Der Bibliothekartag ist eines der wichtigsten Branchentreffen im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr fand er Mitte Juni in Berlin statt – und die Münchner Stadtbibliothek war mit einer bunt gemischten Gruppe angereist. Damit auch alle anderen ein bisschen Berliner Bibliothekartagsluft schnuppern können und wenigstens einen kleinen Eindruck bekommen, was wir da machen und warum wir das machen, haben wir uns im Nachgang fünf Fragen gestellt. Hier sind unsere Antworten:
Peter Becker, Geschäftsleitung
Der besondere Moment
Wenn eine Kollegin in hochhackigen Schuhen die Grasabkürzung nimmt und nachts um 2 Uhr für die ganze Truppe ein Großraum-Taxi klarmacht! Das können nur wenige!
Der beste Ort des Bibliothekartags
Inmitten der ganzen Aussteller. Immer wieder spannend, wer noch am Markt ist, wer neu dazu gekommen ist und wer schon nicht mehr da ist…
Die interessantesten Vorträge
Ein Flaschbier-Gespräch mit der Bibliotheksleiterin Gelsenkirchen (Schalke 😂). Die haben Probleme, die wir gerne hätten!
Was ich gelernt habe auf dem Bibliothekartag
Es gibt immer eine Lösung! Meistens sogar mehrere.
Meine großen Themen – und was auf dem Bibliothekartag darüber zu erfahren war
Wie und mit welchen Partnern gehen wir in die Zukunft? Erste Sortierungen haben stattgefunden.
Tanja Erdmenger, Lektorat Digitale Inhalte
Der besondere Moment
Wenn man nachts um drei eine Ausstellung zeitgenössischer asiatischer und russischer Künstler im eigenen Hotel besucht und sich der Nachtportier darüber auch freut.
Der beste Ort des Bibliothekartags …
… waren die HandsOnLabs und Community Spaces: Einfach toll zu sehen, wie das viele im Hintergrund und bei den Verbänden insistieren mittlerweile greift und der Bibliothekartag immer mehr interaktive und workshoppende Formate zulässt – die Ausstattung – digital und analog – war großartig! Mehr davon!
Die interessantesten Vorträge
- Die Podiumsdiskussion über den Umgang mit rechten Verlagen, der mich sowohl als aktives Mitglied und Institutslektorin der Lektoratskooperation als auch in meiner Rolle als Fachreferentin – und hier besonders beim Bestandaufsbau von Zeitungen und Zeitschriften – sehr beschäftigt. Einen zusammenfassenden Artikel von Bernhard Schleh vom BuB findet sich hier.
- ein Workshop, den ich selbst moderieren durfte zum Thema „Neue Perspektiven im Personalmarketing. Wie Bibliotheken ihre Mitarbeitenden finden“ – wie zunehmend schwierig die Situation ist, war mir nicht bewusst. Das Thema werden wir in der Kommission für Fortbildung im Berufsverband BIB weiter auf dem Schirm haben.Eine Sammlung der im Workshop erarbeiteten, tollen Ideen findet ihr hier.
Was ich gelernt habe auf dem Bibliothekartag
Dass man zwar überhaupt nicht mitkriegt, in welcher Stadt man gerade ist – bei Berlin sehr schade – aber wie wahnsinnig cool es ist, wenn Hotel und Kongress im gleichen Haus sind: austauschen und netzwerken vom Frühstück weg bis nachts um eins auf den gemütlichen Ledercouchen der Lounge.
