#faq, Folge 66

Grafik, auf der steht: "Warum will denn die Bibliothek divers sein?"

Das Thema Diversity ist in letzter Zeit in aller Munde. Nicht nur Unternehmen und Kultureinrichtungen wollen divers sein, sondern auch in TV-Formaten wie Heidi Klums „Germanys Next Topmodel“ wird die Diversität der Kandidat*innen bei jeder Gelegenheit hervorgehoben – und gleichzeitig eine starre Norm festgesetzt, der sie entsprechen müssen. Diversität hat es in die Alltagssprache geschafft, bunt ist scheinbar cool. Aber was genau verbirgt sich hinter Diversität? Kann man sie einfach so ausrufen? Und wofür braucht es dann noch Diversitätsentwicklung?

Zwei junge Frauen im Gespräch.

Das Konzept der Diversity entstand mit dem Aufkommen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die sich gegen Segregation und Rassismus aussprach. Bedeutende Vertreter*innen waren Dr. Martin Luther King und Rosa Parks, die sich weigerte, ihren Platz im Bus für eine weiße Person freizumachen und dadurch im Jahr 1955 den Busboykott von Montgomery auslöste. Durch das Engagement der Bürgerrechtsbewegung entstand in der amerikanischen Bevölkerung ein Bewusstsein für Diskriminierung und Rassismus. In der Folge wurde 1964 der Civil Rights Act verabschiedet, der Diskriminierung und Rassismus in öffentlichen und mit staatlichen Mitteln finanzierten Institutionen verbot.

Ende der 80er Jahren fand das Konzept des Diversity Managements Eingang in wirtschaftliche Überlegungen, als Unternehmen erkannten, dass Sie ohne die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Diversität und einer diversitätsorientierten Einstellungspraxis sowie Produktentwicklung nicht konkurrenzfähig bleiben können.

In den 80ern fand das Konzept schließlich auch nach Deutschland. Allerdings lag der Fokus bei Diversität zu Beginn auf der Gleichstellung von Frauen mit Männern. Erst seit 2006 gibt es in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz (AGG). Es verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts / Geschlechtsidentität, der sexuellen Orientierung, des Alters, der Herkunft, aufgrund rassistischer Zuschreibungen, einer Behinderung oder der Zugehörigkeit zu einer Weltanschauung oder Religion.

Eine ältere Frau im Rollstuhl bedient ein Tablet. Im Hintergrund stehen Bücherregale.Um die Vorgaben des AGG umzusetzen, müssen auch Kulturbetriebe ihre Angebote überprüfen. Öffentliche Mittel sollen nicht nur der Mehrheitsgesellschaft zugutekommen, sondern Menschen aller Identitäten miteinschließen und ihnen Anknüpfungspunkte bieten. Theater, Museen, Orchester, Bibliotheken – wir alle wollen ein breiteres Publikum ansprechen. Je bunter die Stadtgesellschaft wird, desto wichtiger ist es, dass sich auch die Kulturinstitutionen weiterentwickeln. Diversitätsentwicklung braucht es einerseits, um die Einrichtungen in der sich wandelnden Stadtgesellschaft auf lange Sicht am Leben zu erhalten. Denn nur, wenn sich diese zusammen mit der Gesellschaft entwickeln und die sich wandelnden Interessen und Bedürfnissen der Menschen aufgreifen, sind sie am Puls der Stadtgesellschaft. Auf der anderen Seite können die Einrichtungen dadurch, dass sie sich mit Diversitätsentwicklung befassen Diskussionen starten, Bewusstsein bilden und die Gesellschaft mitgestalten. Dies gilt insbesondere für eine Einrichtung wie die Münchner Stadtbibliothek, die einen Bildungsauftrag hat und für sich den Anspruch erhebt, sich an alle Bürger*innen Münchens zu richten. Wir wollen ein Ort für alle sein!

Eine Gruppe von Kindern sitzt in einer Bibliothek auf dem Boden und liest aus Büchern.Dafür nehmen wir vor allem die eigene Einrichtung in den Blick und analysieren, ob unsere Inhalte diskriminierungskritisch sind und sich die verschiedenen Zielgruppen mit ihnen identifizieren können. Ob sie sich durch unsere Öffentlichkeitsarbeit angesprochen fühlen und wo es Barrieren gibt, die es abzubauen gilt. Barrieren und Ausschlüsse fußen unter anderem auch auf auf Wissenslücken und Vorurteilen. Daher ist Diversitätsentwicklung immer eng mit rassismus- und diskriminierungskritischen Ansätzen verknüpft.

Logo 360 Grad von der Kulturstiftung des Bundes2019 haben wir uns um eine Förderung im Rahmen des 360° Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft beworben, den die Kulturstiftung des Bundes aufgelegt hat, um die Vielfalt in Kultureinrichtungen zu fördern. Zusammen mit 38 anderen Kultureinrichtungen widmen wir uns für sechs Jahre intensiv der Diversitätsentwicklung im jeweils eigenen Haus. Bis Mitte 2025 wird das Projekt 360° bei uns laufen. Der Schwerpunkt von 360° ist die (post)migrantische Gesellschaft. Denn obwohl der Anteil an Menschen mit Migrationsbiografie in Deutschland über die Jahre immer weiter gestiegen ist, richten sich viele Einrichtungen immer noch vor allem an weiße Menschen ohne migrantische Wurzeln. Auch wir wollen hier nachbessern.

Die Münchner Stadtbibliothek möchte aber nicht nur in Hinblick auf Migration diverser werden, sondern generell Barrieren abbauen und weitere Zugänge ermöglichen. Daher werden wir uns auch mit den anderen, bisher zu wenig berücksichtigten Gruppen befassen. Denn wir haben eine Vision. Wir wollen, dass alle Menschen in München sagen können: Die Münchner Stadtbibliothek – Das ist mein Ort.

Beantwortet von der 360°-Agentin für kulturelle Vielfalt und Diversitätsentwicklung

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