#kulturslammuc – Stadtkultur im Shutdown
Wie geht es den Münchner Bildungs- und Kulturinstitutionen? Wie schaffen es die Akteur*innen der Stadtkultur, für ihre Stadtgesellschaft da zu sein und weiterhin ihren Auftrag zu erfüllen? Diese und weitere Fragen stellt unser BlogSlam „Stadtkultur im Shutdown“. Alle sind herzlich zum Mitmachen eingeladen – mehr dazu gibt es hier.
Heute: Münchner Filmvereine
Das DOK.Fest München geht online, das Filmfest München findet in diesem Jahr gar nicht statt und alle Kinos sind geschlossen. Filmkultur im öffentlichen Raum, wie wir sie bisher gekannt haben, gibt es derzeit nicht mehr. Wir haben die Veranstalter von Filmfestivals der Programmreihe Cinema International gefragt, was der Shutdown für sie bedeutet. Wie geht es ihnen gerade und wie gehen sie mit der derzeitigen Situation um? Was planen sie für die Zukunft? Dazu haben wir um einen Filmtipp gebeten, den man sich auch zuhause ansehen kann.
Türkische Filmtage
Eine Woche vor der Eröffnung der 31. Türkischen Filmtage erreichte uns die Nachricht, dass unsere Filmreihe komplett abgesagt wird. Auch wenn wir natürlich Verständnis für die Gründe haben, waren wir sehr traurig darüber, weil wir sehr viel Zeit und Energie in die Vorbereitung gesteckt hatten. Der Vorverkauf war richtig gut angelaufen, alle Gäste, Flüge, Hotels und natürlich die Filme organisiert.
Wir arbeiten alle auf ehrenamtlicher Basis und der Lohn für unsere Bemühungen sind die Filmtage, d.h. die Filme auf der Kinoleinwand zu sehen und mit den Regisseur*innen und dem Publikum über die Filme zu sprechen. Stattdessen waren wir nun damit beschäftigt, die Produktionsfirmen und Gäste über die Absage zu informieren und die Hotels und Flüge zu stornieren.
Wir geben jetzt auf unserer Webseite Empfehlungen für Filme, die von Regisseuren und Produzenten gerade vermehrt ins Netz gestellt werden. Darunter sind Filme, die dieses Jahr bei den Türkischen Filmtagen gezeigt worden wären, aber auch Filme aus dem Programm der vergangenen Jahre und weitere türkische Filme.
Wir planen derzeit eine kürzere Filmreihe im Herbst mit Filmen aus dem abgesagten Programm. Allerdings ist auch dies schwierig, und wir müssen flexibel auf die Entwicklung der derzeitigen Situation reagieren. Zusätzlich wollen wir versuchen, Filme in Einzelveranstaltungen zu zeigen. Gleichzeitig laufen ab Herbst aber auch schon die Vorbereitungen für die 32. Türkischen Filmtage im März 2021 an. Bis spätestens dahin hoffen wir, dass Veranstaltungen wieder wie gewohnt stattfinden können.
Unser Filmtipp
Der Film SOFRA SIRLARI – SERIAL COOK aus dem Programm der 30. Türkischen Filmtage ist eine schräge Komödie, die gängige Rollenmuster persifliert.
CINEMA IRAN
Das CINEMA IRAN-Team ist glücklicherweise gesund und munter. Als Freiberufler*innen und Studierende sind wir aber alle von nahezu 100%igen Einkommensausfällen betroffen, da sämtliche Veranstaltungsformate ja aktuell und auf absehbare Zeit nicht stattfinden können und da Einzelhandel und Gastronomie auch starken Einschränkungen unterworfen sind und einige der Studierenden im Team sich über Jobs in diesen Branchen ihr Studium und ihren Lebensunterhalt finanzieren.
Leider bieten die lautstark angekündigten Soforthilfen für unser gesamtes Team auch keinen Trost, da Lebenshaltungskosten ebenso wie Honorar-/Verdienstausfälle nicht berücksichtigt werden. Mal sehen, ob die politischen Forderungen nach Nachbesserungen für den Kulturbereich (wie sie z.B. in Baden-Württemberg umgesetzt werden) Gehör finden oder ob die diskutierten Unterstützungen beim Bafög oder ein befristetes BGE realisiert werden.
Unsere Teambesprechungen halten wir, wie viele andere Kolleg*innen, nun online ab und tauschen uns über Zoom, Skype oder Jitsi aus. Wir wissen alle, dass wir nur improvisieren können und hochflexibel arbeiten müssen, da sich die Situation und die Rahmenbedingungen ja ständig verändern. Das betrifft nicht nur die Vorbereitung von CINEMA IRAN, sondern sämtliche Bereiche unserer Leben – Privates, Studium und Abschlussarbeiten, andere berufliche Projekte und Vorhaben.
