Reading Challenge 2018: Ungeliebte Schullektüren

Vorigen Monat haben wir zur Reading Challenge “Lesen verbindet!” aufgerufen. Die zweite Aufgabe, die wir euch und uns stellen: einer ungeliebten Schullektüre eine zweite Chance zu geben! Hier sind sieben Geschichten über Schullektüren von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Münchner Stadtbibliothek – erzählt uns eure, hier im Blog, auf Facebook oder Instagram (#readingchallenge2018, #lesenverbindet, #schullektuere). Auf unserer Pinterest-Pinnwand (siehe auch unten) findet ihr weitere Inspirationen …

Ein Klick auf das jeweilige Buchcover führt euch direkt in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Bestellen.

John Steinbeck: Tortilla Flat

Ich erinnere mich an einen Text von John Steinbeck, eine Art Schelmenroman, den wir auf englisch lesen mussten. Ob es nun an der nicht so sympathischen, lispelnden Englischlehrerin oder an meiner Pubertät lag – ich erinnere mich nur mit Grausen an diesen komischen episodischen Roman mit dem Titel „Tortilla Flat“, Erstaunlich, dass sich dieser Titel so fest in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Der Roman spielt in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg in einer Pasiano-Siedlung oberhalb von Monterey in Kalifornien und basiert auf Erlebnissen des Autors. Die Episoden drehen sich um den Kriegsheimkehrer Danny und seine Freunde, allesamt Tagediebe und Lebenskünstler, deren Gedanken sich ausschließlich um die Grundbedürfnisse ihrer Existenz drehen.

Eigentlich hört sich das jetzt ziemlich cool an. Im Internet fand ich gerade den Hinweis, dass Steinbeck seinen Roman an den Sagenkreis um Artus undseine Tafelrunde angelehnt hat. Interessant! Vielleicht sollte ich dem Roman eine zweite Chance geben 😉 Josef

dtv, Aus dem Englischen von Elisabeth Rotten, 176 Seiten


Benjamin Lebert: Crazy

Wir lasen „Crazy“ in der 8. oder 9. Klasse der Hauptschule. Grundsätzlich finde ich es positiv, wenn in der Schule auch aktuelle Literatur und Jugendbücher gelesen werden und nicht nur die üblichen „Klassiker“. Aber bei mir ging das gründlich daneben, „Crazy“ ist die einzige Schullektüre, dir mir tatsächlich verhasst war.

Der Inhalt dieses autobiografischen Romans ist schnell erzählt. Der 16-jährige Internatsschüler Benni berichtet von seinen Erfahrungen mit dem Erwachsenwerden. Als Spastiker hat er es schwerer als andere Jugendliche, aber in einer Clique von anderen Außenseitern findet er bald Anschluss. Die Jungs erleben verbotene Partys, Sex, Liebe und brechen am Ende in einer waghalsigen Aktion aus dem Internat aus, um sich in der Großstadt zu amüsieren. Das Buch wurde auch verfilmt.

Ich konnte die Beweggründe und Gefühle der Protagonisten damals nicht nachvollziehen und störte mich an den meiner Ansicht nach zu „erwachsenen“ und abgehobenen philosophischen Betrachtungen der Jungs über das Leben und die Liebe. Nun fände ich es interessant, das Buch als Erwachsene noch einmal zu lesen, um die Handlung (und auch meine eigene damalige Persönlichkeit) aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Benjamin Lebert hat das Buch als 16-Jähriger geschrieben und einen Großteil der Handlung selbst erlebt, weshalb man ihm kaum vorwerfen kann, die Geschichte wäre nicht authentisch. Und natürlich sind nicht alle Jugendlichen gleich, manche meiner Klassenkameraden konnten durchaus etwas mit dem Buch anfangen. Ich werde mich also noch einmal an „Crazy“ heranwagen und mich der Challenge „Ungeliebte Schullektüre“ stellen! Und sollte sich an meiner Abneigung nichts geändert haben, hat das Buch zum Glück nur 174 Seiten… Aurica

Kiepenheuer & Witsch, 174 Seiten


Patrick Süskind: Das Parfum

Ich war 15, er zwei Jahre älter und der so oft zitierte Blitz hatte mich mit Wucht getroffen. Umso glücklicher war ich, als mir nach wochenlangem strategischem Rumlungern während der Pause auf dem Schulhof und ein paar flüchtigen Gesprächen eben dieser Elftklässler das Buch lieh, dass sie eben in Deutsch gelesen hatten: „Das Parfum“ von Patrick Süskind. Er fand es „so lala“, ich las mich durch den Weltbesteller mit einer Mischung aus Begeisterung und Abscheu. Seitdem haben es sehr wenige Romane geschafft, mich so zu fesseln und gleichzeitig zu verstören. Ein großartiges, zeitloses Meisterwerk.

