Politik im Nah-Bereich: Drei Bücher über Populismus

In schwierigen Zeiten können kluge Bücher Wegweiser sein. Ein Politologe, ein Historiker und ein Journalist suchen in den hier vorgestellten Titeln Antworten auf die populistischen Strömungen unserer Zeit. (Ein Klick aufs jeweilige Cover führt euch in unseren Onlinekatalog zum Ausleihen oder Vormerken.)


Jan-Werner Müller: Was ist Populismus?
Suhrkamp 2016, 159 Seiten

Der Politologe Jan-Werner Müller analysiert in seinem Buch die populistischen Tendenzen in Europa, den USA und Südamerika. Er beschreibt die anti-elitären Positionen populistischer Gruppierungen, bei der einem vermeintlich ‚wahren‘ Volk eine stets unmoralische, parasitäre Führungsschicht gegenübersteht, die das Volk nicht wirklich repräsentiert. Überhaupt das ‚wahre‘ Volk: Hier wird suggeriert, dass das Volk mit einer Stimme spricht. Durch diese Argumentation werden alle Andersdenkenden als illegitim deklassiert – wer sich weigert, populistische Ideen zu unterstützen, ist nicht Teil des Volkes. Müller zitiert Habermas „Das Volk tritt nur im Plural auf“ – Demokratie ist ohne Pluralität nicht möglich.

Indem Populisten den gewählten Volksvertretern ihre politische und moralische Legitimation absprechen (Geert Wilders spricht von „Scheinpolitikern“), stellen sie auch das demokratische Verfahren in Frage, das die ‚falschen Repräsentanten‘ hervorbringt und damit auch grundsätzlich die Staatsform. Sind Populisten an der Macht, pflegen sie einen antipluralistischen Herrschaftsstil: Sie versuchen, den Staatsapparat in Besitz zu nehmen, verschaffen sich Loyalität, indem sie ihre Partei- und Gefolgsleute in wichtige Positionen bringen und diskreditieren jegliche Opposition (und die Medien). Trotzdem warnt Müller davor, Populismus zu pathologisieren. Wir sind im Gegenteil aufgefordert, uns mit demokratischen Mitteln mit populistischen Parteien und Gruppierungen auseinanderzusetzen.


Timothy Snyder: Über Tyrannei – 20 Lektionen für den Widerstand
C.H. Beck 2017, 125 Seiten,aus dem Amerikanischen von Andreas Wirthensohn

Der Historiker Timothy Snyder ist als Autor von Büchern über autoritäre Regime im 20. Jahrhundert („Bloodlands“, „Black Earth“) bekannt. Er bezieht sich in seinen „20 Lektionen für den Widerstand“ auf das kollektive Gedächtnis dieser Zeit und leitet daraus Handlungsanleitungen für die Gegenwart und gegen anti-demokratische Strömungen ab.

Zwei dieser Lektionen sollen hier erwähnt werden. Da ist einmal der Satz „Denk an deine Berufsehre“. Wenn politische Führer ein negatives Vorbild abgeben, ist es umso wichtiger, dass staatliche Behörden und privatwirtschaftliche Firmen rechtskonform und eigenständig arbeiten.

Eine weitere Lektion ist „Sei freundlich zu unserer Sprache – vermeide Phrasen und Schlagworte, die jeder andere verwendet“. Gehen wir behutsam mit unserer Sprache um, vermeiden wir Worthülsen, hinterfragen wir Begrifflichkeiten, informieren wir uns digital und analog!


Jürgen Wiebicke: Zehn Regeln für Demokratie-Retter
Kiepenheuer & Witsch 2017, 111 Seiten

Müller und Snyder analysieren populistische Strömungen auf internationaler und nationaler Ebene, für den Journalisten Wiebicke ist kommunalpolitisches Engagement der Schlüssel zum Wiedererstarken der Demokratie. Auch er beschäftigt sich mit der zunehmend ideologischen Aufladung der Sprache. Mehr noch liegt ihm aber ein offenes Gemeinwesen am Herzen, eine „Politik im Nah-Bereich“.

Er fordert uns auf, eine Balance zwischen Gelassenheit und Leidenschaft zu finden. Die Gelassenheit, Komplexität in der Gesellschaft auszuhalten und nicht auf einfache Antworten zu setzen. Und die Leidenschaft, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren und auf den direkten Dialog zu setzen.

Gemeinsam ist allen Autoren, dass sie von uns allen fordern, unsere „digitalen Echokammern“ (Wiebicke) zu verlassen. Das heißt: im Gespräch bleiben und die Diskussion mit Menschen, die anders denken, nicht zu scheuen.

Coverfoto:Thomas Charters auf Unsplash

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