München im Jahr 2052, also in gar nicht so ferner Zukunft. Selbst wer heute circa 50 Jahre alt ist, hat gute Chancen, diese Zeit zu erleben; aber hoffentlich nicht die im Debüt von Theresa Hannig herrschende „Optimalwohlökonomie“ – Orwells „1984“, erschienen 1948, reloaded!
Die bayerische Landeshauptstadt ist nun Teil der BEU (Bundesrepublik Europa) und durch eine technisch perfektionierte Grenze vom armen Rest der Welt hermetisch abgeschottet. Roboter, ausgestattet mit Künstlicher Intelligenz, sorgen für absolute Sicherheit und Wohlergehen, gefährliche oder eintönige Arbeiten müssen die Menschen nicht mehr verrichten. Allerdings ist der Preis dafür die allumfassende Überwachung: Fleischkonsum wird mit Hausarrest bis zu einem Jahr bestraft; schließlich gibt es ja Synthfleisch in diversen Ausformungen. Sicherheitsroboter dürfen nicht beleidigt werden, und der einmal von der Agentur für Lebensberatung vorgeschlagene Beruf darf nicht mehr gewechselt werden.
Und genau in dieser staatlichen Agentur arbeitet Samson Freitag als Lebensberater. Mit größtem Eifer versucht er jedem einzelnen Bürger den perfekten Platz im Arbeitsleben zu vermitteln. „Jeder an seinem Platz“ ist die allgemeine Grußformel statt „Servus“ oder „Guten Tag“.
Eigentlich erwartet Samson demnächst seine Beförderung, doch dann gerät sein wohlgeordnetes Leben aus den Fugen: Seine Freundin Melanie verlässt ihn, und er wird beschuldigt, eine junge Frau falsch beraten zu haben. Seine Empfehlung, in die Kontemplation zu gehen, kann sie nicht akzeptieren und begeht daher Selbstmord. Wobei „Kontemplation“ eine hinreichend bezahlte Arbeitslosigkeit bedeutet.
Ab jetzt nimmt diese spannend geschriebene Dystopie so richtig Fahrt auf. Samson soll selbst optimiert werden, und wie das aussieht, ist durchaus gruselig, aber nachvollziehbar und einer inneren Logik folgend, aufgebaut.
Tatsächlich stellt sich nach dieser Lektüre die Frage, ob wir auch weiterhin in unserer „schönen neuen Welt“ so unbeschwert und gedankenlos die Errungenschaften des digitalen Zeitalters nutzen sollten. Facebook und Smartphone gehören heute so selbstverständlich zu einer Spaßkultur wie früher Walkman, Kassettenrekorder oder VHS-Videos. Allerdings waren wir damals damit nicht „gläsern“! Dieser kluge und so gar nicht moralgeschwängerter Roman hilft bei der Klärung dieser Überlegung. Und muss das Streben nach einer wie auch immer ideologisch begründeten perfekten Gesellschaft nicht zwangsläufig in eine Diktatur münden?
Theresa Hannig, 1984 in München geboren, studierte VWL, Politikwissenschaft und Philosophie. Sie arbeitete u.a. als Softwareentwicklerin und Beraterin für IT-Sicherheit. Für ihr Debüt „Die Optimierer“ erhielt sie 2016 den Stefan-Lübbe-Preis.
Theresa Hannig: Die Optimierer. Bastei Lübbe, 303 Seiten.
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Im Jahr 2052 bin ich höchstwahrscheinlich tot, aber vielleicht lese ich das trotzdem …
Das Jahr 2052 scheint zur Zeit sehr beliebt bei den Autoren dystophischer Romane zu sein!
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