(Solltest du das jemals lesen, Matze: Ich hab deine Ausgabe immer noch 😉 ) Eva

Diogenes, 336 Seiten


Johann Wolfgang Goethe: Faust

Ich habe mich der Ungeliebte-Schullektüre-Reading-Challenge gestellt und Goethes „Faust I“ gelesen. Ich muss zugeben, dass ich diese Lektüre nie in der Schule lesen musste, aber alle, die es lesen mussten haben darüber gestöhnt…

Da außerdem ab diesem Monat in München das Faust-Festival stattfindet, dachte ich, ich will doch mitreden können. Mein Fazit: Der Text hat mir sehr gut gefallen! Das Buch ist nicht so dick wie erwartet (125 Seiten, also dünner als jeder Roman), und die Sprache in Versform gefiel mir sehr, wenn man sich ein wenig eingelesen hat. Ohne den Druck, dauernd in alles etwas hineininterpretieren zu müssen, war die Handlung abwechslungsreich und spannend. Abschließend denke ich, dass es auch einen Unterschied macht, in welchem Alter man das Buch liest. Ursula

diverse Ausgaben, z.B. Reclam, 136 Seiten


Sue Townsend: The secret diary of Adrian Mole 13 3/4

„The secret diary of Adrian Mole 13 3/4“ in Englisch. Ich konnte in der 9. Klasse mit diesem Jungen nichts anfangen. Als Erwachsene habe ich ihn wiederentdeckt und fand ihn superkomisch. Alle weiteren Bände, die das England von Thatcher bis in die heutige Zeit nebenbei mitbeschreiben, habe ich regelrecht verschlungen. Mit 40 war leider Schluss, da Sue Townsend vor ein paar Jahren verstorben ist. Martina

Puffin, 272 Seiten – in unserem Bestand natürlich auch auf Deutsch erhältlich.


Kurzgeschichten von Borchert und Böll

„Trümmerliteratur“ – das sind die Texte junger Autoren in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Die meisten von ihnen waren Kriegsheimkehrer – desillusioniert und oft traumatisiert versuchten sie, ein nüchtern und ohne Pathos Zeugnis abzulegen. Zwei der bekanntesten unter ihnen, Wolfgang Borchert und Heinrich Böll, griffen in ihren Kurzgeschichten die Tradition der amerikanischen short story auf: eine episodenhafte, oft scheinbar belanglose Szene, in lakonischem Ton erzählt, in der sich das ganze Grauen des Krieges spiegelt.

Eigentlich schreibe ich am Thema „Ungeliebte Schullektüren“ vorbei, weil diese Geschichten mich schon damals tief bewegt haben. Ich bin Jahrgang 62, der Kalte Krieg war während meiner Schulzeit allgegenwärtig. Texte wie diese machten mir den Alptraum des Krieges emotional erlebbar und legten damit den mit Grundstein für (m)ein politisches Bewusstsein.

„Nachts schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert und „Wanderer kommst du nach Spa“ von Heinrich Böll sind zeitlose Anklagen gegen den Krieg, die in mehr als einem halben Jahrhundert seit ihrer Entstehung leider nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Ihr findet die Texte natürlich in Sammelbänden der Münchner Stadtbibliothek, aber auch problemlos als Volltexte im Internet. Stefanie


