Keine Liebesgeschichte: „Eileen“ von Ottessa Moshfegh

Warum lesen wir, was wir lesen? Manchmal sind es Büchertipps von besonderen Menschen, Besprechungen in den Medien, das Cover oder der Titel, Algorithmen im Internet oder Nominierungen und Auszeichnungen, die uns auf ein bestimmtes Buch aufmerksam machen. Ich habe „Eileen“ gelesen, weil dieses Buch 2016 auf der Shortlist des Man Booker Preises stand. Kurz nach Beginn der Lektüre habe ich mich jedoch gefragt, ob die Nennung auf der Shortlist ausreicht, um mich zum Weiterlesen zu bewegen, denn „Eileen“ mutet dem Leser einiges zu. Zum Glück bin ich am Ball geblieben, denn der Roman gibt einen lesenswerten Einblick in ein kaputtes Leben – mit einem Hoffnungsstrahl am Horizont.

Eileen ist ein Mädchen Mitte zwanzig, sie lebt mit ihrem Vater – einem pensionierten Polizisten und passioniertem Säufer – Mitte der 1960er Jahre an der Ostküste der USA, in einem Ort, den sie schlicht X-Ville nennt. Die junge Frau arbeitet in einem Jugendgefängnis und schwärmt dort sehnsuchtsvoll und natürlich unerfüllt den Gefängnisaufseher Randy an. Zu Hause wartet jeden Tag die pure Tristesse auf sie: Einsamkeit und Schmutz, wohin man blickt; ein launischer, ständig betrunkener Vater und eine – beschönigend gesagt – extrem ungesunde Lebensweise prägen ihr Dasein. In dieses Elend platzt kurz vor Weihnachten Rebecca Saint John, die neue Erziehungsbeauftragte der Strafanstalt. Rebecca ist alles, was Eileen gerne wäre: gutaussehend und selbstbewusst, wortgewandt und freundlich. Und sie interessiert sich für Eileen, sie nimmt die junge Frau wahr. Diese Aufmerksamkeit, die sie von der scheinbar himmlischen Rebecca erfährt, gibt Eileen Auftrieb – ihr Leben hat plötzlich wieder einen Sinn. Dabei hat Rebecca ganz andere Pläne…

Flucht ohne Rückkehr

Von den ersten Seiten an läuft alles auf einen Höhepunkt zu. Eileen berichtet 50 Jahre später von den Vorfällen, die damals geschahen. Wir setzen kurz vor Weihnachten ein: „Eine Woche später sollte ich von zu Hause weglaufen und nie mehr zurückkehren. Dies ist die Geschichte meines Verschwindens.“ Man weiß also von Anfang an, dass etwas Entscheidendes passieren wird. Aber was dann geschieht – das kam zumindest für mich völlig unerwartet.

„Eileen“ ist ein sehr düsteres Buch, aber gleichzeitig war ich hoffnungsvoll, dass alles gut endet. Es ist abstoßend und doch anziehend. Es ist – laut Protagonistin – keine Liebesgeschichte, und doch ist es eine. Es ist ein Buch voller Gegensätze, gut geschrieben und sehr spannend zu lesen. Es spricht Gewalt und Unerträgliches an. „Dabei war es in Wirklichkeit sehr wohl erträglich. Ich ertrug es ja.“

Wer ist Ottessa Moshfegh?

Meine Frage war irgendwann: Wer hat sich so etwas ausgedacht? Wer ist Ottessa Moshfegh? Hinter diesem Namen verbirgt sich eine junge amerikanische Autorin, 36 Jahre alt, die aus einer iranisch-kroatischen Familie stammt und derzeit in Los Angeles lebt. Sie studierte Anglistik und kreatives Schreiben und war mit ihrem ersten Buch „McGlue“ bereits recht erfolgreich. „Eileen“ schaffte es dann bis in die Shortlist des Man Booker Preises – meiner Meinung nach zurecht. Da beim Lesen bereits ein ziemlich dunkles Kopfkino abläuft, erstaunt es nicht, dass inzwischen die Filmrechte zu „Eileen“ verkauft wurden. Ein weiteres Buch mit Short Stories ist auf Englisch bereits erschienen, und ich bin gespannt, was mich von der Autorin noch alles erwarten wird. „Eileen“ ist auf alle Fälle der eindrucksvolle und vielversprechende Anfang einer Karriere. Wie gut also, dass sie auf der Shortlist stand und ich dadurch auf sie gestoßen bin!

Ottessa Moshfegh: Eileen. Übersetzt von Anke Caroline Burger. Liebeskind-Verlag, 2017. 336 Seiten.

Featured Image: Peter Hershey on Unsplash

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