22 Antworten auf die Frage „Welches Buch liest Du gerade?“

Die Frage nach der aktuellen Lektüre gehört absolut zu meinen Lieblingsfragen, weil darin gleich mehrere weitere Fragen stecken: Wie bist Du darauf gekommen? Wer hat es Dir empfohlen? Wie weit bist Du schon? Wie findest Du es? Und schon befindet man sich mitten in einem anregenden Gespräch über Bücher, Lesen und Literatur – wunderbar!

Einmal im Monat frage ich deshalb unsere Facebook-Fans, was sie gerade lesen. Und nun waren endlich auch mal meine Kolleginnen und Kollegen dran… Deren Geschichten über ihre aktuelle Lektüren habe ich ergänzt mit einigen Antworten unserer Community: eine großartige und vielfältige Sammlung – danke an alle, die mitgemacht haben!


Anke: „Blindgang“ von Jørn Lier Horst (Droemer)

Zur Zeit habe ich mal wieder eine Krimi-Phase. Meine neueste Entdeckung heißt Jørn Lier Horst. Die Krimis dieses norwegischen Autors spielen in der Kleinstadt Stavern. In „Blindgang“ ermittelt Kommissar William Wisting in zwei scheinbar zusammenhanglosen Fällen. Mit dabei ist auch diesmal seine Tochter Line, eine Journalistin, die ebenfalls auf eigene Faust recherchiert. Ich habe alle vier Bände, die bislang auf Deutsch erschienen sind, gelesen. Sie sind wohltuend nüchtern geschrieben, trotzdem spannend. Besonders gelungen sind die kenntnisreichen Schilderungen der alltäglichen Polizeiarbeit. Das mag daran liegen, dass der Autor lange bei der norwegischen Kriminalpolizei arbeitete. Diesen Autor kann ich allen Krimileserinnen und -lesern ans Herz legen, die mehr Wert auf das Rätsel hinter dem Fall als auf Effekte legen und mal einen Krimi abseits der Bestsellerlisten entdecken möchten.

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Stefanie Z.: „Die Hauptstadt“ von Robert Menasse (Suhrkamp)

Einer der (vielen) Highlights in meinem Job als Bibliothekarin ist ja, dass ständig die spannendsten Bücher, Filme, Konsolenspiele etc quasi über meinen Schreibtisch wandern. Meine aktuelle Entdeckung: der Roman „Die Hauptstadt“, für den der Österreicher und leidenschaftliche Europäer Robert Menasse mit dem diesjährigen Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die titelgebende Hauptstadt ist Brüssel, Sitz der europäischen Kommission, geschildert werden die beruflichen und privaten Verflechtungen von Menschen, die, auf ganz unterschiedliche Weise, die Zukunft der europäischen Idee voranbringen wollen … oder sollen. Ironie und analytische Schärfe, und doch ein warmer Blick auf die Menschen … ein tolles Buch!



Helga: „Tetaphrate“ von Peter Biber (Edition Lichtland)

Das Buch kommt ganz in gelb daher (auch der Schnitt), das Cover ziert ein Pharao mit Weißwurst und bayrischen Rauten. Auf der Rückseite sind wichtige Gegenstände und Figuren abgebildet, u.a. eine bayrisch ausgestattete Mumie mit Lebkuchenherz (ja, es spielt auch auf dem Oktoberfest), ein Kaktus namens Sepp, Bauschaum. Der Weihnachtsmann spielt auch mit. Der Erstlingsroman eines TUM-Professors ist ein Feuerwerk voller fantastischer Ideen, skurriler Details, spannend und witzig. Manchmal kommt man sich vor wie in einer Mischung aus bairischem James Bond -und Monty Python-Film. Es macht einfach Spaß, besonders wenn man häufiger in der Stadt M. in B. verkehrt und den V-Markt, der fest in Geheimdiensthand ist gut kennt. Überhaupt kommen viel bayerntypische Schmankerl vor, auch äußerst gefährliche, ich nenne da nur die Zamperlbombe. Wer wissen will, was es damit auf sich hat , sollte das gelbe Buch nehmen und lesen. Ein fantastischer, voll schräger Münchner Agentenroman!

