Blumenbar-Archiv und Monacensia: „Der Verlag weiß mehr als seine Verleger!“ – Interview mit den Blumenbar-Gründern Lars Birken-Bertsch und Wolf Farkas | #Literaturarchiv

Im Oktober 2022 haben Lars Birken-Bertsch und Wolf Farkas das Archiv der Blumenbar der Monacensia übergeben. „Wir veranstalten nicht nur Literatur, wir verlegen sie auch.“ Mit diesem Credo haben die beiden Gründer vor exakt 20 Jahren ihren literarischen Clubsalon in München um einen Verlag erweitert. Im Gespräch anlässlich der Archivübergabe erinnern sie sich an besondere Momente, Lieblingsobjekte aus ihrem Verlag, clevere Verleger und den Wert eines E-Mail-Verteilers.

Das Herzstück des Blumenbar-Verlagsarchiv: der Koffer mit den schönsten und begehrtesten Devotionalien. #Literaturarchiv
Das Herzstück des Blumenbar-Verlagsarchiv: der Koffer mit den schönsten und begehrtesten Devotionalien. Foto: Tanja Praske. #Literaturarchiv

Blumenbar-Archiv: Übergabe an die Monacensia

Interview mit den Blumenbar-Gründern Wolf Farkas und Lars Birken-Bertsch von Tina Rausch

Im August 2002 führte ich für das Stadtmagazin PRINZ das erste Interview mit Wolf und Lars über ihren neu gegründeten Blumenbar Verlag.[1] Ihr erstes Buch „Memomat“ war noch in Produktion – den später heiß begehrten Club-Schlüsselanhänger gab es bereits.

20 Jahre später treffe ich die beiden wieder zum Interview. Es findet nach der Übergabe des Verlagsarchivs an die Monacensia statt – 25 Kartons mit Ordnern und Unterlagen, Büchern, CDs, Platten und Audiokassetten, ein USB-Stick mit 256 Gigabite und ein Koffer voller Fundstücke, darunter die Originalausgabe von „Memomat“ für die Clubmitglieder, eine Fiorucci-Krawatte von Wolf Wondratschek, eine Kachel aus dem Berliner Club Prinz Charles und: der Schlüsselanhänger.

Ihr habt 2002 mit einem einzigen Buch als kleinster Verlag Münchens begonnen und die hiesige Literatur- und Clubszene umgekrempelt. Warum ist der Verlag sieben Jahre später nach Berlin gezogen?

Lars: Tatsächlich fand da eine Splittung statt, Wolf hat damals schon in Berlin gelebt.

Und wie hat München darauf reagiert?

Wolf: Es gab ein Interview mit uns im Feuilleton der SZ. Und sogar die BILD-Zeitung meldete: Blumenbar zieht nach Berlin. Das fand ich erstaunlich. Es war ja erst mal nur ein Büroumzug.

Nun ja, es war die Zeit der Abwanderung einiger Münchner Literat*innen nach Berlin.

Wolf: Und es war vermutlich auch eine Überdehnung unserer gewachsenen Struktur. Berlin wurde zum Hauptsitz mit Lektorat und Vertrieb.Lars leitete das Münchner Büro. Und dann gab es im Glockenbachviertel die Blumenbar als Club – erst temporär, dann regelmäßig. Der entwickelte sich zu einem Hipsterladen mit ganz eigener Fangemeinde. Das war eine andere Nummer: Im Archivkoffer gibt es eine Blumenbar-Streichholzschachtel aus der Zeit, hintendrauf mit Marlboro-Werbung.

Es gab Berührungspunkte: Mirko Hecktor stammte aus eurem Dunstkreis und hat dort aufgelegt. Wart ihr gar nicht involviert?

Lars: Entstanden ist das aus einer Bar, die ich Baader-/Ecke Corneliusstraße versucht habe. Das ging wegen Lärmbelästigung leider komplett daneben. Etwas später hatte Andy, ein Freund aus der Gastroszene, Lust, das als Club weiterzuführen. Das lief mit unserer Genehmigung – und der Einschränkung, nur in München eine Blumenbar zu betreiben. Und ja, es gab Schnittstellen zum Verlag, etwa eine Buchpräsentationen mit Franz Dobler. Nach zwei Jahren war’s schon wieder vorbei.

Wolf: Das lässt sich alles gar nicht in ein paar Sätzen sagen, es passierte so viel gleichzeitig, auf so vielen Ebenen, eigentlich müsste jemand mal den Roman dazu schreiben.