Meine großen Themen – und was auf dem Bibliothekartag darüber zu erfahren war
Wie immer: DAS Digitale – durchwegs bei öffentlichen Bibliotheken zu hören, zu sehen und zu spüren der Wunsch: sich besser vernetzen – voneinander lernen – die eigenen Leute mitnehmen – die richtige Verortung in der eigenen Institution – dazu fast überall immer noch mehr Frage- als Ausrufezeichen…
Andrea Born, Redaktion
Der besondere Moment
Als ich an der Spree unterwegs war, die Sonne malerisch unterging und am anderen Ufer eine rieisge gelbe Quietscheente auftauchte – ein besonders surrealer Moment
Der beste Ort des Bibliothekartags
Das Foyer des Hotels: bequeme Sofas und wenigstens eine Steckdose zum Aufladen des chronisch leeren Tablet-Akkus …
Die interessantesten Vorträge
Zum einen der Vortrag zur demenzfreundlichen Bibliothek in der Wiener Neustadt, die dort im Entstehen ist. Mir war vorher nicht bewusst, wieviel Orientierungshilfe alleine durch die Raumgestaltung gegeben werden kann. Und viele der Maßnahmen wie schattenarme Beleuchtung, die Verwendung starker Kontraste in verschieden Bereichen des Raums, Handläufe, klare Beschriftungen in Kombination mit Bildern sind ja für alle Bibliotheksbesucher nützlich und angenehm (Stichwort: Barrierefreiheit).
Zum anderen der Vortrag ‚Herausforderungen aus der Stadtgesellschaft‘ (Thema: agiles Arbeiten). Mit einem sehr launigen Vortrag von Prof. Dr. Stefanie Bremer vom Stadtplanungsbüro orange edge über den Wandel von Plätzen im öffentlichen Raum und den damit verbundenen Herausforderungen der Gestaltung für Stadtplaner: öffentlicher Raum findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt – von politischer Öffentlichkeit über diskursive Öffentlichkeit bis hin zur digitalen Öffentlichkeit werden Plätze benötigt, auf denen der öffentliche Raum in all seiner Diversität und Vielfalt stattfinden kann. Der Appell von Frau Bremer an die Bibliotheken: Stimme erheben und zeigen: „Hier ist der Raum und Platz dafür!“
Was ich gelernt habe
„Digital ist yesterdays story, data is tomorrows story!“ (Nick Pool von CILIP, London). Egal, wie man es dreht und wendet: Das Thema ‚digital‘ in allen Facetten ist mitten in der Gesellschaft angekommen und geht nicht mehr weg. Und wer vorne mitmischen will, setzt auf (Big) Data. Sprengstoff für die Bibliothekswelt?!
Und: Wir brauchen unbedingt einen Hund zur Leseförderung! Na ja, vielleicht eher ein Wunsch als ein Lernergebnis …
Erika Seitz, Bauen & Planen
Mein besonderer Moment war im Festsaal Kreuzberg: So viele fröhliche, sich schnell bewegende und ausdauernde Tänzerinnen und Tänzer zu treffen, deren Berufsbild fast ausschließlich bibliothekarisch geprägt sein dürfte… Graue Mäuse sind eindeutig out, hier sind alle im Jetzt angekommen!
Der beste Ort war die Lobby: Hier waren Begegnung und Gespräch, Treff und Austausch, Hallo und Tschüss!
Gelernt habe ich viel über digitale Welten, die Zukunft und neue Technologien, eine sich enorm rasch verändernde Landschaft in unserer kleinen heilen Bibliothekswelt und über die Chance, viele Türen für die Zukunft aufmachen zu können. Ich habe Möglichkeiten für Räume erkannt, die nicht mehr alleine in deren physischer Ausstattung, sondern im Zusammenspiel aus digitalen Möglichkeiten, technischen Spielereien und der Belebung durch wissende Akteure neue Möglichkeiten eröffnen. Ein bunter Strauß aus der gesamten Bandbreite Bibliotheken war da zu sehen und zu erleben.
Gelernt habe ich sehr viel über die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen aus unserem Haus – gute Gespräche haben weit länger gedauert als ein Themenvortrag und viel mehr transportiert.
Katrin Schuster, Digitale Kommunikation
Der besondere Moment
Gerade angekommen am Hotel fiel mir das lautstarke Vogelgezwitscher auf: Spatzen! Und zwar jede Menge davon. Die kleinen Vögel schienen einen großen Spaß daran zu haben, dass ihr Piepen und Trällern vom gläsernen Vordach wiederhallte und anschwoll zum fröhlichen Lärm einer echten Meute. Warum die vielen Spatzen das Estrel bevölkern, ist schnell erklärt: Um zu verhindern, dass sich Tauben ansiedeln, sind die Balken des Vordachs durchgehend mit diesen furchtbaren Metallspießen ausgestattet – schlecht für Tauben, aber perfekt für Spatzen, denn zwischen und mit den Spießen lassen sich offenbar bestens Nester bauen. So etwas mag ich – diese Form von kreativer Problemlösung ist mir überaus sympathisch.