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Eva: „Mit Rechten reden“ von Per Leo, Maximilian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn (Klett-Cotta)

Ich weiß nicht mehr, wo ich die Ankündigung für dieses Sachbuch gelesen habe. Sicher weiß ich aber, dass ich gerade sehr müde war: Wahrscheinlich habe ich einmal zu viel diskutiert, zum Teil mit Menschen, von denen ich so harsche Töne niemals erwartet hätte. Über Flucht, Vertreibung und Rassismus. Mir fehlte oft die Menschlichkeit in diesen Gesprächen und irgendwann auch eines: Eine Anleitung, wie ich vorgehen kann. Gegen Gesprächsmuster, die sich ständig zu wiederholen scheinen, gegen rhetorische Rollen, die ich nicht einnehmen kann weil mir dazu die Denke fehlt. Umso mehr habe ich mir von „mit Rechten reden“ versprochen, ein erfrischend unaufgeregtes Buch, welches sich dem Thema sehr sachlich annimmt. Standpunkte und Argumentationsketten von „den Rechten“ werden aufgedeckt, ebenso wird das „Wie“ und „Worüber“ mit Rechten geredet werden muss erläutert wird. Und auch „Warum“ es so wichtig ist. Gegen die Müdigkeit, für mehr Menschlichkeit.

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Marco: „Das Lied von Eis und Feuer“ von George R.R. Martin (Penhaligon)

Ich bin ein eBook-Leser der ersten Stunde. Und die war zu einer Zeit, als Verlage hierzulande eBooks noch nicht mal mit der Beißzange angefasst hätten. Was das bedeutet, wissen Kenner: Ich bin an meinen Kindle und meine inzwischen recht große Amazon-Bibliothek gebunden. Als großer Fan von Game of Thrones wollte ich mich jetzt endlich mal an die Romanvorlage „Das Lied von Eis und Feuer“ von George R.R. Martin machen. Allerdings gehen die fünf Originalbände bzw. zehn deutschen Ausgaben schon ins Geld. Freudig stellte ich dann fest, dass es die nicht nur in der Onleihe gibt, sondern auch im Original bei Overdrive. Zum Black Friday habe ich dann bei einem Tolino-Angebot zugschlagen. So ein Wälzer liest sich am Reader eben doch besser als am Smartphone … Und bis jetzt kann ich es kaum aus der Hand legen: Auch wenn die sprachliche Gestaltung recht einfach ist, werden Ereignisse und besonders die Charaktere sehr eindringlich und komplex beschrieben. Der Winter kann kommen.

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Waltraud: „Der Wille des Volkes“ von Charles Lewinsky (Nagel & Kimche)

Schweiz, in der nahen Zukunft: Ein resignierter älterer Journalist möchte herausfinden, warum sein Kollege Selbstmord begangen hat. Hat sein Tod etwas mit dem Erstarken der schweizerischen rechtspopulistischen Regierung zu tun? In bester investigativer Tradition macht er sich auf die Suche nach der Wahrheit. Fein gezeichnete Charaktere mit ironischen Sidekicks in einem bedrückenden politischen Szenarium. Mein Lieblings-Politthriller des Herbstes!

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Birgit D.: „Hörst du, wie die Bäume sprechen?“ von Peter Wohlleben (Oetinger)

Kindersachbücher sind toll: Sie vermitteln auch kompliziertes Wissen ganz leicht und anschaulich mit vielen Bildern und Illustrationen. Deshalb blättere ich wirklich gerne in diesen Büchern. Da Peter Wohlleben seit einigen Monaten in aller Munde ist, ich aber gerade keine Lust auf textlastige Sachbücher hatte, habe ich mir einfach das im Herbst erschienene Kindersachbuch „Hörst du, wie die Bäume sprechen?“ von ihm geschnappt. Wann immer ich Zeit (und Lust auf Bäume) habe, nehme ich jetzt das Buch zur Hand und lese auf den schön aufgemachten Doppelseiten, ob Bäume Angst haben, wie man erkennen kann, ob es viele Rehe im Wald gibt, etc. und lerne so wirklich viel über den Wald und das Leben dort. Peter Wohlleben kann in ganz einfachen Worten dieses komplexe Thema vermitteln. Und die vielen Fotos und Illustrationen machen es zu einem sehr kurzweiligen Vergnügen.

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Kai: „Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager“ von Eugen Kogon (Heyne)

Nachdem ich vergangene Woche zum zweiten Mal das KZ Dachau besichtigt habe, bin ich bei meinen darauffolgenden Recherchen wieder über dieses Standardwerk aus dem Jahr 1946 gestolpert.  Unglaublich, dass Kogon diese erste historische Analyse der NS-Diktatur überhaupt nur ein halbes Jahr nach seiner Befreiung aus dem KZ Buchenwald veröffentlicht hat. Aufwühlend, präzise, informativ.

 

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Birgit W.: „Das verborgene Wort“ von Ulla Hahn (DVA)

Das Buch ist zwar von 2001, aber ich wurde erst kürzlich durch einen Artikel in der EMMA auf die Trilogie aufmerksam. Es ist die Geschichte eines rebellischen Mädchens und zugleich die inoffizielle Autobiografie Hahns.

