„Alles Schönste von mir, möchte ich Ihnen geben“

Rose-Marie Bachofen und Waldemar Bonsels

Von Christina Lemmen/ Waldemar-Bonsels-Stiftung/ Monacensia im Hildebrandhaus

Bei der Digitalisierung des literarischen Nachlasses von Waldemar Bonsels für www.monacensia-digital.de rücken nicht nur dessen Manuskripte und Dokumente in den Fokus. Auch Fotos und Briefe seiner Familienmitglieder, Freunde, Liebschaften und geschäftlichen Kontakte bieten spannende Einblicke in das – nicht nur literarische – Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit Blick auf die unabhängigen modernen Frauen – Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Tänzerinnen – in Bonsels‘ Umfeld begibt sich Christina Lemmen auf biografische Spurensuche.

Die junge, lebensfrohe Tänzerin mit dem strahlenden Lächeln besucht in den Sommerferien – das Jahr ist vermutlich 1930, vielleicht auch bereits 1928 – Freunde in Ambach am Starnberger See. Um ihre neue Schallplatte abspielen zu können, klopft sie an die Tür eines der Nachbarhäuser, in dem der schon ältere, berühmte und äußerst charmante Schriftsteller wohnt, dessen Bücher sie bereits als Kind gelesen hat.

Bei beiden ist es Liebe auf den ersten Blick. So zumindest erzählt Rose-Marie Bonsels die Geschichte der ersten Begegnung 50 Jahre später. Genaues lässt sich nur schwer rekonstruieren. Fest steht, dass es sich bei der Ambacher Freundin um die Schriftstellerin Mathilde von Metzradt handelt, die sie in Dresden kennengelernt hat. Dort besucht Rose-Marie geb. Bachofen seit Herbst 1927 die Mary-Wigman-Schule für modernen Tanz. Bereits in ihrer Heimatstadt Basel hat sie ab dem 15. Lebensjahr Tanzunterricht erhalten. Nebenbei übernimmt sie kleine Rollen als Statistin am Theater. Im Herbst 1927 verlässt die 18-Jährige Basel, um sich in Dresden vier Jahre lang bei Mary Wigman ausbilden zu lassen.

Die Tänzerin Rose-Marie Bachofen (1909-1993) – „Alles Schönste von mir, möchte ich Ihnen geben“ (Foto: Münchner Stadtbibliothek/ Monacensia)

Erste Briefe und erste Reisen

Der erste Brief des sich über 20 Jahre erstreckenden Briefwechsels zwischen Waldemar Bonsels und Rose-Marie Bachofen stammt von Rose-Marie. Aus Dresden schreibt sie:

Die Stunden mit Ihnen waren ja der Höhepunkt von allem was bisher war. Alles Schönste von mir, möchte ich Ihnen geben.“

Dresden, 18. September 1930

Die erste Begegnung im Sommer in Ambach – die hier vermutlich gemeint ist – hat sie nachhaltig begeistert. Dort hat sie nicht nur Bonsels, sondern auch seine langjährige Lebenspartnerin Edith von Schrenck kennengelernt, die als erfolgreiche Tänzerin Vorbild für Rose-Marie ist.
Auch Waldemar Bonsels hat sich an der Gesellschaft der jungen Schweizerin erfreut. Diese ist nicht nur intelligent und schön, sondern auch fröhlich und lebenslustig – anders als seine zweite Frau Elise, die ihn mit Alltäglichkeiten und Unterhaltsmahnungen für seine drei Söhne belastet oder die oft von melancholischen Phasen geplagte Edith von Schrenck.
Rose-Marie gegenüber kann er mit Lebenserfahrung aufwarten, zeigt und erklärt ihr die Welt und ermutigt sie in ihrer Arbeit:

[…] du bist zart und hilflos gegenüber den Dingen der äußeren Welt, aber ich glaube, dass du Kraft hast, dem Leben deiner Seele Gestalt zu schaffen.

Ambach, 20. September 1930

Außerdem kündigt er in diesem Brief seinen Besuch in Dresden an:

Ich wünsche mir von Herzen, dich zu sehen.

Ihrer Mutter berichtet Rose-Marie vom bevorstehenden Besuch:

Ich lasse jetzt mal ein paar Tage die Schule – Bonsels kommt und möchte, dass ich ihn Dienstag nach der Tschecho-Slowakei begleite. Er geht auf eine Vortragstournee.

Dresden, 30. Oktober 1930

Tatsächlich begleitet sie ihn bei einer mehrtägigen Reise nach Prag. Dieser ersten werden noch viele gemeinsame Reisen folgen.

