Afrika ist kein Land

Ein Gespräch über die Afrikanischen Filmtage mit Ines Rehm und Leni Senger

Die Afrikanischen Filmtage fanden 2011 zum ersten Mal statt – warum haben Sie diese Kinoreihe ins Leben gerufen?
Ines Rehm: Die Afrikanischen Filmtage wurden von Anna Lehner und Ira Diagne ins Leben gerufen und in Kooperation mit der Münchner Stadtbibliothek veranstaltet. Ihr Ziel war es, afrikanisches Kino nach München zu bringen und somit vielfältigsten „Afrikanischen Realitäten“ eine Plattform zu bieten, die es in der bayerischen Metropole bis dato nicht gegeben hat. Leni Senger und ich sind im Jahr 2012 dazugestoßen.

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Afrikanische Filmtage 2012: der Regisseur Sylvestre Amoussou

Wie sind die Reaktionen des Publikums?
Leni Senger: Die Reaktionen des Publikums sind in allen Jahren sehr abhängig von den jeweiligen gesehenen Filmen. Meist wählen wir pro Filmfestival einen eher mutigen, experimentellen oder zumindest narrativ nicht stringenten und inhaltlich kritischen Film aus. Während 2013 bei der Vorführung des kamerunischen SciFi-Klassikers „Les Saignantes“ einige Zuschauer den Vortragssaal noch verständnislos verließen, war ich selbst positiv überrascht, wie anregend die Diskussion nach der Mockumentary „Black President“ verlief. Uns ist es wichtig, aktuelle Filme und Klassiker zu zeigen, die es in der deutschen Kino- und Festivallandschaft eher schwer haben.

Wen betrachten Sie als Zielgruppe der Afrikanischen Filmtage?
IR: Zu den Zuschauerinnen und Zuschauern zählen erfahrungsgemäß sowohl Afrika-Interessierte und -Expertinnen als auch Menschen, die bisher kaum mit diesem Kontinent in Berührung gekommen sind. Zudem hat sich die Zielgruppe der Afrikanerinnen und Afrikaner, die in München leben, in den vergangenen zwei Jahren auffällig vergrößert.
LS: Das stimmt. 2012 zählten zu unseren Besuchern insbesondere Menschen, die selbst Erfahrungen in und mit dem afrikanischen Kontinent gemacht haben und eine besondere Beziehung zu ihm hatten. Durch entsprechende Pressearbeit, z.B. Werbung bei afrikanischen Vereinen und Konsulaten in München, kamen zunehmend mehr Menschen mit afrikanischer Herkunft zu den Filmtagen. Auch ein grundsätzlich cineastisch interessiertes Publikum können wir immer mehr für unser Festival begeistern.

Afrika ist ein Kontinent mit über 50 sehr unterschiedlichen Staaten – wie bekommen Sie dieses Filmschaffen unter einen Hut?
IR: Ganz nach dem Motto „Africa is not a country“ legen wir großen Wert darauf, Filme aus möglichst vielen verschiedenen Ländern zu zeigen. Von A bis Z hat sich da in den letzten Jahren einiges angesammelt. Im Programm hatten wir bereits Filme aus Ägypten, Äthiopien, Algerien, Angola, Benin, Burkina Faso, Kenia, Lesotho, Madagaskar, Mauretanien, Mosambik, Nigeria, Senegal, Simbabwe, Südafrika, Tschad, Tunesien, Kamerun und Zanzibar. Wir suchen überwiegend nach zeitgenössischen Werken afrikanischer Filmemacherinnen und Filmemacher, wollen jedoch auch immer gerne einen Klassiker zeigen. Was das Genre betrifft, so sind wir ebenfalls vielseitig aufgestellt. Wir durchforsten das Internet nach Dokumentationen, Komödien, Literaturverfilmungen, Animations-, Episoden-, Liebes- und Musikfilmen, Thrillern und vielem mehr.
LS: Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, afrikanische Produktionen zu zeigen. Dass man mit diesem Anspruch schnell an die Grenzen des Möglichen stößt, wurde uns schnell klar. Die meisten afrikanischen Werke werden zumindest von europäischen Filmfirmen koproduziert. Insofern beschränken wir uns bislang auf Filme von Regisseurinnen und Regisseuren afrikanischer Herkunft. Tatsächlich ist es auch so, dass der Markt nicht gerade überschwemmt wird mit afrikanischen Kinofilmen. Wichtigster Bezugspunkt und Orientierungshilfe bleibt deswegen bei der Filmauswahl für uns das biennal stattfindende Filmfestival FESPACO in Burkina Faso. Anders verhält es sich mit arabischen Filmen aus dem Maghreb und Ägypten. Insbesondere Ägypten hat eine lange und wichtige Film- und Kino-Tradition, oft ist hier die Auswahl wirklich nicht leicht …