Während also Andys Blumenbar Club in der Thalkirchner Straße brummte, geriet der Blumenbar Verlag immer mehr unter Finanzdruck. Ein paar Mal bin ich in München in den Keller runtergestiegen und meinte zu Andy: „Wir müssen das regeln. Du nimmst unseren Namen, verdienst haufenweise Geld, und wir wissen nicht mehr, wie wir unsere Leute zahlen sollen.“ Das täusche, alles ganz knapp kalkuliert, meinte er nur, er lasse sich was einfallen.

Na ja, 2010 hat sich Lars dann aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, und das Münchner Verlagsbüro war Geschichte.

Konntet ihr jemals vom Büchermachen und von Blumenbar leben?

Lars: Als wir die GmbH hatten, war das drei, vier, vielleicht fünf Jahre möglich.

Wolf: Ab 2005 hatten wir die GmbH & Co. KG auf kleinem Level, 2007 ist sie mit Kapital ausgestattet worden. Schon vor diesem Investment hatten wir keine Jobs nebenher und uns Gehälter ausbezahlt. Danach hatten wir drei weitere Angestellte, eine Auszubildende, Praktikumsplätze.

Lars: Und irgendwann ging es nicht mehr …

Wolf: Oh ja, es gab Buchmessen, für die wir Geld für die Hinfahrt hatten – aber keines für die Rückfahrt. Wir mussten vor Ort Bücher verkaufen, um wieder flüssig zu sein.

Wie hat sich das hiesige Verlagswesen seit euren Anfängen verändert?

Lars: Wir haben unseren Verlag noch ganz ohne staatliche Beihilfen wie Verlagspreise und weitgehend ohne Förderungen gestemmt.

Stimmt, inzwischen gibt es wenigstens Förderungen für unabhängige Verlage. Könnte man Blumenbar also heute noch mal so gründen?

Lars: Können schon, aber wollen …

Wolf: Man kann so etwas nicht wiederholen, grundsätzlich funktionieren könnte es glaub ich schon. Der Spirit und die Zeit ändern sich, vermutlich gibt es aber auch heute Leute und Gruppen, die Büchermachen neu denken. Wenn das in eine Community, in Netzwerke eingebettet ist … Und, ganz entscheidend: Man braucht jemand, der oder die sich um die geschäftliche Seite kümmert.

Lars: Wir sind in der Gruppe der jungen unabhängigen Verlage einen neuen Weg gegangen, den heute auch etablierte Verlage beschreiten.

Der legendäre Schriftzug der Blumenbar, fotografiert von Coco Lang 2003. #Literaturarchiv
Der legendäre Schriftzug der Blumenbar, fotografiert von Coco Lang 2003. #Literaturarchiv

Wolf: Einmal flehte mich der Pressesprecher eines großen Münchner Verlags förmlich an: „Kann ich euren Verteiler haben, nur einmal, bitte!“ Manchmal war uns das glaub ich gar nicht bewusst, die Stärken, die uns ausgemacht haben.   

Lars: Da stellt sich die Frage, ob man soziales Kapital vermarkten möchte.

Bitten euch heute manchmal Leute um Rat, die unabhängige Verlage gründen wollen oder bereits leiten?

Lars: Das kam währenddessen sehr oft vor, und auch danach immer wieder.

Der Verleger eines kleinen Berliner Verlags erzählte mir neulich auf der Frankfurter Buchmesse, was für ein Riesenschock es für ihn war, als wir aufhören: „Alle dachten immer, wenn es einer der kleinen schafft, dann ihr!“

Aber es gab auch Verleger wie Tom Kraushaar und Michael Zöllner, die mit Tropen einen anderen Weg einschlagen konnten. Sie haben das Angebot angenommen, bei Klett-Cotta einzusteigen und Tropen dort als Label weiterzuführen. Also wenn der eigene Verlag nicht weiterbestehen kann, haben die das sehr gut gelöst.

Ihr habt 2012 mit dem Verkauf von Blumenbar an den Aufbau Verlag aufgehört.

Wolf: In den letzten beiden Jahren wurde der finanzielle Druck unfassbar groß. Wir haben zig Optionen und Konstellationen geprüft, bis hin zu einer Agentur, die pro bono unter dem Titel „Les fleurs du bon“ eine Save-the-Blumenbar-Instant-Aktion entwickelt hat. Bei der finalen Vertreter-Runde war mein Appell: Leute, wenn wir bis Jahresende 30.000 Bücher verkaufen, haben wir’s aus eigener Kraft geschafft. „Das Manifest der Vielen“ wurde zwar mit 12.000 verkauften Exemplaren der erste Spiegel-Bestseller. Aber am Ende waren‘s zu wenig.