Rose-Marie Bachofen und Waldemar Bonsels, Meran, Neujahr 1931 (Foto: Münchner Stadtbibliothek/ Monacensia)

Weilt Waldemar in Berlin, fährt seine „liebe Rose“ ihn dort besuchen. Er hätte sie gern häufiger bei sich und so werden Berlin-Pläne für die Zeit nach Rose-Maries Abschluss geschmiedet. Im Juni 1931 erhält sie ihr Diplom.

Im August fährt sie in Bonsels‘ Haus nach Capri, um dort Tanzunterricht bei Edith von Schrenck zu nehmen. Vermutlich auf Anfrage von Bonsels, dem an einer fachlichen Einschätzung von Rose-Maries Talent gelegen ist, antwortet Edith von Schrenck:

„Sie ist unheimlich fleissig. Weiter kann ich noch immer nichts über sie sagen. Menschlich vertragen wir uns glänzend, ich bin gern mit ihr.“

Capri, 13. September 1931

Nach dem Capri-Aufenthalt mietet Rose-Marie in Basel ein kleines Atelier. Sie gibt Unterricht, choreographiert und perfektioniert ihre eigenen Tänze, um für das Vortanzen in Deutschland vorbereitet zu sein. Mit Hilfe der Schauspielerinnen Brigitte Horney und Ellen Frank bemüht sich Waldemar Bonsels um Kontakt zu Berliner Theatern. Doch erst im Sommer 1932 soll Rose-Marie zum Vortanzen in die Hauptstadt kommen.

Erste Engagements als Tänzerin

Nach vergeblichen Versuchen in Berlin erhält sie für die Saison 1932/33 ein Engagement in Darmstadt am Hessischen Landestheater als Tänzerin mit Möglichkeit zu Schauspiel und Operette.

Ausweis als Ensemblemitglied, Spielzeit 1932/33 (Foto: Münchner Stadtbibliothek/ Monacensia)

Waldemar Bonsels beglückwünscht sie, gibt ihr aber auch den Rat:

Das Allerwichtigste scheint mir, dass du mit aller Energie Zeit für dich selbst gewinnst.

Ambach, 19. September 1932

Glücklich scheint Rose-Marie mit dem Engagement nicht zu sein. Sie erhält weder die Gage in vereinbarter Höhe, noch die in Aussicht gestellten Rollen. Wahrscheinlich wirkt sich auch die Entlassung des Intendanten Gustav Hartung „aus politischen Gründen“ im März 1933 negativ auf die Stimmung am Theater aus.

Ab Sommer 1933 wagt Rose-Marie Bachofen einen erneuten Versuch in Berlin und nimmt dort Schauspielunterricht. Anfang 1934 wird sie Mitglied der Tanzgruppe der Schweizer Tänzerin Trudi Schoop. Deren Tourneen bringen Rose-Marie unter anderem nach Prag, Wien, Amsterdam, Berlin, München, Hamburg, Dresden und Leipzig.

Im Dezember 1934 besteigt sie schließlich in Genua die „Conte di Savoia“ und erreicht Ende des Monats New York. Rose-Marie ist auf Einladung ausgewanderter Verwandter in die USA gekommen. Auch Waldemar Bonsels ist längst dort und hat sich von New York nach Kalifornien aufgemacht.

Beide werden diese halbjährige Reise nach dem Zweiten Weltkrieg als „Auswanderungsversuch“ ausgeben und behaupten, sie seien nur wegen der konsumorientierten und oberflächlichen Art der Amerikaner nach Europa zurückgekehrt.

Nach dem Besuch zahlreicher Familienmitglieder trifft auch Rose-Marie in Los Angeles ein. In Hollywood hat Bonsels ein kleines Häuschen gemietet. Dort arbeitet er an einem Roman, der 1935 unter dem Titel „Der Reiter in der Wüste“ erscheint. Beide versuchen Kontakte in die Filmbranche zu knüpfen. Tatsächlich kommt ein Treffen mit Metro-Meyer-Goldwyn zustande und sie lernen Max Reinhardt und Wilhelm Dieterle kennen. Nach eigenen Angaben erhält Rose-Marie eine kleine Rolle als Elfe in Dieterles „A Midsummer Night’s Dream“ (1935). Ende Mai kehren sie über New York mit dem Schiff nach Europa zurück.