Der beste Ort des Bibliothekartags
Ein heimeliger Strandkorb im sog. Sommergarten des Hotels während der Eröffnungsfeier: fast alles im Blick, aber selbst notfalls gut verborgen.
Der/Die interessanteste/n Vortrag/Vorträge
– gleich der erste, den ich auf diesem Bibliothekartag gehört habe: Achim Bonte schilderte die Situation der öffentlichen Bibliotheken ‚in der Fläche‘, also der kleinen und kleineren Gemeindebibliotheken, die oft ehrenamtlich betrieben werden und längst nicht die Services anbieten können, mit denen Großstadtbibliotheken gerade groß angelegte Öffentlichkeitsarbeit betreiben (Aufenthaltsqualität, digitale Services, eindrucksvolle Architektur u.a.). Bonte warnte davor, diese Bibliotheken im aktuellen Aufwind zu vergessen, und mahnte Kooperationen an.
– der letzte, den ich mir angehört habe: Zwei nervöse, aber dennoch beeindruckend souveräne Studentinnen stellten mehrere in einem Seminar erstellte Kampagnen vor, die wunderbar frech und ironisch waren. Eines ihrer (unfreiwilligen) Models war Wladimir Putin, und tatsächlich stellte jemand im Anschluss die Frage, ob man das denn machen könne. Ich finde ja: Im Studium muss man alles dürfen – der Ernst des bibliothekarischen Lebens kommt noch früh genug.
– zwei Vorträge, die mehr oder weniger vom Scheitern handelten: einer über ein Beacon-Projekt an der KIT-Bibliothek in Karlsruhe, das demnächst eingestellt wird, weil die Studierenden geringes bis gar kein Interesse dafür zeigten. (Hm, vielleicht hätte man sie einfach vorher fragen oder sogar an der Entwicklung beteiligen sollen?) Der andere Vortrag handelte von einem Bett im Medien- und Informationszentrum der Zürcher Hochschule der Künste, das eigentlich das offenbar dringende und dauernde Schlafbedürfnis der Studierenden befriedigen sollte, aber – genau wie die Beacon-App – nicht benutzt wurde. Lieber kauerte man sich auf Sessel oder streckte sich auf dem Boden aus – was mich sofort an die Spatzen vor dem Hotel erinnert …
Was ich gelernt habe auf dem Bibliothekartag
– dass die Abkürzung „PDA“ unter Bibliothekarinnen nicht für Schaudern und Schrecken sorgt (genauso wenig wie „Autopsie“), sondern für Interesse und Neugier. Weil damit eben nicht die (in meiner Vorstellung: ziemlich grauenhafte) Periduralanästhesie gemeint ist, sondern ein partizipatives Erwerbungsmodell namens „Patron-Driven-Acquisition“ (Wikipedia).
– dass Polaroids angesagter zu sein scheinen denn je, weil sie sich gut für partizipative Projekte aller Art eignen. So viel zum Thema Disruption …
Meine großen Themen – und was auf dem Bibliothekartag darüber zu erfahren war
Partizipation: wird von vielen immer noch als leidiges Must-Have begriffen und oft dementsprechend ‚bürokratisch‘ und nicht im Sinne der Zielgruppe konzeptioniert und kommuniziert, so dass ich es gut verstehen kann, wenn manche Nutzerinnen und Nutzer darauf irgendwie keine Lust haben. Viel zu selten bis gar nicht kommen all die Vorteile zur Sprache, die Partizipation für Bibliotheken haben kann: Feedback, Inspiration, Identifikation, Kreativität etcpp. Notiz an mich selbst: Darüber muss ich unbedingt einen Blogartikel schreiben!
