Brüchige Idylle

Amerikanisches Idyll (Literaturverfilmung)

„Amerikanisches Idyll“ ist einer dieser  für die amerikanische Literatur so typischen Romane, die eine mitreißende Familiengeschichte verbinden mit einer kritischen Bestandsaufnahme der Gesellschaft, in der diese Menschen sich bewegen. Der inzwischen fast notorische Nobelpreis-Anwärter Philip Roth schrieb ihn 1997. Ende 2016 kam die Verfilmung in die Kinos, in der männlichen Hauptrolle Ewan McGregor, der erstmals auch Regie führte. Jetzt ist die DVD erschienen.

Die Geschichte beginnt in der Provinzstadt Newark Ende der Vierziger Jahre: Die USA haben den Krieg gewonnen, das Land und seine Menschen sehen mit einem überschäumenden Optimismus in die Zukunft. Mittendrin: Seymour Levov, der charismatische Ex-Star des College-Baseballteams, wegen seines blendenden Aussehens „der Schwede“ genannt. Er übernimmt den mittelständischen Betrieb seines Vaters, heiratet eine patente Ex-Schönheitskönigin und zieht mit ihr in eine nahe Kleinstadt. Das blonde Töchterchen Merry macht das „amerikanische Idyll“ perfekt, das der Film in wunderschönen Bildern wie aus dem Fotoalbum einer amerikanischen Bilderbuchfamilie illustriert.

Jahre gehen ins Land, und in der Familie Levov ebenso wie in der amerikanischen Gesellschaft bekommt die Idylle mehr und mehr Risse: Der Vietnam-Krieg mit der daraus erwachsenden Protestbewegung erschüttert das Land, die anfangs friedliche Bürgerrechtsbewegung kippt in blutige Rassenunruhen, und aus dem niedlichen Mädchen wird ein rotziger und aufsässiger Teenager. Obwohl erst 16 Jahr alt, wird Merry mehr und mehr zur politischen Aktivistin, wirft ihren Eltern – nicht ganz zu Unrecht – einen Rückzug in ihre Mittelstandsidylle und mangelndes gesellschaftliches Verantwortungsgefühl vor, gerät in zweifelhafte Kreise. Die Eltern, vor allem Vater Seymour, reagieren liebevoll, aber hilflos … Und dann geschieht das Unfassbare: Bei einem politisch motivierten Bombenattentat in der Kleinstadt kommt ein Mann ums Leben, gleichzeitig verschwindet Merry spurlos, an ihrer Täterschaft besteht kaum ein Zweifel.

Merrys Eltern werden an diesem Schicksalsschlag zerbrechen: als Paar, das sich zunehmend entfremdet, aber auch als Menschen, jeder für sich. Während seine Frau sich nach einem psychischen Zusammenbruch in einen fast hysterischen Hedonismus flüchtet, wird Seymour sich sein Leben lang nicht von seiner Tochter lösen können und wollen. Auch nach Jahren gibt er die fast manische Suche nach ihr nicht auf. Als er sie endlich findet, ist Merry innerlich und äußerlich am Ende, und immer noch will oder kann sie sich nicht von ihrem Vater helfen lassen.

Der Film endet mit einer berührenden Szene, die vieles offen lässt …

Natürlich setzt der Film nicht alle Aspekte von Roths komplexer Romanvorlage um – und das ist gut so, denn eine Romanverfilmung ist für mich dann geglückt, wenn sie als eigenständiges Werk funktioniert. McGregor findet als Regisseur gelungene Bilder für den sich diametral wandelnden Zeitgeist (nicht nur) in den USA vom Beginn der Fünfziger zum Ende der Sechziger Jahre. Er illustriert die euphorische Aufbruchstimmung der Mittelklasse nach dem Zweiten Weltkrieg wie in einem Werbespot der Zeit: chromblitzende Autos und strahlende, schöne Menschen in bunten Kleidern auf Gartenpartys. Und er zeigt die wütenden Massendemonstrationen der Sechziger: wutverzerrte Gesichter, prügelnde Polizisten … in den TV-Nachrichten sehen die fassungslosen Levovs die Selbstverbrennung eines buddhistischen Mönchs – ein Alptraum, der sich nicht nur in ihren Köpfen festsetzt.

Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die Geschichte der komplexen und tragischen Vater-Tochter-Beziehung, eine traumatische Geschichte von Liebe und Verlust. Ewan McGregor zeigt Seymour Levov ungemein überzeugend als einen ruhigen und besonnenen Mann, einen, der selber immer versucht, anständig zu sein, und sich nicht abbringen lässt von seinem Glauben an das Gute im Menschen – zu sehen, wie dieser Mann unbeirrbar an der Liebe zu seiner Tochter festhält … das ist mir wirklich nahegegangen.

(Alle Fotos: Splendid Film)

Amerikanisches Idyll. Nach einem Roman von Philip Roth. Regie: Ewan McGregor. Mit Ewan McGregor, Jennifer Connelly, Dakota Fanning u.a.

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