In den folgenden Jahren arbeitet Rose-Marie Bachofen in München und wird – auch um näher bei Bonsels zu sein, der nun hauptsächlich in Ambach wohnt – Mitglied der Tanzgruppe ihrer Freundin Senta Maria Schmid. Das Ensemble tourt für die nationalsozialistische „Kraft durch Freude“-Organisation durch Deutschland und die von ihm besetzten Gebiete. Auch nach dem Krieg treten die Frauen noch einige Jahre gemeinsam auf. Nach den Eichstätter Hofgartenspielen im Sommer 1948 scheint Rose-Marie keine weiteren Engagements angenommen zu haben. Stattdessen lebt sie in Ambach und kümmert sich um Waldemar Bonsels, der 1949 an Krebs erkrankt.

Späte Hochzeit und frühes Erbe

Eine Hochzeit hatte Waldemar Bonsels wohl bereits 1933 erwogen. Auf der Durchreise nach Capri wollte er Rose-Maries Mutter einen Besuch abstatten:

Ich […] muss aber nach Basel, deine Mutter besuchen, aus Gründen, die du dir denken kannst. (Schreibe aber dazu nichts an deine Mutter).

Ambach, 21. März 1933

Ob Ida Louise Bachofen dieses Anliegen ablehnt, weil sie – auch vor dem Hintergrund von Bonsels‘ Ruf als Frauenheld –  verhindern wollte, dass ihre Tochter sich zu jung an einen immerhin 29 Jahre älteren Mann bindet und ihre Karriere aufgibt, ist nicht bekannt. Vielleicht wollte auch Rose-Marie selbst nicht heiraten. In jedem Fall kam eine Hochzeit nicht zustande. Im Februar 1950 heiraten die beiden schließlich doch noch in Basel.

Der Ton der Briefe ist über die Jahrzehnte liebevoll geblieben. Nach über 20 Jahren schreibt Rose-Marie im Oktober 1951 an ihren Mann: „Ich umarme Dich in Liebe und küsse dich.“ Sie hat ihre Karriere für ihn geopfert und sich besonders seit seiner Erkrankung fürsorglich um ihn gekümmert. Er weiß das zu schätzen:

Wandle in der Sonne und erhole dich gut. Ich gedenke aller deiner Sorgen und Liebestaten der zurückliegenden Zeit.

Ambach, 10. Oktober 1951

Etwas mehr als ein halbes Jahr bleibt den beiden zu diesem Zeitpunkt noch. Im Juli 1952 stirbt Waldemar Bonsels. Rose-Marie Bonsels ist die alleinige Erbin und sieht sich nun mit der Aufgabe konfrontiert, das Lebenswerk ihres Mannes zu verwalten.

An die Journalistin Gisela Zuckmayer schreibt sie im Dezember 1953:

In Ambach hat sich nichts verändert. Ich versuche, alles so zu lassen, wie es immer war […] An den langen Abenden, die nun in Ambach auf mich warten, werde ich Vieles ordnen und suchen.

Rose-Marie Bonsels überlebt ihren Mann um vier Jahrzehnte. Regelmäßig geht sie mit seinen Werken auf Lesereisen und kann so – wie sie sagt – ihre künstlerische Ader doch noch ausleben. Vor allem das Interesse an „Die Biene Maja“ kann sie immer wieder neu entfachen und aufrechterhalten. Sie versucht auch, das offene Haus in Ambach, das sie und Waldemar über Jahrzehnte pflegten, weiter zu führen.

Rose-Marie Bonsels am Klavier, Ambach 1962 (Foto: Münchner Stadtbibliothek/ Monacensia)

Außerdem richtet sie im Haus ein Archiv ein und gründet 1977 eine Stiftung mit dem Namen ihres Mannes. Die von ihr ins Leben gerufene Reihe „Ambacher Schriften“ regt zur Beschäftigung mit Leben und Werk Waldemar Bonsels‘ an.

Von einer objektiven Auseinandersetzung ist diese Arbeit jedoch meist weit entfernt. Erst mit ihrem Tod und der (von ihr vorbereiteten) Übergabe des Nachlasses an das Monacensia Literaturarchiv der Münchner Stadtbibliothek sowie das Münchner Stadtmuseum wird eine fundierte und kritische wissenschaftliche Forschung möglich.

In den Archiven befindet sich heute auch der Nachlass von Rose-Marie Bonsels selbst: Briefwechsel mit Freunden und Bekannten sowie zahlreiche Dokumente und Fotos geben nicht nur weiteren Einblick in Waldemar Bonsels‘ Leben, sondern zeichnen auch das von Rose-Marie Bonsels und ihrer Laufbahn als Tänzerin nach.

Christina Lemmen ist bei der Waldemar-Bonsels-Stiftung zuständig für die Digitalisierung des literarischen Nachlasses von Waldemar Bonsels, die von 2019 bis 2021 in einem Kooperationsprojekt mit der Monacensia im Hildebrandhaus erfolgt.


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