Was nicht vergessen werden darf: Iran ist von Corona bzw. COVID-19 extrem betroffen. Seit Mitte Februar hat das Virus die durch die Sanktionen und weltpolitischen Ereignisse eh angespannte Situation noch verschärft. Die Situation des Arbeitens unter den Bedingungen der Quarantäne betrifft auch die Filmemacher*innen und Künstler*innen, mit denen wir in Kontakt stehen. Internationale Reisen sind derzeit nicht möglich, Visa werden nicht erteilt. Wir können nicht absehen, wann sich diese Rahmenbedingungen ändern werden.
Zum aktuellen Zeitpunkt wissen wir noch nicht sicher, ob CINEMA IRAN im Juli stattfinden kann. Wir bereiten uns daher auf verschiedene Optionen vor und hoffen, dass sich zumindest eine kleinere, eingeschränkte Version des Festivals realisieren lässt. Es kann aber auch sein, dass wir das Festival in ein paar Wochen absagen müssen. Wir werden dann zumindest einige Film- und Kulturtipps über unsere Website und Social-Media-Kanäle anbieten. Gegebenenfalls werden wir erst bei CINEMA IRAN 2021 einiges zeigen, was für 2020 geplant war.
Unser Filmtipp
Wer sich für iranisches Kino und iranische Filmgeschichte interessiert, der/dem sei dieses ausführliche Interview mit dem großen Filmemacher und Künstler Abbas Kiarostami, der 2016 gestorben ist, ans Herz gelegt. In diesem Filmgespräch werden auch einzelne Werke mit Clips vorgestellt und es bietet einen guten Einblick in das Schaffen Kiarostamis und seine Bedeutung für das iranische Kino.
Afrikanische Filmtage
Uns geht’s soweit gut, danke. Als der Shut Down unseren Alltag deutlich veränderte, unterbrachen wir zunächst die Vorbereitungen der Afrikanischen Filmtage, die dieses Jahr vom 7. bis 10. Oktober im Gasteig stattfinden sollen. Wir mussten uns an die veränderten Umstände erstmal gewöhnen, fingen aber schon bald wieder an, neue Filme zu suchen und zu sichten, um etwas Normalität zurückzugewinnen. Erfreulicherweise sind Regisseur*innen und Verleihfirmen weiterhin gut zu erreichen, und der Austausch klappt prima.
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Afrikanischen Filmtage hatten wir vor, nicht nur Dokumentar- und Spielfilme zu zeigen, sondern auch eine Kunstausstellung und eine Lesung zu organisieren. Mittlerweile planen wir die Option mit ein, dass dieses Vorhaben nicht ganz so wie gedacht stattfinden kann. Aber wir sind optimistisch und arbeiten weiter an unserem diesjährigen Programm. In irgendeiner Weise werden die Afrikanischen Filmtage dieses Jahr hoffentlich stattfinden – und selbst wenn unser Publikum die Filme nur online sehen kann, geben wir uns wie immer größte Mühe, ein kleines und dennoch sehr feines Programm zusammenzustellen. Wir sind da auf jeden Fall experimentierfreudig und offen für Neues 😉
Unser Filmtipp
Wir empfehlen eine Episode der Mini-Serie We Need Prayers des kenianischen Künstler*innen-Kollektivs The Nest Collective aus dem Jahr 2018: Eine junge Künstlerin aus Nairobi hegt den Plan, in der internationalen Kunstszene ganz groß rauszukommen …
Chinesisches Filmfest
Das Konfuzius-Institut München, das das Chinesische Filmfest organisiert, ist seit 17. März auch betrieblich geschlossen, die Mitarbeitenden sind auf Homeoffice umgestellt. Zur Zeit bemühen wir uns kulturellen Aktivitäten online anzubieten: Online-Jour-Fixe (Online-Vortrag), Podcasts mit Lesungen und visuelle Fotoausstellung, Konzert und Kochvorführung – alle Aktivitäten sind kostenlos.
Wir bereiten weiterhin das Filmfest vor. Allerdings müssen wir einen Plan B im Auge behalten, falls die Kinos auch im Oktober noch nicht für das Publikum geöffnet sein werden. Wir werden mit den Filmverleihen klären, wie weit wir den einen oder anderen Film im Netz zur Verfügung stellen dürfen. Das ist eine komplette neue Situation, mit der wir auch keine Erfahrung haben.
Die Krise eröffnet uns aber auch neue Möglichkeiten und Perspektiven. Wir möchten die Online-Angebote nach der Krise beibehalten und erweitern. Das ist zeitgemäß und zukunftsorientiert.