Theodor Fontane: Effi Briest

Auch wenn unser Lehrer ihn uns händeringend verkaufen wollte als großen Roman des 19. Jahrhunderts, Poetischer Realismus und so weiter – ich konnte wenig mit diesem Buch anfangen: Der Ehemann, Innstetten, ein Unsympath ohnegleichen, gefühlskalt und langweilig. Ehre, Pflicht, die gesellschaftlichen Normen, die ihn dazu bringen, seine Frau zu verstoßen wegen eines Seitensprungs, der Jahre zurückliegt. Die Affäre selbst enttäuschend; Crampas, der glatte Verführer mit dem bereits dünnen Haupthaar. Sex wird nur symbolhaft angedeutet (vielen Dank auch, Herr Fontane), von Liebe ohnehin keine Spur. Regelrecht geärgert habe ich mich über die Heldin. Effi ist eine Kindfrau, die sich brav in ihr Schicksal fügt, brav früh stirbt und brav allen verzeiht und sämtliche Schuld auf sich nimmt.

Erst später wurde mir bewusst: Es sind die Fragen, die diese Frauenromane des 19. Jahrhunderts interessant machen. Mit denen du sie gegen den Strich bürsten kannst. Die Sätze beginnen zu knistern, du spürst die Spannung in und zwischen den Figuren, ihre Einsamkeit. Wie sie eingesperrt sind durch die gesellschaftlichen Normen: die Männer, aber vor allem die Frauen, die radikal aufgespalten wurden in „Engel im Haus“ und „femme fatale“. Warum beschäftigt man(n) sich im 19. Jahrhundert in Literatur und Kunst so obsessiv mit dem Ehebruch von Frauen? Warum sagt Flaubert über seine gescheiterte Heldin: „Madame Bovary, c’ est moi“? Wie geht eine Schriftstellerin wie Kate Chopin in ihrem „Awakening“ , angelehnt an Flaubert, aber eben mit ihrem ganz eigenen weiblichen Blick mit dem Thema um?

Bei Fontane sind die Männer Opfer und Täter zugleich. Doch auch Effi nimmt er nicht aus der Verantwortung. Gegenüber Crampas ist sie Verführte und Verführerin, als Ehefrau und Mutter weist sie durchaus Schwächen auf. Mit dieser Vielschichtigkeit, der komplexen Psychologie und einer Erzählweise wie mit dem Bleistift gezeichnet sind Fontane und seine Zeitgenossen für uns heute eine Herausforderung. Eine, die sich lohnt. Petra

div. Ausgaben, z.B. Insel, 364 Seiten


Noch mehr Buchtipps zu unserer Reading Challenge gibt es auf Pinterest:

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4 Kommentare zu “Reading Challenge 2018: Ungeliebte Schullektüren

  1. j.buff on 09/02/2018 at 5:44 pm sagt:

    Zum Glück hatte ich nie eine ungeliebte Schullektüre … aber „Ehen in Philippsburg“ von Martin Walser mußte immerhin mein älterer Bruder mal lesen und ich versuchte mich auch daran (es war in den 60er Jahren); und ich gebe zu, daß ich danach nie nie nie wieder ein Buch von Martin Walser lesen wollte. Ich habe noch nicht herausgefunden, ob „Ehen in Philippsburg“ nun zu Recht vergessen ist???

    • Katrin on 09/02/2018 at 11:08 pm sagt:

      Ich muss zugeben, dass ich kein großer Walserfan bin. Und die frühen Romane sind wirklich verdammt lang her und lesen sich leider auch so…

  2. j.buff on 14/02/2018 at 1:42 pm sagt:

    Nun ist mir doch eine ungeliebte Schullektüre eingefallen – entdeckt bei euren Pinterest-Vorschlägen: „Die Leiden des jungen Werthers“. Aber das war nicht so schlimm, da war ich nämlich mehr oder weniger zufällig 14 Tage lang ganz krank und konnte gar nicht am Unterricht teilnehmen … dabei findet man da einen der schönsten ersten Sätze der Weltliteratur: „Wie froh bin ich, daß ich weg bin!“

  3. Kai on 16/02/2018 at 9:25 am sagt:

    Die frühen Sachen von Walser sind IMHO einfach nur gute Literatur. Ich glaube, „Ehen in Philippsburg“ war mein erster Roman von ihm. Super sind auch „Ein fliehendes Pferd“, die Erzählungen in „Ein Flugzeug über dem Haus“ und das großartige Theaterstück „Die Zimmerschlacht“. Über die neueren Romane von ihm lässt sich seeehr trefflich streiten 😀

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