War es schwer, loszulassen?

Wolf: Anfangs stand ich Aufbau beratend zur Seite. Doch es hat gedauert, bis ich mich freuen konnte, dass unserer Marke weitergeführt wird.

Lars: Sie haben aber auch eine Zeit gebraucht. Später haben sie auch Titel verlegt, die von uns hätten kommen können. Und klar, Loslassen dauert.

Wolf: Und hat ja auch etwas Befreiendes. ich habe tatsächlich erst jetzt richtig losgelassen: mit der Übergabe unseres Archivs an die Monacensia.

Lars Birken-Bertsch und Wolf Farkas (v. li,) bei der Übergabe des Blumenbar-Verlagsarchivs in der Monacensia im Herbst 2022. Foto: Tanja Praske. #Literaturarchiv
Lars Birken-Bertsch und Wolf Farkas (v. li.) bei der Übergabe des Blumenbar-Verlagsarchivs in der Monacensia im Herbst 2022. Foto: Tanja Praske. #Literaturarchiv

Und wie kam es dazu?

Wolf: Der erste Anlauf war relativ bald nach dem Markenverkauf. Ich habe die damalige Monacensia-Leiterin Elisabeth Tworek gefragt, ob es Interesse gibt. Das gab es, verlief sich aber wieder.

Lars: Anfang 2020 habe ich Anke Buettner gefragt, ob sie sich zum 20. Verlagsjubiläum eine Blumenbar-Ausstellung in der Monacensia vorstellen könnte. Da war bereits Pop Punk Politik in Planung, also die Münchner Jahre vor unserer Zeit, daher passte das nicht. Anke zeigte sich aber am Archiv interessiert – und wir haben im Juni 2022 im Kunstverein eine Ausstellung und Party im kleineren Rahmen realisiert.

Wolf: Dass wir in der Monacensia eine Heimat für Blumenbar gefunden haben, ist für mich so stimmig, weil hier auch der Netzwerk-Gedanke lebt. Also genau das, worum es bei Blumenbar ging.

Lars: Jetzt haben alle Zugang zu dem Material, die sich damit auseinanderzusetzen wollen, was literarisches Leben ausmacht.

Wolf: Der Verlag weiß mehr als seine Verleger!

Jetzt geht’s ans Eingemachte: Was ist euer Lieblingsobjekt aus dem Blumenbar-Bestand?

Lars: Was sich für mich klar durchzieht, ist unser Schlüsselanhänger – einfach ein schönes Objekt. Selbst wenn das Glas gebrochen ist, man nichts mehr lesen kann, tragen ihn die Leute noch immer mit sich rum. Du bist der lebende Beweis, Tina!

Stimmt, euer Schlüsselanhänger begleitet mich bis heute. Ich war megastolz, als ihr ihn mir beim ersten Interview überreicht habt.

Wolf: Benutzt ist er sowieso viel schöner.

„Benutzt viel schöner“: der Blumenbar-Schlüsselanhänger mit der Mitgliedsnummer 0091. #Literaturarchiv
„Benutzt viel schöner“: der Blumenbar-Schlüsselanhänger mit der Mitgliedsnummer 0091. Foto: Alke Wendlandt. #Literaturarchiv

Zu meinen Lieblingsobjekten gehört der mobile Plattenspieler, den wir auf den Buchmessen immer dabei hatten. Ins Archiv gewandert sind das kaputte Originalgerät und ein noch unbenutzter Ersatzspieler. Es gab immer den Gedanken: Wir brauchen nur ganz wenig: ein paar Bücher, Musik, eine Espressokanne, Blumen – und die Bar steht!

Und euer Lieblingsmoment?

Lars: Da gab es so viele!

Und welcher kommt euch als Erstes in den Sinn?

Wolf: Eine Szene, die ich vor Augen habe: Silvester in der Kongresshalle. Da hatten wir auf der einen Seite eine öffentliche Party und auf der anderen in der riesigen Halle eine Tafel mit allen Blumenbar-Leuten und Freund*innen und haben gemeinsam aufs neue Jahr angestoßen.

Lars: Ja, das war besonders. Ich erinnere mich gerne an die Eröffnung der Blumenbar im Münchner Kunstverein 2005. Das war so eine neue, frische Geschichte, und wir haben uns sehr reingehängt, dass das gut wird.

