritt ist frei, weitere Infos gibt’s hier.
Weitere Artikel zur SchreibResi und von Dana von Suffrin hier im Blog:
- Dana von Suffrin und die erste Schreib-Residency der Monacensia | #SchreibResi (30.5.2022)
- „Jüdische Kinder hatten wir noch nie: Dana von Suffrin über eine Familie in München – ein literarischer Beitrag“ (23.3.2021) => Beitrag zum Monacensia – Dossier #FemaleHeritage
- Vier Fragen an: Dana von Suffrin (12.9.2019)
*Die #SchreibResi wird bis 2024 durch die C.H. Beck Kulturstiftung ermöglicht. Mitveranstalter des Veranstaltungsprogramms zur #SchreibResi ist das Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
Monacensia im Hildebrandhaus
Maria-Theresia-Str. 23
81675 München
Öffnungszeiten: Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30, Do 12.00 – 22.00 | Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00 | Eintritt frei
Besucht auch gerne die Cafébar Mona.
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