Hildejaad/Hilla wächst in der rheinisch-katholischen Provinz auf und liebt Bücher. Zudem geht sie „op de höhere School“ und passt damit nicht mehr ganz in die Arbeiterfamilie, aus der sie stammt. Gegen diese Widerstände entwickelt sie sich zu einer wahren Leseratte und entflieht so dem erst gewalttätigen, dann gleichgültigen Vater in ihre eigene Welt. Ihren Traummann baut sie sich aus den Nachbarsjungen und Friedrich Schiller. Sie hat an Jungs nur ein unschuldiges Interesse, auch wenn sie gedrängt wird, einen „guten Fang“ zu machen. Sehr schön sind ihre Beschreibungen über das Lesen und über ihre Empfindungen den Büchern gegenüber. Trotz ihrer Belesenheit ist sie oft herrlich naiv, und es macht einfach Spaß, sie zu begleiten!

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Antje: „Eleanor Oliphant is completely fine“ von Gail Honeyman (Harper Collins)

Im Moment lese ich „Eleanor Oliphant is completely fine“ – ein Buch in englischer Sprache. Und das kam so: Seit ein paar Monaten wird der Bestand unserer englischsprachigen Literatur sukzessive aufgestockt, fast täglich kommt ein neuer Roman daher, der sich schon allein durch Aufmachung, Papierbeschaffenheit, Größe, Gewicht und sogar Geruch komplett von den deutschen unterscheidet. Schon länger überlege ich hin und her, ob ich mir mal wieder so etwas antun soll – ein Roman auf Englisch heißt doch auch, nicht alles zu verstehen, öfters ein Wort nachschauen zu müssen usw. – anstrengend halt. Doch dann fiel mir „Eleanor Oliphant“ in die Hand, das Cover sprach mich sofort an, ich las den Klappentext, dann den ersten Satz und war schon im Sog. Es ist relativ leicht zu verstehen und stellenweise absolut witzig geschrieben. Auf Deutsch wäre mir die Thematik viel zu seicht – wie schön, dass ich mich in einer fremden Sprache besser darauf einlassen kann, denn unterhaltsam ist die Story auf jeden Fall.

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Nadine: „Ein wilder Schwan“ von Michael Cunningham (Luchterhand)

Weihnachtszeit wird immer Märchenzeit für mich bleiben. Selbst früh vor der Schule wurde ich von Opa noch einbestellt, und seine Interpretationen von Märchen und Sagen wurden zum Besten gegeben, nicht immer zur Freude meiner Oma. Aber die Grundschullehrerin hat die Ehre der Prinzen und des weiteren Heldenpersonal gerettet. Es war die magische Zeit, und wie wir es zelebriert haben! Wenn man dann erwachsen ist, bröckelt die ganze Sache. Aber dennoch dürfen die Geschichten nicht fehlen: „Ein wilder Schwan“ ist wunderbar kurzweilig mit einem überaus schelmischen Vorwort. Nur soviel: Die Hexen der Kindheit werden einer schonungslosen Analyse unterzogen, Stiefmütter wollen doch auch nur Entspannung, und Hänsel und Gretel waren nicht nur ausgehungert, sondern auch sexy. Es tun sich Abgründe auf in diesen Geschichten – aufregend witzig und doch an der Schmerzgrenze, auf dem Weg, die schönste Zeit des Jahres weiter zu entzaubern. Opa hätte die Märchen nicht besser zerlegen können. Aber definitiv nichts für Kinder!

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Annette: „La fille de Brooklyn“ von Guillaume Musso (XO Editions)

Natürlich haben wir auch die deutsche Ausgabe im Bestand, aber ich habe dieses Buch im letzten Urlaub in einem öffentlichen Bücherschrank in Frankreich gefunden und natürlich mitgenommen. In Frankreich steht Musso auf den Bestsellerlisten, und ich hatte von ihm noch nichts gelesen.

Anna und Raphael verbringen ein romantisches Wochende an der Côte d`Azur. Sie werden in wenigen Wochen heiraten. Welch ein Kitsch! Raphael weiß nichts über Annas Vergangenheit, denn sie weigert sich darüber zu sprechen. Auf sein Drängen hin zeigt sie ihm ein Foto mit Leichen: „Das habe ich getan.“ Dann verschwindet sie spurlos. Und ab da wird es ungeheuer spannend! Raphael bittet seinen Freund Marc, einen ehemaligen Polizisten, um Unterstützung bei der Suche nach Anna. Sie entdecken weitere merkwürdige Dinge, die nicht zu ihr zu passen scheinen…

Um zu lernen, was ein guter Plot ist, sollte man vielleicht doch öfter mal Unterhaltungsliteratur lesen!

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Die nächste „Welches Buch …?“-Frage gibt es am 9. Dezember, ca. 16 Uhr, wie immer auf unserer Facebookseite.

Featured Image: Priscilla Du Preez / Unsplash

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