Können Sie vielleicht einige markante nationale Unterschiede im afrikanischen Filmschaffen skizzieren? Gibt es Länder, deren Filmschaffen Sie besonders interessiert oder fasziniert – welche und warum?
LS: Neben den bereits skizzierten Unterschieden zwischen arabischen und subsaharianischen Filmen lassen sich die Unterschiede zwischen den Filmen der subsaharianischen Staaten ebenfalls entlang der grundsätzlichen Geschichte und Tradition des Films in den entsprechenden Ländern ausmachen. Beispielsweise spielt Film im Senegal, dem Geburtsland des Urvaters des Afrikanischen Kinos Ousmane Sembene, eine zentrale Rolle. Ousmane Sembene ist zeitgleich aber auch Vorbild des afrikanischen Films allgemein. Wichtig bei der Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Film ist immer im Hinterkopf zu haben, dass sich der Film als Reaktion der Präsentation Afrikas im europäischen (ethnologischen) Film entwickelt hat und oft den Anspruch hat, nachträglich eine eigene Geschichte und ein eigenes Bild Afrikas zu konstruieren. Dafür greift er auf Erzählweisen zurück, die auf orale Erzähltraditionen zurückzuführen sind und darum sowohl narrativ als auch inhaltlich mit dem europäischen Film oft nicht vergleichbar sind.

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Szene aus „The Revolution won’t be televised“

Welche Rolle kann das Kino im postkolonialen Diskurs spielen? Die Bilder, die man sich von Menschen macht, gehören ja zu den wirkungsmächtigsten Medien …
LS: Für den postkolonialen Diskurs ist der afrikanische Film insofern wichtig, als es auch hier um Formen der (Re-)Präsentation eines
„eigenen“ Afrikas geht, die nicht mit europäischen Präsentationen der Exotik und Fremdartigkeit des Kontinents gleichzusetzen sind. Insofern geht es immer um einen Akt der Reaktion, der der Konstituierung einer eigenen Identität und damit der Verortung in einer zunehmend globalen Welt dient. Anders als in der Literatur und der Musik steht hier also tatsächlich die nur vermeintlich oberflächliche optische Komponente im Vordergrund, die, ähnlich wie die Dokumentarfotografie und Fotografiekunst, zur Schaffung der postkolonialen Identität Afrikas beiträgt.

Was erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer bei den Afrikanischen Filmtagen 2016?
IR: Die diesjährigen Filmtage werden vom 27. bis 29.10.2016 erneut in Kooperation mit der Münchner Stadtbibliothek sowie mit finanzieller Förderung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München stattfinden. Wir eröffnen mit „SEMBENE!“, einer wunderbaren Dokumentation über den „Vater des afrikanischen Kinos“.
LS: Anlässlich der aktuellen Flüchtlingsthematik hatten wir zudem das Bedürfnis, den diesjährigen Fokus auf politisch aktuelle Themen zu legen …
IR: Ja. So haben wir zum Beispiel „The Revolution Won’t be Televised“ – ein Porträt der jungen, im Senegal geborenen Protestbewegung „Y’en a marre“ („Wir haben die Schnauze voll“) – ausgewählt. Mir persönlich liegt auch viel daran, dem Publikum „Les Sauteurs/Those who Jump“ zu präsentieren. Gezeigt werden die Realitäten junger afrikanischer Männer, die sich in einem informellen Camp in Marokko aufhalten. Immer wieder versuchen sie, die direkte Landgrenze zwischen Nordafrika und Spanien zu überqueren. Das Besondere ist, dass der Großteil der Filmaufnahmen von Abou Bakar Sidibé – einem der malischen Bewohner dieses Camps – stammt.

Alle Fotos: Pascal Ciampi/Afrikanische Filmtage 

Afrikanische Filmtage 2016: Das gesamte Programm

Homepage Afrikanische Filmtage München

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