Auf der Flucht – Deutschland, Frankreich, Schweiz

Francoise Frenkel: Nichts um sein Haupt zu betten  (Roman)

Ein verschollenes Buch, das durch Zufall auf einem Flohmarkt in Nizza auftaucht, in die richtigen Hände gerät und im französischen Verlag Gallimard und später auf deutsch bei Hanser neu erscheint – das klingt wie einem Roman entsprungen.

Ursprünglich erschien die Fluchtgeschichte „ Rien où poser sa tête“ der polnischen Jüdin Francoise Frenkel 1945 im Genfer Verlag Jeheber, wurde damals aber kaum wahrgenommen und bald vergessen. Nun ist dieses einzigartige Zeugnis wieder aufgetaucht. Einzigartig vor allem durch die sehr präzisen und sachlichen Beschreibungen der Alltagssorgen und Existenzängste, der Erfahrungen mit Unterstützern und korrupten Helfern. Das Buch ist sachlich geschrieben, ohne Hass oder Anklagen, was mich angesichts dessen, was die Autorin durchmachen musste, erstaunt.

Francoise Frenkel studierte Literaturwissenschaften in Paris, promovierte an der Sorbonne und gründete 1921 zusammen mit ihrem Mann Simon Raichenstein die erste französische Buchhandlung in Berlin „La Maison du Livre francais“. Diese Buchhandlung, in der auch Vorträge und Empfänge stattfanden, wurde ein Treffpunkt für die Franzosen und frankophilen Berliner. Colette, Aristide Briand, André Gide, André Maurois und Vladimir Nabokov kamen hierher. Vermutlich lässt sie sich am ehesten mit Shakespeare & Company, der von Sylvia Beach 1919 in Paris eröffneten Buchhandlung für englischsprachige Bücher vergleichen, einem Treffpunkt für Ernest Hemingway, James Joyce, F. Scott Fitzgerald und andere.

Ab 1935, mit Verkündung der Nürnberger Rassengesetze, werden nicht nur Bücher, die auf dem Index stehen und französische Zeitungen beschlagnahmt, sondern für Francoise Frenkel wird auch ihre persönliche Lage immer heikler:

In meiner Post fanden sich Vorladungen, Aufforderungen, Anordnungen, diesem oder jenem Treffen beizuwohnen, an dieser oder jener Veranstaltung oder Versammlung teilzunehmen. Die Buchhändlervereinigungen befahlen mir, meine Lagerbestände zu kontrollieren und der Sonderprüfstelle all jene Bücher auszuhändigen, die dem Geist des Regimes widersprächen. Allen diesen Formularen waren Fragebögen beigefügt, meine Rassenzugehörigkeit betreffend und die meiner Großeltern und Urgroßeltern mütterlicherseits und väterlicherseits.

November 1938: Reichspogromnacht. Schaufenster jüdischer Geschäfte werden eingeschlagen, Brände gelegt, Läden geplündert. Nun ist klar, dass sie das Land verlassen muss. Was aber soll mit der Buchhandlung geschehen?

Schon lange zog ich die Möglichkeit eines Verkaufs meiner Buchhandlung nicht mehr in Betracht. Alle meine Anstrengungen in diese Richtung waren vergeblich gewesen. Die Interessenten stellten sich ernste Fragen! Würde eine französische Buchhandlung in Berlin sich halten können? Würde man sich gegenüber den nationalsozialistischen Behörden mit dem Erwerb eines im wesentlichen französischen Unternehmens nicht in eine überaus schlechte Position bringen?

Im Juni 1939 wickelt sie noch ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber den französischen Verlagen ab. Als sie danach zu einer Ferienreise zu ihrer Familie nach Polen aufbrechen will, erfährt sie, dass die Grenze geschlossen ist. Auf dem französischen Konsulat wird ihr geraten, nach Paris zu fahren. Sie packt noch am selben Abend das Notwendigste ein und verlässt die Buchhandlung und ihre Wohnung, so wie sie sind.

Im Mai 1940 flieht sie von Paris nach Süden, wohnt in Vichy, Avignon und schließlich Nizza. Wenn man diese Städte nur in Friedenszeiten und aus Urlaubsaufenthalten kennt, fällt es schwer, sich vorzustellen, wie schwierig es damals war, von einer Stadt in die andere zu fahren. Man brauchte einen Reisepass, ein Visum, eine Aufenthaltsgenehmigung, die Einladung eines Verwandten oder Freunds.

Es kam häufig vor, dass abgelaufene Dokumente für ungültig erklärt und eingezogen wurden. Unmöglich, sie zu verlängern, denn die Verbindungen mit den von Deutschland besetzten Ländern waren unterbrochen und die Konsulate geschlossen oder bar jeder Autorität.

Die Autorin beschreibt die Gefühle, Ängste oder Verzweiflung der Flüchtlinge stets sachlich und wie aus einem gewissen Abstand. Vermutlich war ihr das alles bei Niederschrift des Romans Ende 1943 noch zu präsent. Nur ab und zu kommen Aussagen, wie die folgende vor:

Alle hatten die Lebenslust verloren, ihre Begeisterungsfähigkeit … Darum verfielen wir auch immer wieder in dumpfe Gleichgültigkeit, in völlige Trägheit.

Im August 1942 beobachtet sie den Abtransport von Juden in bereitgestellten Bussen und flieht im letzten Moment in einen Friseursalon, dessen Besitzer sie kennt. Dieses Ehepaar Marius versteckt sie zunächst und kümmert sich dann um weitere Verstecke. In ausweglos erscheinenden Situationen sind diese Marius immer wieder zur Stelle, um sie zu unterstützen, zu trösten und aufzurichten.

Im Dezember 1942 verlässt Francoise Frenkel Nizza und versucht, in die Schweiz zu gelangen. Sie wird festgenommen und in Annecy inhaftiert. Sie befürchtet das Schlimmste, nämlich die Deportation in das KZ Gurs. Mit Hilfe eines Anwalts wird sie in einem Prozess schließlich freigesprochen. Sie versucht es noch zwei weitere Male, bis ihr die Flucht schließlich im Juni 1943 gelingt.

Nach dem Erscheinen des Romans verlieren sich ihre Spuren, vermutlich kehrt sie aber schon Ende 1945 nach Nizza zurück, wo sie 1975 stirbt. Von ihrem Mann Simon Raichenstein, der in ihren Lebenserinnerungen nirgends erwähnt wird, ist bekannt, dass er bereits im November 1933 nach Paris ging. Er wird 1942 bei einer Razzia in Paris verhaftet, nach Drancy deportiert und in Auschwitz ermordet.

„Nichts um sein Haupt zu betten“ ergänzt für mich das Buch von Lisa Fittko „Mein Weg über die Pyrenäen“, in dem eine Fluchthelferin beschreibt, wie sie Flüchtlinge 1940/1941 von Frankreich über Schmugglerpfade nach Spanien bringt. Von ihr existiert hier ein Interview.

Es ist Pflicht der Überlebenden, Zeugnis abzulegen, damit die Toten nicht vergessen, noch Hilfsbereitschaft und Aufopferung Unbekannter missachtet werden.

schreibt Francoise Frenkel.

Und ich finde, es ist die Pflicht von uns später Geborenen, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen.

Francoise Frenkel: Nichts um sein Haupt zu betten. Mit einem Vorwort von Patrick Modiano. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. 288 Seiten, Hanser Verlag

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