Ein Klassiker der Großstadtliteratur als Hörspiel

Manhattan Transfer: Hörspiel von Leonhard Koppelmann und Hermann Kretzschmar nach dem Roman von John dos Passos

John Dos Passos veröffentlichte seinen multiperspektivischen Roman 1925 und gilt neben Hemingway, Faulkner und Fitzgerald als einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Moderne. Mitte 2016 kam auf der Grundlage einer Neuübersetzung des Romans von Dirk van Gunsteren das Hörspiel von Leonhard Koppelmann und Hermann Kretzschmar im HörbuchHamburg Verlag heraus.

In den knapp sechs Stunden (6 CDs) wird der Text von 50 Schauspieler_innen gelesen, darunter Stefan Konarske, Sophie Rois, Ulrich Matthes, Axel Prahl, Ulrich Noethen. Allein die Terminplanung muss gigantisch gewesen sein! In das Hörspiel eingestreut sind über 100 Musikstücke, manche sehr kurz, manche länger. Sie bewegen sich stilistisch zwischen Jazz und Neuer Musik.

„Manhattan Transfer“ hatte ich nie gelesen, wusste lediglich um den Vergleich mit dem „Ulysses“ von James Joyce und „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin. Ich war also nicht ganz unvorbereitet, aber dann doch überrascht von der Reizüberflutung.

Die Handlung spielt vor, während und nach dem 1. Weltkrieg. Der Roman erstreckt sich über einen Zeitraum von ungefähr 25 Jahren und zeigt die Entwicklung der modernen, aber auch gnadenlosen Stadt New York.

Es gibt keinen Handlungsstrang, keine Helden. Stattdessen werden sehr viele Einzelpersonen kurz aus der Menge herausgehoben, um dann wieder darin zu verschwinden. Nur wenige sind bedeutsamer und werden erneut aufgriffen, um ihre Entwicklung zu verdeutlichen (z.B. der Milchmann, der später Gewerkschaftsführer wird, oder der Mann, der vom Land in die Stadt geflohen ist, weil er seinen Vater erschlagen hat, und dann Selbstmord begeht, weil er in der Stadt nicht zurecht kommt).

Mit der Technik ddos-passos-manhattan-transfer-hoerbuch-9783957130273es Films, raschen Schnitten, Perspektivwechseln, einer heranzoomenden Kamera versucht Dos Passos die Großstadt einzufangen: den täglichen Kampf, die Jagd nach Geld, Erfolg und Liebe. Ein Erzähler schildert die Personen und Ereignisse aus der Außensicht. Über Dialoge, innere Monologe oder den Bewusstseinsstrom werden die Menschen für den Hörer unmittelbar erfahrbar. Oft überlappen sich mehrere Techniken, bis eine abbricht. Im Hintergrund Geräusche: Gläserklirren in einer Bar, Hufgetrappel auf der Straße, das Fahren der Untergrundbahn, das Prasseln eines ausgebrochenen Feuers, das Hämmern von Stahl beim Bau der Wolkenkratzer, Motorenlärm, Schritte auf dem Asphalt…

So entsteht ein schnelles Tempo, dem man sich als Hörer kaum entziehen kann. Alles ist in Bewegung, ständig kommt etwas Neues. Die Musik versucht die Bruchstücke zu gliedern, die Collage irgendwie zu ordnen. Mich persönlich hat das beim Zuhören eher gestört, aber das ist natürlich Geschmackssache.

Hörbuch und Buch (beides haben wir bei der Münchner Stadtbibliothek) würde ich besonders denjenigen empfehlen, die sich für Literatur, Sprache und die Konstruktionsweise von Texten interessieren.

Leonhard Koppelmann und Hermann Kretzschmar: Manhattan Transfer. HörbucHHamburg

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