Grausamer Schmuck

„Blauschmuck“ von Katharina Winkler (Roman)

Ist es wirklich möglich, das grauenhafte Martyrium, das eine junge kurdische Frau durchleben musste, in derart überwältigender, poetischer Sprache zu erzählen?

Ja, das ist es, und ausgesprochen meisterhaft ist dies Katharina Winkler mit ihrem Debütroman „Blauschmuck“ gelungen, der auf einer wahren Begebenheit beruht und doch – wir wissen es alle zu genau – kein Einzelschicksal ist: denn die junge Filiz in diesem Buch steht für so viele misshandelte und unterdrückte Frauen auf der ganzen Welt.

Filiz wächst in einem kurdischen Dorf in der Türkei in einer traditionellen, extrem patriarchalischen Gesellschaft auf. Sie ist zwölf, als sie sich in den um wenige Jahre älteren Yunus verliebt und ihn mit fünfzehn heimlich und gegen den Willen des Vaters heiratet. Doch mit der Hochzeit platzen auch die Träume: gemeinsam mit den drei Kindern, die in dieser Ehe geboren werden, ist sie der körperlichen und seelischen Brutalität ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter ausgesetzt. Daran ändert auch der Umzug der Familie nach Österreich, wo der Mann Arbeit findet, nichts. Doch nach einer neuerlichen Eskalation der Gewalt gelingt Filiz und ihren Kindern das vermeintlich Unmögliche: die Flucht vor ihrem Peiniger und damit die Befreiung aus ihrem grausamen Leben.

Blauschmuck_CoverDiese schier unerträgliche Geschichte von häuslicher Gewalt, die Beschreibung des geschundenen Körpers, übersät mit Blutergüssen in allen Blautönen, die vom eigenen Vater, dem Lehrer, und später vom Ehemann zugefügt werden, dieses Hinnehmen der Gewalt von den Frauen, diese Leidensbereitschaft – sie kennen es ja nicht anders – wird, und das gibt Katharina Winklers Debütroman eine so unglaubliche Kraft in einer berührenden, lyrischen und doch klaren, einfachen Sprache erzählt. Welch ein wunderschöner Schreibstil, und wie unerträglich das Geschriebene.

In unserem Tal leben hundert blaue Frauen. …Es gibt Frauen, die ihr Blau um den Hals tragen wie einen Reif… manche tragen ihr Blau als Armband um das Handgelenk, manche um ihre Fesseln.

Viele Frauen wechseln den Blauschmuck von Woche zu Woche, einige von Tag zu Tag. Manche lächeln immerzu trotz ihres Blauschmucks, wie Leyla, manche schweigen in Blau… Es gibt Frauen, deren Blauschmuck niemand kennt, Frauen, die ihn verbergen unter langen Kleidern, unter Tüchern, blaue Mädchen meist, die ihr Blau noch unsicher tragen wie einen ersten Lippenstift.

Die blauen Frauen tragen die Farbe des Himmels. Wolkendurchzogener Sommerhimmel, eisiger Winterhimmel, unsteter Frühlingshimmel, grauer Herbsthimmel…

Wenn ich groß bin, werde ich eine blaue Frau. Ich hoffe auf einen Blauton, hell wie der Winterhimmel.

Wie unglaublich dankbar ist man nach der Lektüre dieses Buches für jene Errungenschaften unserer Gesellschaft, die sich gegen solche Gewalt richten.

Katharina Winkler: Blauschmuck. Suhrkamp Verlag, 18,95 Euro

Das will ich ausleihen!

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