Petra Meier-Ehlers, Referentin Internationaler Bestand
Der besondere Moment …
… war für mich Dienstagabend, als ich nach einem langen Tag noch ein wenig die Spree entlang schlendern wollte. Beim Bode-Museum blieben Blick und Ohr an einem Tanzboden hängen. Ich bekam gesagt, dass hier jeder tanzen könnte, der dazu Lust hat. Ich blieb, beobachtete, trank ein Glas und bemerkte, dass Alt mit Jung, Mann mit Mann, Frau mit Frau und so weiter das Tanzbein gemeinsam schwangen. Wildfremde Menschen forderten einander zum Tanzen auf, hatten Freude an der Musik und Bewegung und gingen danach wieder ihrer Wege, suchten sich neue Tanzpartnerinnen und -partner. Ganz plötzlich dachte ich bei mir, wie wunderbar es wäre, wenn unser „Miteinander leben“ mit dieser Leichtigkeit funktionieren könnte wie hier das „Miteinander tanzen“.
Der beste Ort des Bibliothekartags …
… war das Foyer. Hier traf man sich, tauschte sich ganz ungezwungen aus, traf frühere berufliche WeggefährtInnen zufällig wieder oder konnte einfach unsere Berufsspezies aus nächster Nähe beim Fachsimpeln beobachten. „Lobbying“at its best eben.
Die interessantesten Vorträge
Leider waren meine beiden Tage eng getaktet durch Verabredungen mit Firmen und die Gremienmitarbeit. Deshalb blieb nicht viel Zeit, um die volle Bandbreite des Vortragsangebots zum Vergleich heranziehen zu können.
Was ich gelernt habe auf dem Bibliothekartag
Trage bequemes Schuhwerk und zieh dich warm an! Nein, im Ernst, das Thema Dritter Ort scheint wieder brennend aktuell zu sein, doch eigentlich ist es das ja schon sehr lange. Lesson learned: Manchmal braucht unsere Zunft einfach sehr lange, um Veränderungen annehmen zu können.
Meine großen Themen – und was auf dem Bibliothekartag darüber zu erfahren war
Wie kann sich das Image der Öffentlichen Bibliotheken nachhaltig ändern? Wie können wir zu einer attraktiven Arbeitgeberin werden, so dass sich junge Menschen – auch und gerade mit Migrationshintergrund – dazu entschließen, eine Ausbildung bei uns zu absolvieren? Oder und alternativ: Wie kann man andere Berufsgruppen in unsere Berufssphären einbringen? Denn auch unser Personal sollte ein Spiegel der Gesellschaft sein. Ein große Herausforderung! Dazu gab es ein Hands-on-Lab mit genau diesem Thema, ausgerichtet von der dbv Managementkommission und der dbv-Kommission Interkulturelle Bibliotheksarbeit.
Besonders gut fand ich daran, dass für die Session auch berufsfremde Keynote-Speaker eingeladen waren und von ihren Erfahrungen berichteten. Ermutigend!
Roland Poellinger, eServices
Im Januar bin ich zum Team der Stadtbibliothek gestoßen. Für mich war die Messe in der Hauptstadt dieses Jahr also der erste Bibliothekartag und damit alleine schon ein besonderer Moment. Aber was auf jeden Fall farbenreich in Erinnerung bleiben wird: Der Spreekreuzfahrt-Sundowner beim aStec-Anwendertreffen und das Gedankensortieren mit den Kollegen beim Lahmacun am Ende der Sonnenallee.
Der beste Ort? Unter Kollegen! Sei es beim Erkunden der Messe oder später am Abend beim Erkunden der bemerkenswerten Kunstsammlung im Tagungshotel.
Was mich gerade sehr beschäftigt sind digitale Themen: Vom Bibliotheksmanagement über Datenbanken und Digitalisierungsgeräte bis hin zur digitalen Kommunikation und weiter zu Fragen der Medienlogistik. Spannend zu sehen, was der Stand der Technik ist, was als Innovation gepriesen wird, wo noch Ideen gesponnen werden müssen. Am spannendsten für mich aber, mit welcher Leidenschaft am Thema Bibliothek gearbeitet wird. Allein das war die Reise wert.
Fotos: (c)Tanja Erdmenger, Petra Meier-Ehlers
Bibliothekare und ihre Abkürzungen:
Mir kommt für PDA spontan noch „private digital archive“ in den Sinn 😉