Griechische Filmwoche
Uns bereitet die aktuelle Situation natürlich Sorgen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie lange uns die Coronavirus-Pandemie noch beschäftigt und welche Folgen das insgesamt haben könnte. Wir machen in der Gruppe häufiger Videocalls und bauen uns mit lustigen Filmszenen gegenseitig auf. Immerhin erreichen wir Filmemacher*innen, Schauspieler*innen, Regisseur*innen und auch Filmverleihe einfacher, weil ein Großteil weiterhin von Zuhause aus arbeitet. Auf unserer Homepage stellen wir in regelmäßigen Abständen Filme vor, die Regisseur*innen und Filmemacher*innen kostenfrei zur Verfügung stellen.
Wir arbeiten mit vereinten Kräften an der Vorbereitung für die Griechische Filmwoche, die im November 2020 stattfinden soll. Zwar können wir uns über Filme nicht im Team bei einem guten Glas Wein austauschen, dafür sprechen wir ausführlich über Skype oder WhatsApp. Das klappt bisher ganz gut. Trotzdem freuen wir uns, wenn wir uns wieder gegenseitig in die Arme nehmen dürfen.
Unser Filmtipp
Regisseur Sotiris Tsafoulias zeigt auf seinem offiziellen YouTube-Kanal den spannenden Krimi The Other Me – Eteros Ego. Darin muss Kriminologe Dimitris Lainis einen Mordfall lösen. Doch das ist nicht so leicht, wie es zu Beginn scheint.
LAFITA – Lateinamerikanische Filmtage
Die Absage des Filmfest München vor ein paar Tagen war eine weitere herbe Watschn für die Münchner Filmkultur und zeigt, dass 2020 viel mehr Kulturinitiativen in Mitleidenschaft zieht, als wir im März noch fürchteten. Vor allem für die Kinosparte sind die neuen Gebote der Proxemik und das Versammlungstabu natürlich wie eine weitere biblische Plage, die manches Kino ins Jenseits des Existenzminimums befördern wird. „Was wäre die Welt ohne Kinos?“ – eine schaurige Vorstellung, die an Ray Bradburys Welt ohne Bücher oder James Krüss‘ Leben ohne Lachen erinnert.
Aber selbst wenn der globale Point of no return 2020 längst überschritten ist, denken wir nicht daran, die Segel zu streichen. Da unsere Filmtage erst im Spätherbst – traditionell um den ersten Advent – stattfinden, haben wir noch Hoffnung, dass wir nicht absagen müssen und die Menschen, die den Kinos noch ein Weilchen fernbleiben werden, wie die Schäffler aus ihren Verstecken locken werden. Der gepflegte Kinogenuss in Gesellschaft mit Austausch und Diskussionsmöglichkeit – all das ist zweifellos irgendwie auch kontaktlos möglich, aber hoffentlich nicht mehr lange nötig im Sinne eines alternativlosen Zwangs.
An die Intensität eines Festivals oder eines sorgfältig kuratierten Filmprogramms, an die Vorfreude und Vorbereitung von Veranstaltern wie Besuchern, an die von Skeptikern zu eilfertig wegrationalisierte Anfahrt und nicht zuletzt an die Stimmung im Kinosaal kommt ein nach Hause gestreamter Film einfach nicht heran. Das ist eine Überzeugung, die uns motiviert und hoffen lässt.
An der Ausgangssituation, eher unbekanntes oder exotisch anmutendes Kino einem Publikumskreis zuzuführen, der sich aus Kenner*innen, Liebhaber*innen, Freund*innen und Mitstreiter*innen, aber auch neugierigen Neulingen speist, ändert sich ehrlich gesagt nicht viel. Wir arbeiten mit Zuversicht an dem diesjährigen Programm im November, tauschen uns regelmäßig aus, sichten, halten unsere kleine Community mit Streaming-Angeboten bei Laune.
Wenn es dieses Jahr nichts wird, dann müssen wir sehen, wie wir den Ausfall für Liebhaber*innen der lateinamerikanischen Filmkultur und unsere Enttäuschung kompensieren können. Die Erfahrung der anderen Filmstadt-Initiativen bildet da sicherlich einen guten Ideenpool für den Einbruch, dessen Auswirkungen unabsehbar sind.
Unser Filmtipp
Vor ein paar Tagen hat „El Pampero Cine“, ein argentinisches Kollektiv von Filmschaffenden, seine Perlen offengelegt. Der einzigartige 14-Stünder LA FLOR (2019, Mariano Llinás) ist dabei zwar hinter einer regionalen Paywall verborgen geblieben, im grandiosen VOD-Angebot von Grandfilm kann man aber relativ günstig Zugang bekommen