Die Blumenbar im Kunstverein München im Jahr 2006, Foto: Coco Lang. #Literaturarchiv
Die Blumenbar im Kunstverein München im Jahr 2006, Foto: Coco Lang. #Literaturarchiv

Wolf: Ein anderer großer Moment: als wir im Münchner Stadtcafé mit dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel mit Grappa darauf anstießen, dass wir ein Buch von Matias Faldbakken publizieren werden – ohne es zu kennen. Hinrich hatte uns versichert, dass es ein tolles Buch ist. Es war auf Norwegisch geschrieben, wir haben keine Zeile verstanden und trotzdem beschlossen: Wir machen das.

Lars: Na, der hat uns schon ein Exposé geschickt.

Wolf: Okay, ein Exposé, aber das Buch kannten wir nicht. Die erste deutsche Fassung habe ich dann oben in einer Dachstube in der Ismaninger Straße gelesen und mich den ganzen Abend totgelacht. „The Cocka Hola Company“ ist 2003 bei Blumenbar erschienen, eine Erstausgabe findet sich nun im Archiv der Monacensia.    

Interview: Tina Rausch

Das Blumenbar-Archiv ist ein Schlüssel für die 1990er und 2000er Jahre in München.

Anke Buettner, Leiterin der Monacensia
256 Gigabite Verlagsgeschichte wechseln den*die Besitzer*in: Archivleiter Thomas Schütte, Monacensia-Leiterin anke Buettner, Blumenbar-Verleger Wolf Farkas (v. li.). Foto: Lisa Förster. #Literaturarchiv
256 Gigabite Verlagsgeschichte wechseln den*die Besitzer*in: Archivleiter Thomas Schütte, Monacensia-Leiterin Anke Buettner, Blumenbar-Verleger Wolf Farkas (v. li.). Foto: Lisa Förster. #Literaturarchiv

„Ein Glücksfall für die Monacensia“: Archivleiter Thomas Schütte über die Bedeutung und weitere Bearbeitung des Blumenbar-Archivs

Das Literaturarchiv der Monacensia stellt sich die Aufgabe, den literarischen Kosmos in München in einer Zeitschicht zu fassen und exemplarisch in Schlüsselbeständen abzubilden.

Die frühen 2000er Jahre waren Jahre des digitalen Aufbruchs, in denen in der Literaturbranche viele junge Aktive versuchten, neue Formen der Erarbeitung, der Kommunikation und der Vermittlung von Texten in einem rasant wachsenden Möglichkeitsraum auszuloten. Außerordentlich gut lässt sich dies z. B. im Nachlass des Schriftstellers und Netzwerkers Heiner Link fassen[2] – und eben im Blumenbar-Verlagsarchiv. Die Übernahme ist insofern als Glücksfall für die Monacensia zu werten.

Der erste Schritt im Archiv ist nun die Sicherung der digitalen Verlagsdaten von Festplatten und Disketten. Das ist Grundlagenarbeit, denn wir müssen aus alten Datenbankumgebungen und Programmen die archivisch relevanten Daten herausziehen und in auslesbare Formen überführen. Mehrere zehntausend E-Mails sind Teil des Bestandes. Diese müssen bewertet, d. h. nach ihrer Aussagekraft gefiltert und gespeichert, werden. Wenn der Bestand dann für die Verzeichnung an der Reihe ist, werden analoge und digitale Unterlagen aufbereitet und in der Online-Archivdatenbank beschrieben, Sperrfristen gemäß dem Bayerischen Archivgesetz festgelegt – und schon stehen die ersten Akten der Forschung zur Verfügung.


[1] Siehe gleich hier unten.
[2] Den Nachlass Heiner Link (1960–2002) hat das Literaturarchiv gerade übernommen.


Interview mit den beiden Blumenbar-Gründern im Jahre 2002 in der Zeitschrift PRINZ München

Vorankündigung: YouTube-Film mit den Blumenbar-Verlegern

Ein YouTube-Film mit den Blumenbar-Gründern ist in Bearbeitung und erscheint in Kürze. Darin reflektieren sie ihre Zeit als Verleger anhand des Koffers und seines Inhaltes – ein absoluter Sehtipp. Wir informieren hier, sobald der Film veröffentlicht ist – es lohnt sich darauf zu warten, so viel verraten wir schon einmal vorab!


Monacensia im Hildebrandhaus
Maria-Theresia-Str. 23
81675 München

Öffnungszeiten: Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30, Do 12.00 – 22.00 | Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00 | Eintritt frei

Besucht auch gerne die Cafébar Mona.

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