Von der Volksbücherei zur Stadtbibliothek
Die Stadtbibliothek Ramersdorf wird 90 Jahre alt und feiert mit einem Festprogramm ab dem 1. Oktober 2024 ihren Geburtstag. 1934 wurde sie nach jahrelanger Planung eröffnet und galt damals als wichtiger Baustein der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Anlässlich des 90. Jahrestags wollen wir einen Blick in ihre Geschichte werfen und gleichzeitig die heutige Stadtbibliothek Ramersdorf in der Führichstraße 43 als das hochleben lassen, was sie ist: Ein offener Ort für die Menschen im Quartier, an dem Information, Wissen und Spaß frei und für alle zugänglich sind.
Planung seit 1928
Schon seit 1871 hat München eine Stadtbibliothek. Seit 1921 hat sie einen Direktor, der dafür sorgen wollte, dass möglichst viele Münchner*innen die Möglichkeit haben, Medien kennenzulernen: Hans Ludwig Held. Er plante und eröffnete Kinderlesehallen, Zeitungslesehallen für Erwachsene, eine Straßenbahnbücherei (Vorläuferin der Bücherbusse). Zudem plante er zunächst fünf Volksbüchereien: Schwabing, Sendling und in der Borstei konnten noch mit ihm eröffnet werden, aber die Weltwirtschaftskrise von 1929 stoppte den weiteren Ausbau.
Die Stadtbibliothek Ramersdorf war schon geplant, die Nutzung eines Raums der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge AG (Vorläuferin der GEWOFAG) am Melusinenplatz 7, dem späteren Karl-Preis-Platz, war vereinbart. Mit der Eröffnung dauerte es allerdings bis zum 1. Oktober 1934: Die Stadtbibliothek Ramersdorf war damit die erste Bibliothek, die vollständig nach den Interessen des Nationalsozialismus ausgestattet und geführt wurde.
Presse-Berichte zur Eröffnung
Da sie die erste ist, die im nationalsozialistischen Staat in München aufgemacht wurde, unterscheidet sie sich in ihrer Zielsetzung wesentlich von den unter dem liberalistischen System eingerichteten Büchereien. Sie betont in erster Linie die Bedeutung und die Aufgaben einer einheitlichen nationalsozialistischen Weltanschauung und Erziehungsarbeit.
Münchner Neueste Nachrichten (nach 1945 Süddeutsche Zeitung) vom 30. September 1934
Keine strengen Schalterwände trennen hier den Beamten vom Kunden, der hier deutlich sein Recht fühlen muss, sich bei der Auswahl der Lektüre beraten lassen zu dürfen. (…) Die Grundlage bilden die Werke der nationalsozialistischen Weltanschauung und Erziehung (…).
Münchner Ost-Freund
Stadtamtmann Mulzer, der als Vertretung der nicht mehr besetzten Direktoren-Position sprach:
Neues Münchner Tagblatt
Die Bücherei Ramersdorf sei die erste Bücherei in München, die nach dem Umsturz errichtet wurde und weiche daher in ihrem Aufbau von den früheren vollständig ab. Das auffälligste Moment sei zunächst die starke Berücksichtigung der nationalsozialistischen Literatur und die Säuberung der schöngeistigen Literatur von Autoren wie Mann, Zweig usw.
Wie Stadtamtmann Mulzer betont, wird ihr rund 8500 Bände umfassender Bücherbestand auch die Pflege einer einheitlichen nationalsozialistischen Weltanschauung und Erziehungsarbeit im Geiste unseres Führers Adolf Hitler zum Ziele haben. (…) Das sogenannte Literatentum ist gänzlich ausgeschaltet. (…) [NS-Stadtrat Pfahler] nahm das Wort, um seiner Freunde Ausdruck zu geben, daß es der Stadtverwaltung gelungen sei, in diesem neuen Teil von München einem kulturellen Bedürfnis unserer Volksgenossen Rechnung zu tragen.
Völkischer Beobachter, 30. September 1934
Akten erzählen wenig vom Alltag
Vom Alltag in der neuen Stadtbibliothek ist wenig in den Akten überliefert. 1940 fordert sie die Anschaffung von mindestens 300 neuen Büchern, da der „Ramersdorfer Kinderreichtum neue Leser bringen“ werde. 1941 kann man jedoch auch nachvollziehen, dass im „gleichgeschalteten“ „Führer-Staat“ immer wieder Konflikte entstanden sind. Anlass ist der Schaukasten, der vor dem „Adolf-Hitler-Heim“ durch die Stadtbibliothek Ramersdorf ausgestattet wird.
Eigentlich sind sich alle einig – und so sieht die Liste der Titel im Schaukasten dann auch aus. Aus einer Aktennotiz der Mitarbeiter*innen der Volksbibliothek (insgesamt sind 26 Titel im Schaukasten):
1. Hitler, Mein Kampf
2. Rosenberg, Mythos
4. Wichtl, Weltfreimaurerei
12. Jaeckel, Schmiede der Luftmacht
15. Jungenfeld, So kämpfen Panzer
21. Hase, Die Kriegsmarine erobert Norwegens Fjorde
(…)
Am 30. April 1945 ist es vorbei mit der „Hauptstadt der Bewegung“. Die US-Truppen befreien München. Schon im Mai wird Hans Ludwig Held wieder Bibliotheksdirektor. Die Stadtbibliothek Ramersdorf zieht in die Bad Schachener Straße 1 und eröffnet wieder.
Neuer Ort, neue Medien
Natürlich braucht die Stadtbibliothek, die jetzt wieder „Städt. Volksbücherei München-Ramersdorf“ heißt, auch bald wieder neue Medien. Die ersten Anforderungen sind knapp formuliert: „Jugendschrifttum, Technik, Philosophie und Psychologie, Tierkunde, Heimatkunde“.
Die Stadtbibliothek Ramersdorf hatte damit Erfolg: 1972 wird in einer Publikation zu „100 Jahre Stadtbüchereien“ vermerkt, die „Ladenbücherei in einem Wohnhaus – Bad Schachener Straße 1“ habe einen Bestand von 24.850 Bänden, auf einer Fläche von 153 Quadratmetern.
Es dauert aber noch bis 1984, bis die Stadtbibliothek Ramersdorf aus ihren 154 Quadratmetern endlich in größere Räume umziehen kann: Seit 1984 befindet sie sich am heutigen Standort, in der Führichstraße 43.
Und wie es auf gut 400 Quadratmetern und mit 21.600 Medien heute aussieht, sehen Sie, wenn Sie die Stadtbibliothek Ramersdorf besuchen – zum Beispiel bei den Festwochen zum 90-jährigen Geburtstag.
Festwochen „90 Jahre Ramersdorf“
Lesungen, Quizabend, Bibliotheksübernachtung, und vieles mehr
01. bis 12.10.2024
Stadtbibliothek Ramersdorf